Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Film über Berliner SchauspielerInnen: Die EnthusiastInnen
> Christiane Nalezinski hat 25 Jahre lang den Werdegang von sechs
> KünstlerInnen verfolgt. Heraus kam die Doku „Wie wir einmal (fast)
> berühmt wurden“.
Bild: Stefan Stricker malt und betreibt eine Galerie
Wer sich noch immer nicht richtig vorstellen kann, wie verheerend Covid-19
für die Kunstszene, im Besonderen für die performativen Künste, also Musik
und Schauspiel, ist, der sollte sich unbedingt den Film „Wie wir einmal
(fast) berühmt wurden“ anschauen, mit dem jetzt das Moviemento in Kreuzberg
auf sehr glückliche Weise wieder seinen Kinobetrieb startet. Denn der Film
verfolgt über 25 Jahre hinweg den Werdegang von sechs Schauspielerinnen und
Schauspielern und stellt die Frage, wie es so lief und läuft mit ihrem
Traum vom selbstbestimmten Künstlerleben.
Ausgangspunkt ist die [1][1994 bis 1997 entstandene „Linsenstraße. Eine
Serie aus Kreuzberg“,] in der die sechs mitspielten. Als die für Kreuzberg
typischen genialen Dilettanten, darunter Philipp, der Trödler, Juwelia, die
entzückende Dragqueen, oder Marlene, hochtalentierte Schauspielerin mit
großer Zukunft, die aber am verhassten Schauplatz-Theater gleich mehrmals
abgelehnt und dieser Zukunft beraubt wird.
Marlene, nicht nur Protagonistin, sondern auch hinreißende Fernsehansagerin
der Serie, heißt als deren Autorin, Produzentin, Regisseurin und Cutterin
Christiane Nalezinski. Sie hatte die großartige Idee über die Jahre hinweg
ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen zu befragen. Beim ersten Mal 2004
waren die Zusammenkünfte noch einfach.
Mit Gabi Schmalz, Gábo der Performancekünstlerin in der „Linsenstraße“ u…
Stefan Stricker, der bezaubernden Juwelia, war die Filmemacherin noch immer
in Kontakt, aber auch Viola Livera, in der Serie die intrigante
Schauspielerin Carmen Livera, die von Nalezinski bei ihren späteren
Auftritten im Kempinski und bei Kriminaldinners gefilmt worden war, zeigt
sich offen für ein Gespräch. Dazu kam Wolf-Dirk Vogelei, der Yuppi aus
Charlottenburg, und Hans-Jörg Berchthold, Regisseur am Schauplatztheater,
der Marlene keine Rolle gibt.
## Wunderbarer Mix an Bildmaterial
Alle sind sie in den zehn Jahren nur fast berühmt geworden. Schmalz, die
vier Jahre Schauspielerei an der HdK, heute UdK, studiert hatte, befand
schon 2004: „Meine Karriere ist gescheitert!“. Die anderen schlugen und
schlagen sich weiter mehr oder minder erfolgreich durch, was zu beobachten
wirklich spannend und berührend ist. Viola Livera gründete eine freie
Theatergruppe in Hamburg und konzipiert fantasievolle Events wie „Die
Straße der Poesie“, die es bis nach Marseille geschafft hat. Dirk Vogelei
kommt mit der Schauspielerei über die Runden und hat ein zweites Standbein
als Händler auf Kunsthandwerksmärkten.
[2][Stefan Stricker, der auch malt, betreibt 2014 eine Galerie, in der er
seine Bilder zeigt]. Und er kann davon berichten, dass er seine Bilder auch
schon in New York gezeigt und restlos verkauft hat. 2017 wurde er in Rosa
von Praunheims „Überleben in Neukölln“ bekannt. Schönerweise lässt
Christiane Nalezinski viel Raum in ihrer Langzeitdokumentation, sich die
Biografien zusammenzureimen. Das macht die Sache spannend, dank auch einem
wunderbaren Mix an Bildmaterial, seien es alte Filmausschnitte oder
Aufnahmen aus aktuellen Produktionen und Projekten.
Noch spannender ist aber, was die Protagonisten in erstaunlicher Offenheit
und großer Reflektiertheit über ihr Leben und ihre Kunst, über ihren
Ehrgeiz oder einer wenig zur Profession passenden Zurückhaltung berichten.
Über die beglückenden Aspekte ihrer Arbeit, etwa wenn Gabi Schmal sagt,
hier sei unmöglich zu sein möglich, ja, es sei normal, unmöglich zu sein.
## Institutionen der Verhinderung
Natürlich geht es auch um die Frage, was den Erfolg verhindert, wenn es
offensichtlich an Talent nicht mangelt. Und da erläutert Jörg, der wohl am
meisten mit seiner Entscheidung für die Schauspielerei hadert, sehr klug
und einsichtig, wie es einfach daran mangeln kann, „für sich selbst zu
sorgen“.
Auffällig auch, als wie wenig hilfreich die Schauspielschule und ihre
Lehrer*innen beschrieben werden, im Gegenteil scheinen die Institutionen,
wie am Beispiel Schauplatz-Theater in der Linsenstraße, vor allem darum
bemüht, das Selbstbewusstsein der Schauspieler zu unterminieren. Das zieht
sich durch bis zu den Institutionen der Filmförderung, die nicht in der
Lage sind, das weiß Gott förderungswürdige Potenzial einer
Langzeitbeobachtung wie „Wie wir einmal (fast) berühmt wurden“ zu erkennen.
Dabei transzendiert Christiane Nalezinskis Film in seiner Form das
Dokumentarische und hebt das Drama hervor, unter anderem mit der Rixdorfer
Kantorei, dem Chor, der die Schilderungen kommentiert, mit Eduard Mörike,
vertont von Peter Schindler: „Die Welt wär’ ein Sumpf, stinkfaul und matt,
ohne die Enthusiasten: Die lassen den Geist nicht rasten, die besten
Narren, die Gott lieb hat, mit ihrem Treiben und Hasten.“
3 Jul 2020
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!1436765&s=Linsenstra%C3%9Fe&SuchRahmen=Print/
[2] /Archiv-Suche/!5318862&s=Dragqueen+Juwelia&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Film
Schauspieler
Kultur in Berlin
Kino Berlin
Filmrezension
Kunst Berlin
Kino
zeitgenössische Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Doku über Stones-Gitarristen Ron Wood: Der untragische Rockstar
Regisseur Mike Figgis hat eine Doku über den Rolling-Stones-Gitarristen Ron
Wood schulmeisterlich inszeniert – unüberraschend, aber liebenswert.
Kunstaktion auf Tempelhofer Feld: Ein Appell an Freiheit und Vielfalt
Nackt auf dem Tempelhofer Feld: Mit einem Shooting endete das dreijährige
Projekt „Naked Berlin“ des Künstlerduos Mischa Badasyan und Abdulsalam
Ajaj.
Erinnerungsfilm von Ulrike Ottinger: Sich treiben lassen in der Stadt
Eine Bildungsreise nach Paris, natürlich von Chansons begleitet: Die
Filmemacherin Ulrike Ottinger stöbert in „Paris Calligrammes“ in Archiven
Doku „Christo – Walking on Water“: Hübsch verschwiegen
Der Film thematisiert die Installation „Floating Piers“ von Jeanne-Claude
und Christo. Die Dramatik des Projekts kann sich im Film nicht richtig
entfalten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.