# taz.de -- Scorseses Rolling-Stones-Konzertfilm: Mick Jagger soll nicht brennen | |
> Zwei Stunden Stones-Konzertmitschnitt und zwischendrin hüpft Regisseur | |
> Martin Scorsese herum. Soll man sich "Shine a Light" ansehen? Ja, sagt | |
> STEFAN GRISSEMANN | |
Bild: Fand die Stones schon immer knorke: Martin Scorsese (mitte) | |
Dass es nicht ganz leicht sein würde, mit einer lebenden Legende, einer | |
vierköpfigen Hydra namens The Rolling Stones Abmachungen zu treffen, hätte | |
dem Filmemacher Martin Scorsese klar sein müssen. Aber vielleicht hat er | |
die sich unweigerlich einstellenden Organisationsprobleme ja auch gesucht: | |
Sie versorgen seinen Film jedenfalls mit einem wunderbaren Prolog. | |
Während der ersten Viertelstunde seiner jüngsten Arbeit, die er, einem | |
Songtitel folgend, "Shine a Light" genannt hat, zeichnet Scorsese jenes | |
Chaos nach, das anlässlich der Produktion eines Konzertfilms, der an zwei | |
Abenden unter Mitwirkung der eigensinnigen Musiker Ron Wood, Charlie Watts, | |
Keith Richards und Mick Jagger gedreht werden soll, ausgelöst wird: Jagger | |
denkt nicht daran, sich auf einen Konzertablauf festzulegen, bastelt bis | |
zuletzt an den Songlisten herum, während Scorsese an der Seite seiner | |
Cheforganisatoren, die ihn mit Detailfragen zu Kamerakränen und filmischen | |
Choreografien bedrängen, immer nervöser wird. Als ihm mitgeteilt wird, dass | |
er mit den gigantischen Scheinwerfern vorsichtig sein müsse, da alles, was | |
ihnen zu nahe käme, tatsächlich in Flammen aufginge, entgegnet er | |
entgeistert ("What do you mean: fire?") und mit todernstem Gesicht, aber | |
keineswegs ohne Bewusstsein für sein eigenes komisches Talent, dass sie | |
einen Mick Jagger jetzt beim besten Willen nicht einfach so einäschern | |
könnten. | |
"Shine a Light" protokolliert zwei Stones-Konzerte, die im Herbst 2006 im | |
vergleichsweise intimen Rahmen des New Yorker Beacon Theater, auf Einladung | |
von Bill und Hillary Clinton als Fundraising-Veranstaltungen über die Bühne | |
gingen. Unter der Leitung von Chefkameramann Robert Richardson werden das | |
Stones-Quartett und seine unzähligen Begleit- und Gastmusiker in den Blick | |
eines ganzen Geschwaders hochmobiler Filmaufzeichnungsgeräte genommen, die | |
dem Bewegungsvirtuosen Mick Jagger ein äquivalentes Energiezentrum sind. | |
Scorsese nutzt die Gelegenheit, um in aller Präzision, fast sachlich, das | |
Handwerk des Rock n Roll, die physische Arbeit an der Musik aufzuzeichnen. | |
Man kann Martin Scorsese nicht vorwerfen, dass er seine Reputation als | |
einer der innovativsten Filmemacher der Gegenwart mit aller Kraft zu | |
verteidigen suchte. Der 65-Jährige gibt sich, wenn er zwischendurch aufs | |
popdokumentarische Format zurückgreift ("The Last Waltz", 1978; "No | |
Direction Home", 2005), gelassen. Konventionen des Genres scheut er nicht. | |
So findet sich die einzige Schwäche dieses neuen Films in den launigen | |
Rückgriffen auf Archivmaterial aus der Frühzeit der Rolling Stones: Als | |
hätte Scorsese dem Konzept der differenzierten Zustandsbeschreibung, des | |
privilegierten Blicks auf eine längst mythische Band am Ende doch nicht | |
ganz vertrauen wollen, verschneidet er das Konzert mit heiteren | |
Interviewpassagen, die in ihrem Substanzmangel mit dem Rest des Films nicht | |
ganz mithalten können. | |
"Shine a Light" ist dennoch überreich an großen, auch prosaischen Momenten: | |
Ron Wood stellt sich Hillary Clintons betagter Mama vor dem Konzert mit | |
allerbravstem Pennälergrinsen und den Worten "Hi, Im Ronnie" vor, während | |
Tochter Hillary das Zuspätkommen ihrer Mutter nicht ganz fassen kann ("Mom, | |
you kept the Rolling Stones waiting!"). Später drischt Keith Richards | |
achtlos, unablässig versunken lächelnd in die Saiten seiner Gitarren; | |
Schlagzeuger Charlie Watts demonstriert seinen ausgelaugten Gesamtzustand | |
selbstironisch mit direktem Blick ins Kameraobjektiv; und der hochtourige | |
Jagger erweist sich noch einmal als der elastischste Mittsechziger in der | |
internationalen Musikszene. | |
Der präzise Blick, den Scorsese und seine Mitarbeiter auf die Arbeit der | |
Band und ihrer Bühnengäste richten, ist die Essenz dieses Films; ohne die | |
Genauigkeit, ohne die unerhörte Nähe der Filmemacher zu den Porträtierten | |
wäre "Shine a Light" nur ein Konzertfilm unter vielen geworden. Unter | |
diesen Umständen aber gelingt in dieser Arbeit, soweit sie sehen lässt, | |
Besonderes, Beseeltes, Inspiriertes; Detailansichten des Zusammenhangs von | |
Liebe und Routine in der Produktion der Klangware Rock n Roll. Die Magie | |
vieler Bilder dieses Films teilt sich unmittelbar mit: ein langes Close-up | |
etwa des in die Musik eintauchenden alten Blues-Virtuosen Buddy Guy; der | |
Funkenflug der glimmenden Zigarettenasche, die Richards gedankenverloren in | |
die Luft streut; die sympathische Nervosität des jungen Jack White, der auf | |
der Bühne eine Weile braucht, um sich an die unfassbare Situation zu | |
gewöhnen, ein Stück an der Seite Mick Jaggers singen zu dürfen. "Shine a | |
Light" zeigt eine in unabänderlicher Coolness alternde Band: eine | |
Rock-Institution im Frühherbst ihres Bestehens. | |
3 Apr 2008 | |
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Kanada | |
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