Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Öko-Aussteiger über ein Leben ohne Geld: „Ich möchte inspirier…
> Tobi Rosswog hat sich radikal vom Kapitalismus verabschiedet und
> versucht, mit wenig Geld möglichst ökologisch und sozialverträglich zu
> leben.
Bild: Bullshit-Jobs sind überflüssig, Drecksarbeit nicht, sagt Tobi Rosswog
taz: Herr Rosswog, wenn alle so leben würden wie Sie – wäre die Welt dann
besser?
Tobi Rosswog: Wenn alle Menschen wie eine Person leben, wird es schwierig.
Aber wenn mehr Leute den Anspruch haben, so wenig Ausbeutung wie möglich zu
verursachen – wohl wissend, dass wir in einer imperialen Lebensweise immer
auf Kosten anderer und über unsere Verhältnisse leben –, kann es ein
bisschen besser werden.
Und so leben Sie?
Ich versuche, möglichst ökologisch und sozialverträglich zu leben. Ich
stelle radikal infrage, welche Konstrukte gerade Ungerechtigkeiten
reproduzieren und versuche Gesellschaft proaktiv mitzugestalten. Alle vier
Jahre wählen, einen grünen Job machen, bio und fair kaufen, wie ein grüner
Kapitalismus uns das weismachen möchte, reicht nicht. Das ist so
konsumorientiert.
Haben Sie deshalb vor knapp zehn Jahren Ihr Studium der
Religionswissenschaft und Sozialen Arbeit in Hannover abgebrochen, Ihr Geld
verschenkt und sind losgezogen?
Es gab viele Impulse. Der letzte war sehr banal: Ich habe bei einem Seminar
im Freiwilligen Ökologischen Jahr einen Projekttag gestaltet, damals zum
Thema Mensch-Tier-Verhältnisse. Ein paar Teilnehmer*innen haben mich
gefragt: „Warum machst du das nicht öfter?“ Weil ich noch studiere, dachte
ich damals. Aber warum studiere ich denn noch? Weil ich doch eine
Bescheinigung brauche, die mir erlaubt, später was zu sein, und damit
irgendwie ein bisschen Geld zu verdienen. Diese Argumentation war nicht
mehr haltbar, bemerkte ich: 95 Prozent aus meinem Studium war für meine
Praxis irrelevanter Bullshit, und die restlichen fünf Prozent, habe ich
damals überzeugt gesagt, kann ich mir auch frei lernend beibringen.
Wie viel Geld haben Sie verschenkt und an wen?
So ein paar Tausend Euro. Einen kleineren Teil hat meine damalige WG
bekommen, den anderen Initiativen, die mir wichtig waren.
Tat das kein bisschen weh?
Tatsächlich nicht. Es war eher befreiend. Aber ich weiß natürlich, dass es
nur aufgrund krasser Privilegien so einfach war.
Wie haben Sie gewohnt?
Ich habe fast jede Nacht woanders geschlafen. Immer dort, wo ich eingeladen
war.
Brauchten Sie keine Medikamente?
Tatsächlich nicht. Da hatte ich echt Glück.
Ihr erster großer Workshop war dann „Geldfrei(er)leben“. Wie geht das?
Darüber, Vorhandenes sinnvoll zu nutzen. Wir leben ja in einer
unglaublichen Überfluss- und Wegwerfgesellschaft. Ich habe containert,
Foodsharing in vielen Städten mit aufgebaut – noch heute bekomme ich so
Lebensmittel. Ich kaufe seit rund zehn Jahren nicht mehr ein. Ich war in
Umsonstläden, auf Kleiderschenkpartys, bin per Anhalter gefahren. Ich
wollte aber keinen Survival-Guide erfinden, sondern politisch sichtbar
machen, in welcher unglaublichen Fülle wir eigentlich leben und dass Mangel
nur ein kapitalistisches Konstrukt ist. Ein Vorteil davon war: Ich musste
mich nicht verwerten. Geldfreier Leben bedeutet, arbeitsunabhängiger zu
werden, mehr freie Zeit zu haben und gucken zu können, was wirklich meine
Berufung ist – ohne mich auf einem anonymen Arbeitsmarkt durchsetzen zu
müssen.
Und was ist Ihre Berufung?
Ich habe in den zweieinhalb Jahren komplett geldfreien Lebens angefangen,
Vorträge zu geben. Ich möchte Menschen Impulse der Irritation und der
Inspiration geben, sie empowern. Meine Vorträge sind daher keine reinen
Bildungsveranstaltungen, sondern sollen motivieren und einladen, Banden zu
bilden. Inzwischen sind es viele verschiedene, rund 150 im Jahr an Unis,
auf Kongressen, Konferenzen, auch immer mehr in der freien Wirtschaft wie
bei VW letztes Jahr.
Wie war das?
Großartig! Ich dachte, die zerfetzen mich. Aber die erste Person, die sich
meldete, meinte: „Tobi, du hast das Phänomen der Bullshit-Jobs
angesprochen. Und jetzt sag ich dir mal was: Seit 25 Jahren mache ich hier
so einen.“ Vor 399 Kolleg*innen sagt der das so offen und ehrlich! Das
Spannende ist, sei es jetzt bei VW oder der Bundesbank, es gibt eine große
Resonanz, und das ist das Absurde: Ich sage denen, „so geht es nicht
weiter“ – und die applaudieren.
Wie schätzen Sie die Nachhaltigkeit dieser Resonanz ein?
Nachdem ich beispielsweise bei Daimler war, hat eine Angestellte danach
gekündigt. Ich werde dafür nicht alleine verantwortlich gewesen sein, aber
vielleicht war mein Vortrag ja ein kleiner weiterer Impuls.
Gab es bei VW gar keine Kritik?
Die einzig kritische Bemerkung des Abends kam von einem alten weißen Mann,
Ingenieur wahrscheinlich, der sagte: „Aber Tobi, wer macht denn dann noch
die Drecksarbeit?“
Die Frage hätte ich Ihnen gleich auch noch gestellt.
Das ist ja schon das Kernproblem unserer Gesellschaft. Dass wir das, was im
Grunde die Gesellschaft wirklich trägt, die Care-Tätigkeiten, als Drecksjob
betiteln und nicht wertschätzen – im Gegensatz zu Lohnarbeit.
Klar ist das ein Problem. Aber trotzdem: Wer würde diese Arbeit denn
machen?
Ich bin davon überzeugt, dass Menschen etwas zur Gesellschaft beitragen und
nicht nur rumhängen wollen. Und es geht mir ja nicht darum, dass Menschen
morgens aufwachen und gänzlich selbstbestimmt nachfühlen sollen, worauf sie
denn so Lust haben heute. Es geht darum, sich zwischen Lust und
Notwendigkeit zu organisieren. Entsprechend beginne ich mein Buch dazu:
„Arbeit? Nein danke. Faulsein? Keine Lust.“ Wenn wir diese ganzen
Bullshit-Jobs mal wegstreichen, hätten wir wieder unglaublich viel Energie
und Zeit, Sinnvolles zu tun – auch Putzen.
Was sind denn Ihrer Meinung nach Bullshit-Jobs?
Zum einen die, von denen Menschen selbst sagen, dass sie sinnlos sind. Und
das sind echt schon einige. Und solche, die es nur braucht, weil andere
Menschen denselben Job haben – im Militär zum Beispiel. Oder die, die
erfunden wurden, um das System von Arbeit und Konsum aufrechtzuerhalten –
Arbeitsvermittler*innen oder Werbefachleute.
Sie rütteln damit an einem Fundament unserer Gesellschaft. Viele definieren
sich ja über ihre Arbeit.
Ja, ich hinterfrage diese Konstrukte Arbeit, Geld und Eigentum radikal.
Momentan haben rund 40 Leute so viel Geld wie die ärmere Hälfte der
deutschen Gesellschaft. Das ist doch zum Schreien ungerecht und kann nicht
daran liegen, dass diese 40 Leute so viel wie 40 Millionen am Tag leisten.
Um diese Konstrukte zu überwinden, müssten wir ja die Menschen komplett
umprogrammieren.
Oder mehr Strukturen aufbauen, die andere Selbstverständlichkeiten
schaffen. Es ist ja nicht so, dass der Mensch per se neidisch, gierig oder
egoistisch wäre, sondern er ist das, was ihm die Sozialisation nahe legt –
also nicht nachhaltig zu handeln. Wenn ich heute versuche, nachhaltig zu
handeln, werde ich zeitlich, ökonomisch und kulturell bestraft.
Warum haben Sie sich nach zweieinhalb Jahren dafür entschieden, Geld wieder
anzufassen?
Ich musste mich mit 25 Jahren selbst krankenversichern. Aber auch heute
habe ich immer noch kein Bargeld an mir, keine EC-Karte und teile mir das
Geld mit anderen Leute in einer gemeinsamen Ökonomie. Wenn es für Vorträge
Geld gibt, nehme ich das inzwischen an, das kommt dann auf das geteilte
Konto.
Sie haben verschiedenste Projekte initiiert – Festivals, Konferenzen,
Wohnprojekte. Und überall haben Sie sich früher oder später wieder
rausgezogen. Warum machen Sie das so?
Ich möchte Dinge, die mich brennend interessieren, in die Welt bringen.
Mitmachräume schaffen – und dann gerne abgeben, wenn sie laufen. So konnte
ich mich immer anderen Sachen widmen. Der Mitmachkongress Utopival mit 100
Menschen, die Utopie-Ökonomie-Konferenz mit 300 und das Zusammentreffen
Move Utopia mit über 1.000 – neben den 150 Vorträgen hätte ich das alles
gar nicht zeitgleich organisieren können. Deswegen bin ich dankbar, dass es
immer wieder Menschen gibt, die das übernehmen wollen. Und auch ein anderer
Dogmatismus hält mich davon ab, zu verweilen: nicht bequem werden.
Ist das auch der Grund für Ihren kürzlichen Auszug aus dem Wohnprojekt
Funkenhaus im niedersächsischen Greene?
Einer der Gründe. Ich habe mir damals gesagt, eineinhalb, zwei Jahre möchte
ich dieses Projekthaus aufbauen, dann soll es weitergehen. Jetzt bin ich
erst mal wieder ohne festen Wohnsitz unterwegs.
Was ist Ihr Plan?
Dieses Jahr möchte ich neben den Vorträgen auch anfangen, Produktion nach
Bedürfnissen und Fähigkeiten zu organisieren. Für ein Produkt, was wir auch
in einer befreiten Gesellschaft brauchen – Tofu beispielsweise – wollen wir
ein solidarisches Produktionsmodell testen, ohne dass sich alle davon
Profitierenden kennen. Manche geben null, manche zehn Euro für den Tofu.
Auch ein anderes Projekthaus darf ich Ende des Jahres mit aufbauen.
Sie bezeichnen sich als Aktivist – und den eigenen Alltag als Plattform des
Protests. Ist das nicht anstrengend?
Ich habe das Glück, dass ich durch das, was ich mache, super viel Energie
gewinne. Mein Aktivismusbegriff ist tatsächlich sehr weit – wir können das
protesthaft-widerständige Moment subversiv im Alltag zementieren und immer
wieder gucken: Wo kann ich Ungerechtigkeiten verhindern oder zumindest
demaskieren? Etwa bei rassistischen Polizeikontrollen nicht einfach sagen:
Ich werde weiß, männlich gelesen und kann gut schnacken – was interessiert
mich das. Sondern sich solidarisch zeigen.
Wie würden Sie das in diesem Fall machen?
Das ist total kontextabhängig. Aber das erste, was wir machen können, ist,
nicht weggucken. Aber sofort heldenhaft dazwischen zu gehen, ist vielleicht
auch nicht ratsam. Solidarisch zeigen heißt hier für mich, Augenkontakt
aufnehmen und fragen, ob es was braucht.
Eine Besucherin im Funkenhaus hat mir kürzlich erzählt, es sei ziemlich
kalt bei Ihnen. Müssen wir leiden, um den Ernst der Klimakrise zu
verstehen?
Nein, wir müssen nicht leiden. Aber so was ist Verhandlungssache. Manche
brauchen mehr, manche weniger. Insgesamt möchte ich für eine Welt nach
Bedürfnissen und Fähigkeiten einstehen. Ich hab kein Bock auf ein Haus oder
Zimmer, manche wollen eine Wohnung für sich. Kein Problem! Aber bei zwei,
drei Häusern, die nicht genutzt sondern vermietet oder verkauft werden,
hört es auf. Sobald das Argument kommt „Das haben wir schon immer so
gemacht“ – Haus bauen, Familie gründen, Baum pflanzen – gilt: radikal
hinterfragen.
16 Mar 2020
## AUTOREN
Alina Götz
## TAGS
Ökologie
Nachhaltigkeit
Kapitalismus
Grüner Kapitalismus
Schwerpunkt Klimawandel
Lebensmittelverschwendung
Lebensmittelrettung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Psychologin über Krisenangst: „Angst, Trauer, Wut sind normal“
Wer sich mit der Klimakrise beschäftigt, kann durchaus Angst bekommen, sagt
Psychologin Katharina van Bronswijk. Was tun damit?
Containerinnen über Konsum: „Lebensmittel wertschätzen“
Caroline Kuhn und Franziska Schmitt sollen wegen Containerns bestraft
werden. Jetzt ziehen sie vor das Bundesverfassungsgericht.
taz-adventskalender (22): „Ich wollte immer Großes bewegen“
Die taz präsentiert BerlinerInnen, die für etwas brennen. Hinter Türchen
22: Raphael Fellmer, Mitgründer des Ladens für gerettete Lebensmittel
SirPlus.
Montagsinterview Geldloser Raphael Fellmer: "Geld ist nur auf den ersten Blick …
Raphael Fellmer lebt seit zwei Jahren im Geldstreik - und ist überzeugt:
Mit ein bisschen Vertrauen könnte jeder von uns so leben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.