# taz.de -- Verfassungsgericht und EU-Grundrechte: Karlsruhe will mehr Macht | |
> Deutsche Verfassungsrichter wollen Arbeit des EuGH teils übernehmen. | |
> Nationale Verfassungsgerichte würden die Probleme vor Ort besser kennen. | |
Bild: Urteilsverkündung im Karlsruher Bundesverfassungsgericht im November | |
Karlsruhe taz | Das Bundesverfassungsgericht kämpft gegen seinen | |
Bedeutungsverlust. Künftig will es auch Fälle entscheiden, bei denen es um | |
EU-Grundrechte geht und insofern der Europäische Gerichtshof (EuGH) | |
zuständig wäre. Das haben die Karlsruher Richter nun aus Anlass der | |
[1][beiden Entscheidungen zum „Recht auf Vergessenwerden“] beschlossen. | |
Das Problem ist bekannt. Wenn etwas durch die EU geregelt wird, gelten | |
EU-Grundrechte und nicht mehr die deutschen Grundrechte. Zum Beispiel wäre | |
die Anwendung des EU-Datenschutzrechts nur noch ein Fall für den EuGH, aber | |
nicht mehr für das Bundesverfassungsgericht. | |
Verfassungsrichter Johannes Masing, der die beiden aktuellen Beschlüsse | |
vorbereitet hat, kritisiert das schon seit Jahren. Die nationalen | |
Verfassungsgerichte kennen die Probleme vor Ort besser als der ferne EuGH, | |
argumentierte er. Karlsruhe habe gerade bei der Abwägung von | |
Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit präzise Lösungen gefunden, die | |
verloren gingen, wenn künftig der EuGH zuständig wäre. | |
Nun propagiert das Bundesverfassungsgericht ein neues Modell, das mit den | |
offiziellen Regeln wenig zu tun hat. Danach soll das deutsche | |
Verfassungsgericht auch zuständig bleiben, wenn eine Materie voll | |
EU-harmonisiert ist, wie etwa der Datenschutz. Die Karlsruher Richter | |
wollen ab sofort einfach selbst die EU-Grundrechte schützen. | |
Außerdem soll das Bundesverfassungsgericht auch zuständig bleiben, wenn das | |
EU-Recht noch nationale Spielräume belässt. Im Datenschutzrecht ist das | |
etwa der Fall, wenn es um Medien und ihre Privilegien geht. Hier will | |
Karlsruhe weiter deutsche Grundrechte anwenden. | |
Für die Bürger hat das Karlsruher Manöver Vorteile. Denn sie können | |
weiterhin mit der Verfassungsbeschwerde direkt ihre Grundrechte einklagen. | |
Eine ähnliche Direktklage zum EuGH fehlt bislang. Allerdings ist der | |
Grundrechtsschutz in Karlsruhe und Luxemburg nicht immer identisch. Doch | |
die Karlsruher Richter versprechen: Wenn der deutsche Schutz hinter dem | |
EU-Niveau zurückbleibt, wollen sie den EuGH einschalten. | |
Dieser soll das Letztentscheidungsrecht im EU-Bereich behalten. Dies ist | |
schon deshalb wichtig, weil sonst illiberale Demokratien wie Ungarn und | |
Polen mit ihren willfährigen Verfassungsgerichten das deutsche Vorbild | |
aufgreifen und EU-Garantien unterlaufen könnten. Bisher hat das | |
[2][Bundesverfassungsgericht vor allem versucht, den EuGH zu | |
kontrollieren], damit er seine Kompetenzen nicht überschreitet und den | |
Identitätskern des Grundgesetzes achtet. Nun wollen die Karlsruher Richter | |
erstmals selbst Arbeit des EuGH übernehmen. | |
Was der EuGH von diesem Coup hält, wird man bald erfahren. Am 28. November | |
diskutiert der EuGH-Präsident Koen Lennaerts bei einer Veranstaltung in | |
Triberg (Baden-Württemberg) mit Stephan Harbarth, dem designierten | |
Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und jetzigen Vize. | |
28 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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