| # taz.de -- Die Wahrheit: Die Macht im Zentrum | |
| > Hat der langjährige taz-Geschäftsführer Kalle Ruch Humor? Eine | |
| > tiefschürfende Untersuchung aus dem Inneren eines fast lautlosen | |
| > Zeitungsmanagers. | |
| Was für ein Geräusch macht ein Wattebausch, der geworfen wird und irgendwo | |
| landet? Bausch, bausch, bausch – nur noch viel leiser. Auch Kalle Ruch ist | |
| auf eine seltsame Weise leise. | |
| „Schreib über Kalles Humor beziehungsweise Nichthumor“, lautete der präzi… | |
| Auftrag des Wahrheit-Chefs Michael Ringel. Als ich in den neunziger Jahren | |
| für die taz arbeitete, in der prädigitalen Phase, hatte ich den | |
| Gründungsgeschäftsführer schließlich exklusiv erlebt, als Betriebsrätin. | |
| „PS: Du machst das schon“, entschied der Redakteur. | |
| Als ich meinem Nachbarn H. davon erzähle, bringt der sofort Kalle Ruchs | |
| Buch ins Spiel. Als langjähriger taz-Leser habe er sich das vor ein paar | |
| Jahren sofort gekauft. „Waldbrand“ laute der Titel, ein sehr unterhaltsames | |
| Buch. Er könne es gern suchen. Weil das erfahrungsgemäß dauert, rufe ich | |
| ehemalige Kollegen an. Ich wittere eine Sensation. „Kennst du Kalles Buch?“ | |
| Nee. Alle sind verblüfft. Schnell kommen wir allerdings zum selben | |
| Ergebnis: Das Buch von Karl-Heinz Ruch heißt „Waldrandmilieu“ und enthält | |
| „Ernstes, Heiteres und Skurriles“ in Form von Kurzgeschichten; „Episoden | |
| aus der Kindheit in der Zeit des Zweiten Weltkrieges bis in die Gegenwart“. | |
| Kalle ist zwar schon lange im Verlagswesen unterwegs, aber nicht so lange. | |
| Dieser Kalle ist nicht unser Kalle. | |
| Ich bin wieder am Anfang. Was weiß ich über Kalle Ruchs Humor? Dass ihm | |
| welcher innewohnt, ist sicher. Aber gerade Menschen, die sich im Bereich | |
| Wirtschaft haben ausbilden lassen, geraten in Sachen Humor schnell auf die | |
| schiefe Bahn. | |
| ## Heimsuchung durch luftschnappenden Wirtschafter | |
| Ich erinnere mich an den Kollegen U. aus der Wirtschaftsredaktion, | |
| studierter BWLer, der eines Morgens das Wahrheit-Büro heimsuchte und | |
| luftschnappend von einem Film erzählte, den er am Abend zuvor im Kino | |
| gesehen hatte: „Verrückt nach Mary“. Den müssten wir sehen, japste er, so | |
| irrsinnig komisch sei der! Während er fast den gesamten Inhalt | |
| nacherzählte, brach er immer wieder in haltloses Kichern aus, er krümmte | |
| sich und hielt sich den Bauch. | |
| „Und jetzt kommt die beste Szene“, prustete U., „sie ist also im Bad und | |
| will sich ihre Haare machen …“ Er grölte vor Lachen und klammerte sich an | |
| ein Bücherregal. Angstschweiß auf der Stirn, schickte ich einen flehenden | |
| Blick zur damaligen Wahrheit-Kollegin Barbara Häusler. „Na, na“, sagte die | |
| freundlich und zog den aufgedrehten Wirtschaftsexperten sanft am Ärmel auf | |
| den Flur. „Nicht die Pointe verraten, das gilt hier als schlechtes | |
| Benehmen!“ | |
| ## Kein Geld für teure Auslandsreisen mit viel Remmidemmi | |
| Vielleicht liegt es daran, dass er Volkswirtschaft studiert hat, auf jeden | |
| Fall kann ich erleichtert versichern: Kalle Ruch hat uns nie mit komischen | |
| Erfahrungen behelligt. Aus den Sitzungen des Betriebsrats mit der | |
| Geschäftsführung lässt sich auch nichts über seinen Humor ableiten. Teure | |
| Auslandsreisen mit viel Remmidemmi für Betriebsräte gab das Budget der taz | |
| nicht her – jedenfalls behauptete Kalle Ruch das –, und so verliefen diese | |
| Begegnungen naturgemäß humorlos. | |
| Man muss allerdings an dieser Stelle aber auch einmal überlegen, ob Humor | |
| generell immer etwas Gutes hat. Die Fähigkeit, Komik zu erkennen und über | |
| sich selbst, aber auch über andere zu lachen, macht abhängig! Das fängt oft | |
| harmlos an, mit einem Witz am Wochenende oder im Urlaub, aber schon bald | |
| will man sogar unter der Woche lachen, dann tagsüber während der | |
| Arbeitszeit. Und wenn es dann nichts zu lachen gibt, was in Kalle Ruchs | |
| Berufsleben öfter vorgekommen sein soll, sucht sich ein Humor-Junkie | |
| schnell ein besseres Plätzchen. Es ist deshalb anzunehmen, dass Kalle Ruch | |
| über ein spezielles, stilles Gen verfügt, das den Humor steuert und dessen | |
| vollständig aufgeschlüsselte DNS demnächst online von der taz | |
| veröffentlicht wird. Der Mann hat ja jetzt Zeit, sich um solche Dinge zu | |
| kümmern. | |
| Je länger ich über diese These nachdenke, umso klarer wird mir eine weitere | |
| Szene aus der Vergangenheit: Kalle Ruch führte eine Gruppe von | |
| Genossenschaftlern durchs taz-Haus in der Rudi-Dutschke-Straße. Unter ihnen | |
| war mit Sicherheit der hunderttausendste Besucher, aber damals wurde noch | |
| nicht mitgezählt. Vor unserem Büro erklärte der Manager, der damals nie so | |
| genannt worden wäre, blumig und weitschweifig: „Hier ist die | |
| Wahrheit-Redaktion.“ Die Genossen guckten neugierig, wir winkten ihnen zu. | |
| „Und jetzt“, sagte Kalle, „gehen wir weiter zum Zentrum der Macht.“ | |
| Was ich in diesem Moment für Ironie hielt, war selbstverständlich keine. | |
| Kalle befand sich auf Mission, und nun würde er die Gruppe in seine Räume | |
| schleusen und bearbeiten – heute kann man das alles nachlesen. | |
| Ähnlich übrigens die Situation, als die Wahrheit-Redaktion den | |
| Wahrheit-Klub gegründet hatte und eine Ausstellung von | |
| Waldkaribu-Zeichnungen seiner Mitglieder präsentierte: Während die Gäste | |
| bei der Vernissage herumstanden und plauderten oder der klassischen Musik | |
| lauschten, ging Kalle Ruch von Bild zu Bild. Manche Leser waren davon | |
| ausgegangen, ein Waldkaribu sei ein Vogel. Das irritierte ihn nicht einmal, | |
| still prüfte er Werk für Werk. Heute glaube ich, dass er lautlos überlegte, | |
| ob der taz Shop womöglich vakuumierte Waldkaribu-Steaks anbieten sollte | |
| oder eher ein Waldkaribu-Streichelzoo in einem zukünftigen Neubau der taz | |
| profitabel wäre. | |
| ## Rätselhafte Begegnung mit dem geräuschlosen Geschäftsführer | |
| Er muss diese Ideen wieder verworfen haben, am Neubau aber hielt er fest. | |
| Und der hat es in sich, wie mir zugespielte Dokumente zeigen. Wer die | |
| heutige Ausgabe der taz aufmerksam gelesen hat, weiß von Stefan Kuzmanys | |
| unerwarteten Begegnungen mit dem Geschäftsführer. Dieser habe die seltsame, | |
| spukhafte, ja beinahe kafkaeske Angewohnheit gehabt, „plötzlich neben mir | |
| zu stehen, wie aus dem Nichts aufzutauchen“. | |
| Genau das wird weiter geschehen, nur noch seltsamer, noch plötzlicher, noch | |
| ruhiger. Die mir vorliegenden Dokumente sind die Baupläne des neuen | |
| taz-Gebäudes in der Berliner Friedrichstraße. Sie zeigen eine Vielzahl an | |
| verborgenen Gängen, unbekannten Stockwerken und versteckten Geheimtüren – | |
| wer diese Wege kennt, kann sich unentdeckt durch das gesamte Haus bewegen | |
| und quasi jederzeit an jedem Ort in Erscheinung treten. In eine Kühlkammer | |
| im taz-Restaurant etwa ist eine Schiebetür eingebaut, die per Iris-Scan | |
| bewegt werden kann. Dahinter befindet sich eine ausfahrbare Leiter, die in | |
| den nächsten Stock führt. Die dort aufgestellten Schließfachschränke tarnen | |
| übrigens eine Drehtür – hier offenbart sich Kalle Ruchs ganz eigener, sehr | |
| leiser Humor. | |
| 14 Dec 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Carola Rönneburg | |
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