| # taz.de -- Film „Aretha Franklin: Amazing Grace“: Gesang aus einer anderen… | |
| > Die Live-Aufnahmen von Aretha Franklins legendärem Gospelalbum „Amazing | |
| > Grace“ sind 47 Jahre alt. Jetzt sind sie im Kino zum ersten Mal zu sehen. | |
| Bild: Amazing Grace indeed: Aretha Franklin lobt den Herrn | |
| Berlin taz | Dieser Film ist [1][wie eine Zeitmaschine ins Jahr 1972]. | |
| Menschen mit bauschigen Afros, Männer mit langen Haaren, Musiker in Anzug | |
| und Krawatte, ein sitzender Chor in glänzenden Glitzerwesten und zwischen | |
| all dem in königlicher Würde und mit jeder Menge Lidschatten die „Queen of | |
| Soul“ Aretha Franklin, die zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt ist. | |
| Ab und zu läuft ein jugendlich wirkender Sydney Pollack durchs Bild. Er | |
| hatte die Regie übernommen für einen geplanten Warner-Brothers-Fernsehfilm | |
| über die Live-Aufnahme eines Albums, das zu einer der meistverkauften | |
| Gospelplatten der Musikgeschichte werden sollte: Aretha Franklins „Amazing | |
| Grace“. | |
| Die Sängerin war zu dieser Zeit schon lange ein Superstar, hatte den Soul | |
| in der gesamten Bevölkerung populär gemacht und mit „Respect“ Ende der | |
| sechziger Jahre einen Song veröffentlicht, der zu einer Art Hymne der | |
| afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde. Mit „Amazing Grace“ kehrte | |
| Franklin nun zu ihren musikalisch-spirituellen Wurzeln zurück, denn als | |
| Tochter eines Baptistenpfarrers hatte sie bereits als kleines Mädchen in | |
| der Kirche Gospel gesungen. | |
| Auch für die Aufnahme ihres neuen Albums hatte sie eine Kirche gewählt, die | |
| Missionary Baptist Church in Los Angeles. Nicht in neutraler Studioumgebung | |
| sollte „Amazing Grace“ entstehen, sondern in der lebendigen Atmosphäre | |
| eines Live-Konzerts. Warner Brothers wiederum witterte ein glänzendes | |
| Geschäft; denn gerade hatte man mit einem anderen Musikfilm, „Woodstock“, | |
| prächtig verdient. | |
| Der für die Regie engagierte Pollack allerdings hatte noch nie zuvor einen | |
| Dokumentarfilm gedreht, und offenbar war auch sonst niemandem während der | |
| Dreharbeiten aufgefallen, dass es später sehr schwierig werden könnte, Ton- | |
| und Bildspur zu synchronisieren, wenn keine Klappe benutzt wurde und fünf | |
| Kameramänner gleichzeitig irgendwo drehten. Nach nur zwei Tagen über dem | |
| gedrehten Material streikten Cutter und Tonleute. Die Aufgabe war schlicht | |
| unüberschaubar. Dann würde es eben keinen Film geben. | |
| ## Auftrag, den Film zu beenden | |
| Dass es jetzt, ganze 47 Jahre später, doch einen gibt, ist den technischen | |
| Möglichkeiten der schönen neuen Digitalwelt zu verdanken und dem | |
| Produzenten Alan Elliott, der von Sydney Pollack (der 2008 starb) die | |
| Erlaubnis, oder eher den Auftrag, bekommen hatte, den Film zu beenden. Um | |
| das Material von Warner Brothers kaufen zu können, nahm Elliott eine | |
| Hypothek auf sein Haus auf. Den Film auch zu zeigen, ist jedoch wohl erst | |
| [2][nach dem Tod von Aretha Franklin] selbst (im letzten Jahr) möglich | |
| geworden, die sich dagegen gewehrt hatte, diese Aufnahmen zu | |
| veröffentlichen. Schwer zu sagen, warum. | |
| „Amazing Grace“ hat zwei HauptdarstellerInnen. Die eine, klar, Aretha | |
| selbst. Der andere ist James Cleveland (1931–1991), seinerseits einst als | |
| „King of Gospel“ bekannt, Musiker, baptistischer Geistlicher und Gründer | |
| des Southern California Community Choir, der bei dem Live-Act stimmstark | |
| mitwirkt. Cleveland selbst ist nicht nur als Arrangeur und Mitmusiker an | |
| Aretha Franklins Seite, sondern übernimmt auch die Moderation des | |
| Mitschnittkonzerts, das an zwei aufeinanderfolgenden Abenden stattfindet. | |
| Sein leinwandsprengendes Charisma überträgt sich umstandslos auch durch die | |
| filmische Zeitkapsel. Er leistet eine gigantische Kommunikationsarbeit nach | |
| allen Seiten; animiert das Publikum, stellt die Mitwirkenden vor und | |
| kümmert sich hingebungsvoll um den Star des Abends, der etwas später kommt | |
| und so entrückt durch den Saal schreitet, als ginge es hier gar nicht um | |
| sie. | |
| ## Nach innen gerichteter Blick | |
| Während Cleveland sich ganz und gar nach außen verströmt, scheint Aretha | |
| Franklin derweil ganz bei sich. Es wirkt, als nähme sie kaum wahr, was um | |
| sie ist, ihr Blick ist die meiste Zeit wie nach innen gerichtet, fokussiert | |
| auf eine andere Dimension; das Publikum scheint für sie höchstens in weiter | |
| Ferne zu existieren. | |
| Doch immer wenn sie zu singen beginnt, wird eine enorme Kraft sicht- und | |
| hörbar, die wie aus einer verborgenen Quelle an die Oberfläche drängt. Dann | |
| überträgt sich ein unsichtbarer Energiestrom von ihr auf die anderen. Oft | |
| hält es Menschen nicht mehr auf ihren Sitzen; wie in Trance springen sie | |
| auf, wiegen sich mit, und Aretha Franklin selbst, ganz Medium einer | |
| höheren Sache, kann sich schon mal bis zu Tränen verausgaben. | |
| Es ist in vieler Hinsicht tatsächlich eher Gottesdienst als Konzert, und ob | |
| es dabei nun wirklich um den getauften Jesus geht, der immer mal wieder mit | |
| der kirchlichen Wanddeko ins Bild kommt, um erstaunliche göttliche Gnade | |
| oder um Respekt hier auf Erden, spielt letztlich keine Rolle, weil das | |
| wohl alles irgendwie zusammengehört. | |
| Am ersten Konzertabend sieht man übrigens kein einziges weißes Gesicht im | |
| Publikum, am zweiten dagegen einige – darunter ein schlaksiger junger | |
| Langhaartyp, den man zuerst nicht richtig erkennen kann, weil er ganz | |
| hinten stehen muss. Als er irgendwann doch noch einen Sitzplatz erobert, | |
| hält eine Kamera kurz drauf. Ja, es ist wirklich Mick Jagger. | |
| 28 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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