| # taz.de -- Berlinale „Amazing Grace“: Party mit dem Heiland | |
| > Mit einem Auftritt in L.A. kehrte Aretha Franklin 1972 zu ihren Wurzeln | |
| > zurück. Der Film „Amazing Grace“ zeigt die reparierten Aufnahmen. | |
| Bild: Göttliche Kraft des Soul: Franklin bei Live-Aufnahmen in der New Temple … | |
| „Das unfassbare Etwas“ [1][in der Stimme von Aretha Franklin,] davon | |
| spricht ihr Vater, der Baptistenprediger C. L. Franklin, in einem | |
| himmelblauen Anzug gekleidet. Korrekt, Aretha Franklins stimmliche | |
| Eruptionen sind unfassbar: Wie eine Sprengmeisterin ihrer selbst lässt | |
| sie Emotionen detonieren und diese scheinbar zufällig wie Musik klingen. | |
| Es ist Tag 2 ihres Auftritts in der New Temple Missionary Baptist Church in | |
| Los Angeles. Ein besonderes Konzert, denn die First Lady of Soul, 1972 | |
| längst ein Superstar mit mehr als 20 Nummer-eins-Hits, hatte sich | |
| entschieden, zu ihren Wurzeln zurückzukehren und ein Album live | |
| einzuspielen, mit Gospelstandards. Das Konzert sollte 1972 als Doppelalbum | |
| „Amazing Grace“ veröffentlicht werden. | |
| Regisseur Sidney Pollack begleitete die Liveaufnahmen an beiden Tagen | |
| zusätzlich mit einem Filmteam. Weil Ton und Bild nicht synchron liefen, | |
| wurden die Aufnahmen nie fertiggestellt. Sie zu reparieren, gelang erst | |
| 2015 mit Hilfe digitaler Technik. Zunächst ohne Folgen, denn zu Lebzeiten | |
| hatte sich Franklin entschieden, dass der Film nicht gezeigt werden darf. | |
| Erst nach ihrem Tod 2018 gab die Familie die Aufnahmen frei. | |
| 1972 war sie noch keine Diva, trotz Dreharbeiten, Aufnahmemodalitäten und | |
| der sehr persönlichen Rede ihres Vaters tupft sie sich an jenem Abend in | |
| Los Angeles nur kurz die Stirn, bleibt ansonsten ungerührt. Ihr Vater | |
| schiebt eine göttliche Punchline hinterher: Es gehe um mehr als nur um die | |
| Stimme seiner Tochter. Das habe er verstanden, als er Anzüge aus einer | |
| Reinigung abgeholt habe und die Verkäuferin meinte, sie habe seine Tochter | |
| im Fernsehen performen gesehen, „schön und gut“, lieber sei ihr, Aretha | |
| käme endlich zurück in den Schoß der Kirche. Woraufhin C. L. Franklin | |
| lapidar sagt: Aretha Franklin habe die Kirche nie verlassen. Sie lacht | |
| verschmitzt. | |
| Nah bis an die Schweißperlen | |
| Pollacks Filmaufnahmen sind nah dran an der Choreografie eines | |
| Gospelgottesdienstes, nehmen die Fieberkurve der Stimmen auf, zeigen auch | |
| die dynamische Raffinesse der SängerInnen des Chors und des Leiters | |
| Alexander Hamilton, der beim funky Dirigat auch mal die Blackpower-Faust | |
| ballt. Mehrmals entspannen sich irre Call-&-Response-Duelle zwischen dem | |
| Chor und dem Reverend James Cleveland, Pianist und kongenialer Master of | |
| Ceremonies. | |
| Die Kameras kleben an den Gesichtern der MusikerInnen, ihren | |
| Halsschlagadern und Zähnen, den Schweißperlen. Es wird hart gearbeitet im | |
| Weinberg des Herrn. „Zwischendurch könnt ihr ‚Amen‘ rufen“, fordert | |
| Cleveland die ZuschauerInnen auf, „oder das nächstbeste Wort nach Amen.“ In | |
| den hinteren Kirchenbänken sind Musikerkollegen kurz zu sehen, Mick Jagger | |
| und Charlie Watts sowie Jazzbassist Charles Mingus. Die Musik spielt aber | |
| vorne, wo die ZuschauerInnen immer stärker eingreifen, dazwischenrufen, | |
| aufgeputscht von den Botschaften der Songs, etwa „Precious Memories“, | |
| „Climbing Higher Mountains“ und zum glorreichen Finale „Never Grow Old“. | |
| „Amazing Grace“ ist eine sinnliche Erfahrung, mehr Party mit dem Heiland | |
| als unterwürfige Frömmigkeit. | |
| 15 Feb 2019 | |
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| Julian Weber | |
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