# taz.de -- Zum Tod von Rolling Stone Charlie Watts: Schlagendes Herz der Band | |
> Charlie Watts mochte keine Schlagzeugsoli – also spielte er sie nicht. | |
> Dafür züchtete der Trommler der Rolling Stones später, very British, | |
> Pferde. | |
Bild: Charlie Watts spielte mit dem „Traditional Grip“, wie an seiner linke… | |
Es ist vielleicht die schönste Szene im Film: Die Rolling Stones, schwer | |
angejahrte Rockherren, spielen 2006 im New Yorker Beacon Theatre, gefilmt | |
von einer Kameracrew [1][Martin Scorseses für seinen Konzertfilm „Shine a | |
Light“]. Bei „Just my Imagination“, dem Cover eines Temptations-Songs, | |
schwebt eine der Kameras vorsichtig hinter dem Podest hervor, filmt den | |
damals 65-Jährigen von der Seite. Der trommelt ungerührt weiter, verzieht | |
nur leicht genervt das Gesicht. Die Kamera zieht sich schnell, fast | |
entschuldigend wieder zurück. | |
Denn von ihm aus müsste man ihn gar nicht beachten: Er hatte es nie so mit | |
dem „Fame“. Charlie Watts, der am Dienstag im Alter von 80 Jahren starb, | |
war vielleicht der Einzige aus dem kleinen, aber einflussreichen Umfeld der | |
60er-Jahre-Ikonen, dem der Rock-Olymp kaum etwas anzuhaben schien. | |
Den unterschiedlichen Selbstdarstellern in seiner Band, dem | |
energetisch-beweglichen Gockel Jagger, dem fransengeschmückten, gutherzigen | |
Keith Richards und dem [2][kantigen Haudrauf-Typen Ronnie Wood], bot er von | |
seinem bescheidenen Kit aus eine sichere Bank. „Er war das Bett, auf dem | |
ich musikalisch liege“, nannte Richards es einst in seiner Autobiografie. | |
## Trommeln mit Jazzhaltung | |
Geboren wurde Watts am 2. Juni 1941 in London, er wuchs im stark zerstören | |
Nordwesten der Stadt auf. Mit 13 begann er, inspiriert von seiner | |
Leidenschaft für den Jazz und seiner Jazzsingle-Sammlung, zu trommeln – | |
natürlich im „Traditional Grip“, der Jazzhaltung, bei der die linke Hand | |
den Stick nicht umfasst, sondern ihn locker zwischen Mittel- und Ringfinger | |
schwingen lässt. Ein seltener Habitus bei Schlagzeugern, die sich das Spiel | |
selbst beibrachten. | |
Nach der Schule arbeitete er als Grafikdesigner und schrieb und | |
illustrierte ein Kinderbuch über Charlie Parker. Nebenbei spielte er in | |
Jazzbands, wechselte zum damals frisch heranrollenden Ryhthm and Blues. Die | |
Stones, die er 1962 kennenlernte, konnten sich ihn zunächst nicht leisten. | |
Doch 1963 zahlten sie ein Salär von fünf Pfund pro Woche, und er wurde | |
deren festes Mitglied. Von diesem Zeitpunkt an saß er stets stoisch, | |
verlässlich und außerordentlich gut gekleidet hinter dem Set, spielte den | |
Song – und nicht sich in den Vordergrund. | |
„Ich mag keine Schlagzeugsoli, und ich spiele sie nicht“, sagte Watts | |
einst. Anders als bei den legendären Krawalltrommlern der Zeit (John | |
Bonham, Keith Moon oder Ginger Baker), deren Talente unterschiedlich waren, | |
die aber musikalische Duftmarken setzten, unterfütterte Watts den weißen | |
Rhyhm ’n’ Blues mit steady Beats und kurzen, prägnanten Fills und prägte | |
Songs wie „Get Off of My Cloud“, „Honky Tonk Woman“ und nicht zuletzt �… | |
Can’t Get No) Satisfaction“ durch seine simplen, aber überzeugenden | |
Rhythmusideen. | |
Die live zuweilen wackelten: Legendär belegt ist Watts’ süß vertüddelter | |
Auftakt zu „Jumpin’ Jack Flash“ auf dem Livealbum „Get Yer Ya-Ya’s Ou… | |
## Wie ein distinguierter, begossener Pudel | |
Watts überließ den Frontmännern gern die Front – bei einem Konzert im Jahr | |
2018 in Coventry an Watts’ 77. Geburtstag holt ihn Mick Jagger bei der | |
Vorstellung der Band nach vorn, um mit den Fans „Happy Birthday“ zu singen. | |
Und Watts, der das zunächst gestisch zu verhindern versucht, steht | |
unbehaglich dabei, wie ein freundlicher, distinguierter, begossener Pudel. | |
Dass er 1964 die Kunststudentin und Bildhauerin Shirley Ann Shepherd | |
heiratete und mit ihr bis zu seinem Tod verheiratet blieb, kann man schon | |
fast als Affront gegenüber einer Zeit deuten, in der der „Sex“ noch vor den | |
„Drugs“ und dem „Rock ’n’ Roll“ genannt wurde – und Sex in der Eh… | |
schon mal gar nicht gemeint. Die beiden verband die Liebe zur Kunst, später | |
das Interesse an der Pferdezucht: Die Watts widmeten sich dem britischsten | |
aller skurrilen Hobbys und hielten auf ihrem Landsitz in der Grafschaft | |
Devon Araberhengste. | |
Täler durchwanderte Watts in den 80ern, als er nach eigenen Worten in der | |
Midlife-Crisis steckte und Amphetamine und Heroin konsumierte. Sein | |
Selbsterhaltungstrieb war jedoch stärker, er entzog und wurde nie | |
rückfällig. Eine Krebserkrankung überstand er 2004, die aktuelle | |
Stones-Tournee, die – durch Corona unterbrochen – noch bis Oktober dieses | |
Jahres gehen soll, konnte er allerdings krankheitsbedingt nicht mehr wieder | |
aufnehmen: Seit Anfang August trommelt Steve Jordan für ihn. | |
Wie lange das so weitergeht, ist fraglich. Denn die Rolling Stones sind | |
schon mindestens seit den 90ern mehr oder minder gut funktionierende | |
Rock-’n’-Roll-Parodien. Ohne Watts jedoch werden sie zu krakeelenden | |
Schatten ihrer selbst: Charlie Watts ist und bleibt das Herz der Band. Und | |
der Schlagzeuger der Herzen. | |
25 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Scorseses-Rolling-Stones-Konzertfilm/!5184247 | |
[2] /Doku-ueber-Stones-Gitarristen-Ron-Wood/!5694256 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Rolling Stones | |
Nachruf | |
Schlagzeuger | |
Pferde | |
Mick Jagger | |
Popstar | |
Rolling Stones | |
Kinofilm | |
Rolling Stones | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mick Jagger wird 80: 50 Jahre Selbstplagiat | |
Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger feiert seinen 80. Geburtstag. Ein | |
Ständchen mit gemischten Gefühlen. | |
Album „30“ von Popstar Adele: Mit ganz großem Orchester | |
Streicher und Herzschmerz dominieren Adeles neues Album „30“. Die Songtexte | |
können es mit der Komplexität ihrer Musik nicht aufnehmen. | |
Nachruf auf Charlie Watts: Rollen und Trommeln | |
Er trommelte bei den Rolling Stones, war stilbewusst und liebte den Jazz: | |
Der Drummer Charlie Watts ist am Dienstag mit 80 Jahren in London | |
gestorben. | |
Doku über Stones-Gitarristen Ron Wood: Der untragische Rockstar | |
Regisseur Mike Figgis hat eine Doku über den Rolling-Stones-Gitarristen Ron | |
Wood schulmeisterlich inszeniert – unüberraschend, aber liebenswert. | |
Konzert der Rock'n'Roller in Berlin: Damen und Herren, die Rolling Stones | |
Sie sind längst Teil des Weltkulturerbes und ein Ereignis, das man mal | |
gesehen haben sollte: Die Rolling Stones spielten am Freitag in Berlin. |