# taz.de -- Die Wahrheit: Der sture Gast | |
> Ein ebenso schrulliger wie geheimnisvoller Urlauber macht sich breit in | |
> der ihm als Kurzzeitdomizil angebotenen Privatwohnung in Berlin. | |
Seit dem vorigen Jahr holen wir uns – vollkommen legal! – im Frühsommer | |
einen Urlauber ins Haus. Der bleibt zwei Wochen lang und soll es bei uns | |
gut haben, weshalb wir mindestens weitere zwei Wochen zuvor damit | |
beschäftigt sind, die Räume ansprechend herzurichten. „Schaffe einen | |
gemütlichen Ort“, heißt es auf einem einschlägigen Portal. „Stelle Kissen | |
und Decken bereit und biete mehr Komfort.“ | |
Ob wir das überhaupt machen sollten – Urlauber aufnehmen, nicht Kissen | |
drapieren –, darüber haben wir uns lange Gedanken gemacht. Verwandte und | |
Freunde sind uns jederzeit willkommen. Sie wissen, dass wir uns über ihre | |
Gesellschaft freuen, dass wir gern für sie kochen und später noch lange mit | |
ihnen zusammensitzen mögen. Selbstverständlich machen wir uns noch mal über | |
den Badezimmerspiegel her und fragen uns, wann wir jemals in der Lage sein | |
werden, das alte Gästebett gegen ein neues auszutauschen. Das wäre wirklich | |
nötig. Für ein paar Nächte ertragen es jedoch noch alle. | |
Mit unserem Urlauber, der nun zum zweiten Mal anreisen wird, verhält es | |
sich anders. Er war uns neu, wir waren ihm neu. Wir sprechen keine | |
gemeinsame Sprache. Als ein älterer Herr von zierlicher Gestalt, mobil und | |
sehr eigen, war er nicht so begeistert vom Gästebett. | |
Wir erinnern uns an schöne Abende, an denen die Macken unserer Wohnung | |
nachrangig waren. Ernährung allerdings, gar ein Lieblingsessen, war nie | |
Thema. Für eine leidenschaftliche Hobbyköchin wie mich war das schmerzhaft. | |
Unser Gast hatte sich eigene Mahlzeiten liefern lassen. Als schwierig | |
erwies sich auch die Frage, wie präsent ein Urlauber in den Räumen der | |
Gastgeber sein darf. | |
Gäste sollten „das Gefühl haben, die Unterkunft sei ihr Zuhause“, empfieh… | |
ein Superhost. Das sehen wir auch so, weshalb wir zwar unsere | |
Schlafzimmertür verschlossen hielten, sonst aber open access gewährten – | |
warum auch nicht? Merkwürdig dennoch, wie unser älterer Herr immer mal | |
wieder die Speisekammer inspizierte und auch uneingeladen mit uns vor dem | |
Fernseher saß. | |
Wer jemand in seine Privatwohnung aufnimmt, kann dem Gast nicht entrinnen, | |
das ist meine Erkenntnis. Wie will er sonst gute Bewertungen erhalten, sich | |
attraktiv für andere, womöglich unkompliziertere Besucher machen? Deshalb | |
gaben wir unserem Urlauber, so anstrengend er auch manchmal war, bei | |
Diskussionen meistens recht. Von einem Vorfall abgesehen, konnten wir über | |
unterschiedliche Ansichten leicht hinwegsehen, denn wir mochten ihn ja | |
trotz seiner Schrullen. | |
Wir bereiten uns nun auf ihn vor, verteilen Kissen. Ich leere meinen | |
Papierkorb aus, weil er sich darin gern aufhält. Der oben erwähnte Vorfall | |
drehte sich um meinen Schreibtischstuhl und wer darauf sitzen darf. Es | |
werden wieder schwierige Diskussionen, die ich nur mit dem Hausrecht | |
durchsetzen kann. Grundsätzlich haben wir gegen „Miau, miau!“ jedoch keine | |
Chance. | |
24 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Carola Rönneburg | |
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