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# taz.de -- Containerinnen über Konsum: „Lebensmittel wertschätzen“
> Caroline Kuhn und Franziska Schmitt sollen wegen Containerns bestraft
> werden. Jetzt ziehen sie vor das Bundesverfassungsgericht.
Bild: Lebensmittel aus einer Wohngemeinschaft, die vom Containern lebt
taz: Frau Kuhn und Frau Schmitt, Sie sind wegen [1][Containerns] verurteilt
worden, also weil sie noch essbare Lebensmittel aus dem Müll eines
Supermarkts herausgefischt haben. Jetzt wollen Sie vor dem
Bundesverfassungsgericht gegen das Urteil vorgehen. Aber ist die Sache
verfassungsrechtlich nicht eindeutig? Artikel 14 des Grundgesetzes
garantiert schließlich das Recht auf Eigentum. Und die Lebensmittel in der
Mülltonne eines Supermarkts sind nun mal Eigentum des Supermarkts.
Franziska Schmitt: Natürlich ist der Schutz des Eigentums wichtig. Die
Frage ist nur, wie weit dieser Schutz geht. Es gibt nämlich im Grundgesetz
auch noch den Artikel 20a, der einen Schutz der Lebensgrundlagen vorsieht.
Und da fragen wir uns schon, ob ein Interesse, das eigene Eigentum zu
vernichten, noch zu rechtfertigen ist – wenn es unser aller
Lebensgrundlagen betrifft. Das ist ein Spannungsverhältnis, über das wir
diskutieren müssen.
Caroline Kuhn: Artikel 14 besagt übrigens auch, dass Eigentum verpflichtet.
Und unserer Meinung nach verpflichtet es eben auch zum Ressourcenschutz.
Verurteilt worden sind Sie zu acht Stunden gemeinnütziger Arbeit – und
einer Geldstrafe auf Bewährung. Eigentlich ein [2][mildes Urteil], wenn man
es mit den Strafbefehlen über 1.200 Euro vergleicht, die Ihnen die
Staatsanwaltschaft zuvor zugeschickt hatte.
Kuhn: Im Vergleich dazu, ja. Aber wir sind trotzdem schuldig gesprochen
worden. Und da es uns nicht nur um unsere persönliche Straffreiheit,
sondern um die prinzipielle Frage geht, wie man mit diesem Thema umgeht,
sind wir vor das Bayerische Oberste Landesgericht gezogen.
Ging es Ihnen beim Containern auch um die prinzipielle Frage – oder um das
Essen?
Kuhn: Natürlich tut es uns weh, wenn wir Joghurts oder Bananen in der
Mülltonne sehen, die man noch essen könnte. Aber wir wollen durch das
Containern auch auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen.
Schmitt: Früher sind wir recht unbedarft an das Thema rangegangen. Wir
haben die Lebensmittel im Müll gesehen und gedacht: Lebensmittel sind dazu
da, Menschen zu ernähren, also nutzen wir sie auch so. Deshalb hätten wir
das nie als kriminellen Akt empfunden – aber eben auch nicht als politische
Aktion. Erst nach der Anklage haben wir uns an die Öffentlichkeit gewandt.
Kuhn: Seitdem haben wir sehr viel Solidarität von ganz unterschiedlichen
Menschen erfahren: von Älteren, die zum Teil noch die
Nahrungsmittelknappheit in der Nachkriegszeit mitbekommen haben, aber auch
von jungen Leuten von Fridays for Future, die vor allem den Klimaaspekt bei
der Sache sehen. Laut Staatsanwaltschaft gab es ja ein öffentliches
Interesse an unserer Strafverfolgung. Aber diese Menschen haben gezeigt,
dass es ein viel stärkeres öffentliches Interesse daran gibt, dass wir uns
der Frage der Lebensmittelverschwendung stellen und aufhören, das
Containern zu kriminalisieren.
Sie haben die Lebensmittelverschwendung in [3][Ihrem Blog] als „Verbrechen
an der Menschheit“ bezeichnet.
Kuhn: Wer Lebensmittel verschwendet, setzt damit auch die Lebensgrundlage
zukünftiger Generationen aufs Spiel, denn die Produktion und der Transport
von Lebensmitteln bedeuten einen enormen Ressourcenaufwand und damit
CO2-Ausstoß. Weltweit werden ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen, in
Deutschland sogar fast die Hälfte. Durch eine Verringerung der
[4][Lebensmittelverschwendung] können wir also auch dem Klimawandel
massiv entgegenwirken.
Schmitt: Es ist doch absurd, wenn das Containern und damit die Verwertung
von Lebensmitteln als Nahrung kriminalisiert werden und auf der anderen
Seite die systematische Vernichtung von Lebensmitteln gängige Praxis ist.
Vor dem Obersten Landesgericht sind Sie vor ein paar Wochen auch noch
abgeblitzt, was lässt Sie hoffen, dass eine Verfassungsbeschwerde ein
anderes Ergebnis bringt?
Schmitt: Natürlich wünschen wir uns ein Urteil in unserem Sinne, aber auch
die Diskussion auf dem Weg dorthin ist enorm wichtig, weil sie dazu
beitragen kann, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung für dieses Thema
wächst. [5][So wie wir empfinden viele Menschen], dass unser Umgang mit
Lebensmitteln noch nicht ausdiskutiert ist. Das zeigt sich auch auf
juristischer Ebene. Das Revisionsgericht hat zum Beispiel einige unserer
Argumente unbeachtet gelassen, unter anderem den Verweis auf den Artikel
20a des Grundgesetzes.
In Frankreich [6][ist es größeren Supermärkten verboten], Lebensmittel
einfach wegzuwerfen, sie müssen sie an wohltätige Organisationen spenden
oder für eine weitere Verwertung verkaufen. Die Grünen fordern dasselbe für
Deutschland. Ist das der richtige Weg?
Kuhn: Das ist auch Teil der Forderungen in [7][unserer Petition], die
mittlerweile schon rund 150.000 Menschen unterschrieben haben.
Schmitt: Diese Gesetzesinitiative ist eine von vielen wichtigen Maßnahmen,
die wir ergreifen sollten. Die bisherigen Erfahrungen in Frankreich waren
positiv. Und inzwischen haben auch schon andere Länder wie Tschechien
nachgezogen.
Trotzdem haben sich die deutschen Justizminister gegen eine
Entkriminalisierung des Containerns ausgesprochen.
Kuhn: Mit der Begründung, dass das Containern keine Lösung sei. Auch wir
sind der Meinung, dass es allein nicht das Problem der
Lebensmittelverschwendung lösen wird und dass noch viele weitere Schritte
nötig sind. Eine Entkriminalisierung würde aber schon mal ein Zeichen
setzen – dass wir die Verwertung von Lebensmitteln als Nahrung
wertschätzen.
7 Nov 2019
## LINKS
[1] /Containern/!t5009703
[2] /Lebensmittelretterinnen-vor-Gericht/!5567029
[3] http://olchiscontainern1.blogsport.de/kontaktspendenimpressum/
[4] /Lebensmittelverschwendung/!t5200103
[5] /Der-Hausbesuch/!5597037
[6] /Neue-Regelung-in-Frankreich/!5200318
[7] https://weact.campact.de/petitions/containern-ist-kein-verbrechen-1
## AUTOREN
Dominik Baur
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