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# taz.de -- Doku über Stones-Gitarristen Ron Wood: Der untragische Rockstar
> Regisseur Mike Figgis hat eine Doku über den Rolling-Stones-Gitarristen
> Ron Wood schulmeisterlich inszeniert – unüberraschend, aber liebenswert.
Bild: Ein Mann und sein Plattenspieler: Ronnie Wood
Als Ronnie Wood, geboren 1947, aber Rockstar schon seit gefühlten 200
Jahren, vor einiger Zeit an Lungenkrebs erkrankte, lehnte er eine
Chemotherapie nach der Operation ab. Nicht weil er nach Jahren der
selbstzerstörerischen Feierei des Lebens müde geworden war: Er wollte
schlicht nicht das Risiko eingehen, seine legendäre Frisur einzubüßen, den
ananashaften Wuschelkopf, der Groucho Marx einst zu der Frage verleitet
hatte, ob er ein Mann oder ein Huhn sei.
Ron Wood ist damit durchgekommen, wie mit allem in seinem Leben. Die Ananas
steht, Wood lebt. Seit fast einem Jahrzehnt ist der langjährige Gitarrist
der Rolling Stones bereits trocken, vor vier Jahren ist er noch einmal
Vater geworden, diesmal von Zwillingen. Erst kürzlich bekam eine Reporterin
des britischen Guardian Zutritt zu seinem Atelier-Cottage, in dem er sich
als Maler austobt. Sie traf auf einen überaus freundlichen, entspannten
Gastgeber.
In dieser Phase tritt nun Mike Figgis in Woods Leben. Seit 18 Jahren kennt
der britische Regisseur den Musiker, über zwei Jahre hat er ihn für seinen
Dokumentarfilm „Ronnie Wood – Somebody Up There Likes Me“ begleitet. Higg…
hat sich mit dem Alkoholikerdrama „Leaving Las Vegas“ einen Namen als
sensibler Porträtist gequälter Seelen gemacht. Als Stones-Chronist begibt
er sich nun auf glattes Eis: Martin Scorseses Konzertfilm „Shine A Light“
von 2008 war eine solide Hommage, während die TV-Doku „Being Mick“ über
Mick Jagger vor fast 20 Jahren von gleich zwei Regisseuren glorios vergurkt
wurde. Keith Richards muss sich für sein filmisches Denkmal „Under The
Influence“ von 2015 weniger schämen.
Nun also soll Figgis’ Film klären, wie aus dem Arbeiterjungen Wood der
koksnasige Halbgott wurde, der auf Partys einen eigenen Bunsenbrenner für
den Drogenkonsum mitbrachte – und wie dieser Mensch sich selbst überlebt
hat. Wood gesteht gleich zu Beginn, dass es ihm surreal „wie ein
Dalí-Gemälde“ vorkommt, so alt geworden zu sein, was ihn zu dem
filmtitelwürdigen Zitat führt: „Somebody up there likes me“ – jemand da
oben mag mich. Aber, setzt Wood nach, irgendwer hier unten offenbar auch.
Lotterleben ohne Angst vor Konsequenzen
Wood beschreibt sein Elternhaus, in dem Trinken und Rauchen so normal waren
wie Müllraustragen. Seine Kindheit in der Nordlondoner Working Class,
erzählt Wood, habe ihn bestens auf ein Lotterleben ohne Angst vor
Konsequenzen vorbereitet. Den betrunkenen Vater musste er immer mal aus
einem der Vorgärten in der Nachbarschaft aufsammeln.
Während man Woods Reise in den Olymp begleitet, vom Mitglied der Jeff Beck
Group und der Faces zum Stones-Gitarristen, trifft man – natürlich – seine
Wegbegleiter:innen. Die Bandkollegen Mick Jagger und Keith Richards, sein
ewiger Sparringpartner an der Gitarre, haben nur Wertschätzendes zu sagen,
allein die Erinnerungen des Schlagzeugers Charlie Watts fallen ein wenig
schmallippiger aus.
Neben den Rolling Stones selbst kommt unter anderen Rod Stewart zu Wort,
mit dem Wood bei der Rockband Faces spielte, oder die irische Sängerin
Imelda May, eine Protegée Woods. Der Künstler Damien Hirst, der Wood einst
in die Entzugsklinik eingewiesen hatte, bescheinigt seinem Freund, besser
malen zu können als er selbst. Es sind recht übliche Verdächtige im
Wood-Kosmos, die Higgis als Kronzeug:innen gewählt hat.
Wood selbst tritt in Figgis’ Interviewszenen als grundsympathischer
Erzähler auf, der von seinem Publikum wenig zu verlangen scheint – schon
gar kein Mitleid wegen der schweren Zeit, die ihm seine Liebe zum Rausch
beschert hat. Higgis präsentiert uns (zur Erleichterung der einen, zur
Enttäuschung der anderen) einen völlig untragischen Rockstar, der sich
geläutert gibt, aber trotzdem ganz schön ins Schwärmen gerät, wenn er über
seine heftigsten Acid-Trips erzählt.
Schulmeisterlich inszeniert
Viel mehr als die klassischen Anekdoten aus dem Rock-’n’-Roll-Kanon kommt
bei alledem aber selten rum. Ob Wood sein Hang zum Risiko nicht auch schon
Schwierigkeiten gebracht habe? Nein, vor allem viel Freude. Ob er ein
Suchtcharakter sei – oder erst zum Süchtigen geworden? Das frage er sich
auch, sagt Wood darauf. Es komme ihm vor, als ob er manche Dinge einfach zu
gern möge.
Das sind keine Erkenntnisse, die einen überraschen würden. Ebenso wenig wie
die Zeitdiagnosen und -beschreibungen: Mick Jagger erinnert sich daran, wie
er sich einst mit seiner Leidenschaft für simplere Spielarten der Popmusik
dem Coolness-Dogma der Jazzkids widersetzte, Wood erzählt von seiner ersten
Gitarre. Zwischen den Interviewsequenzen kriegt man Konzertmitschnitte von
den Birds, den Stones oder der Jeff Beck Group zu sehen, weil, na ja, warum
halt auch nicht. Und sonst? Lässt Figgis Wood den Blues spielen oder zu
Klaviermusik konzentriert eine Tänzerin malen.
All das mag so schulmeisterlich inszeniert sein wie eine Dokumentation der
Öffentlich-Rechtlichen. Trotzdem ist „Somebody Up There Likes Me“ in
gewisser Weise ein sehr würdiger Film über den Gitarristen des wohl größten
tourenden Rockmonuments. Denn schließlich hat Figgis es hinbekommen, aus
einem Line-up geballter Rockstar-Exzellenz etwas ganz und gar
Unüberraschendes, aber Liebenswertes zu deichseln, das Fans verschlingen
werden – und Nichtfans zumindest nicht ärgern dürfte. Und das schaffen
sonst nur die Rolling Stones.
8 Jul 2020
## AUTOREN
Julia Lorenz
## TAGS
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