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# taz.de -- Kunstaktion auf Tempelhofer Feld: Ein Appell an Freiheit und Vielfa…
> Nackt auf dem Tempelhofer Feld: Mit einem Shooting endete das dreijährige
> Projekt „Naked Berlin“ des Künstlerduos Mischa Badasyan und Abdulsalam
> Ajaj.
Bild: Mischa Badasyan vorneweg: Samstagmorgen (27. Juni 20) um sechs, auf dem T…
Berlin taz | Ksusha Kazimirova steht am Samstagmorgen um sechs Uhr in der
Frühe auf dem Tempelhofer Feld – und weint. Sie ist nackt. Vor ihr steht
ein Mann in etwa 15 Metern Abstand. Auch er ist nackt. So stehen etwa
zwanzig Menschen hintereinander in Reihe. Keine(r) bewegt sich. Eine Drohne
fliegt über ihre Körper. Das Künstlerduo Mischa Badasyan und Abdulsalam
Ajaj filmen und fotografieren [1][die letzte Serie ihres dreijährigen
Projekts „Naked Berlin“.]
Kazimirova zeigt sich zum ersten Mal vor einer Kamera nackt. „In der
Situation, in der ich mich nicht bewegen und so lange nackt stehen bleiben
musste, habe ich meinen Körper akzeptiert. Meine Tränen flossen, weil ich
mich selbst mit allen Schwächen und Fehlern angenommen habe“, sagt die
33-Jährige. „Es war ein glücklicher Moment.“ Seit Freitag ist es genau ein
Jahr her, dass sie ein alkoholfreies Leben führt. In der Reihe der Nackten
fallen ihre Tattoos auf – vor allem die Matroschka (hölzerne Puppe in der
Puppe – Anm. d. Red.), die ihr ganzes Bein bedeckt. Die
Floristen-Designerin kommt aus der Ukraine und wohnt seit vier Jahren in
Berlin.
Ein doppeltes Glück. Sie habe ihre Sozialisationskomplexe abgelegt, sie
brauche keinen Alkohol mehr, um Mut zu haben, cool zu bleiben und sich zu
lieben. Die Zeiten seien vorbei, als sie in den Spiegel guckte und heulte,
weil sie ihren Körper schrecklich fand.
Anders bei Tim Othéo, der sich mit pornografischer Kunst auskennt und
selbst ein Solodarsteller ist. Bei ihm geht es um kollektives Nacktsein.
„Wenn ich mich nackt an den See lege, dann genieße ich das. Es ist nicht
unbedingt geil, sondern ich genieße das Gefühl, als schön empfunden zu
werden. Und hier genieße ich es, das Gleiche mit anderen Menschen machen zu
können“, sagt Othéo.
## „Wie ekelhaft seid ihr“
Aber nicht nur Künstler*innen ziehen sich aus. Auch ein Bürokaufmann, eine
Deutschlehrerin, ein Student am Fachbereich Maschinenbau wollen sich frei,
aufregend, süß und unschuldig fühlen.
Die Sonne knallt schon auf das Feld, obwohl es noch so früh ist. Jogger
laufen rücksichtsvoll an der nackten Gruppe vorbei, einige Passant*inen,
die gerade mit ihren Hunden spazieren gehen, lächeln. Ein bulliger Mann
hingegen brüllt: „Wie ekelhaft seid ihr, perverse Pädophile!“
Diesen Spruch haben die Performenden schon oft gehört. Bereits seit drei
Jahren finden die nackten Aktionen in Berlin statt. So haben schon viele
Menschen vor der Kamera nackt positioniert – mal am Wasserfall im
Viktoriapark in Kreuzberg, mal auf den Treppengeländern verschiedener
U-Bahn-Stationen.
In seinen Performances will Badasyan drei Elemente verbinden: Stadt,
Architektur und Körper. „Es geht vor allem um Body Positivity. Ich will den
echten, den normalen Körper zeigen, den eigentlich die Mehrheit hat“, sagt
Badasyan. Auf der anderen Seite will er auf die Bedeutung des öffentlichen
Raums aufmerksam machen.
## „Stadt für Menschen zurückerobern“
Daher hat er das Tempelhofer Feld für sein Fotoshooting nicht zufällig
ausgesucht: „Wetter und Sonne schaffen hier ein Bild vom Paradies. Man
läuft über ein Feld direkt in der Stadt und sieht kein Ende. Das gibt mir
ein Gefühl von Freiheit“, sagt Badasyan.
Doch diese Freiheit hat ihre Grenzen. Nach wenigen Minuten kommt die
Security und fordert auf, die „Provokation“ zu beenden und das Feld zu
verlassen. Die Sicherheitsleute sind frech, aggressiv und angriffslustig.
Das sei privates Gelände. Damit ist die Sache erledigt.
„Ich frage mich immer, welche Räume bleiben für die Öffentlichkeit“, sagt
Badasyan. „Ich will die Stadt für die Menschen zurückerobern.“ Sich
provozieren lassen will er auf keinen Fall. Deswegen macht er seine
Fotoshootings immer ganz früh am Tag. „Es geht gar nicht darum, ob wir
unsere Titten, Schwänze und Ärsche zeigen und damit andere belästigen“,
sagt er und ärgert sich: „Wir wollen öffentliche Räume für uns alle haben…
Die Nacktaktion ist vorbei, doch sie wird nachwirken: Im September bringt
Badasyan zusammen mit dem Fotografen Ajaj einen Bildband mit den gesamten
Berliner Fotoshootings heraus. „Naked Berlin soll ein Appell an die
Öffentlichkeit, an Freiheit und Vielfalt sein“, sagt Badasyan.
29 Jun 2020
## LINKS
[1] https://www.iqmf.nl/programme/naked-berlin-city-interventions/
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
## TAGS
Kunst Berlin
Kunststandort Berlin
Body Positivity
Nacktheit
Öffentlicher Raum
Football
Kunstkritik
Film
zeitgenössische Kunst
fat shaming
HipHop
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