# taz.de -- 50 Jahre Internet: Happy Birthday, Stromfresser! | |
> Vor einem halben Jahrhundert ging es los: Das Internet wurde geboren und | |
> sagte zur Begrüßung „lo“. Seitdem ist es immer hungriger geworden. | |
Bild: Der Mensch im Zentrum? Facebooks Rechenzentrum im schwedischen Lulea | |
Wäre das Internet ein eigenes Land, es läge irgendwo vor Indien und hinter | |
den USA. Zumindest was den Stromverbrauch angeht. Rechner und Server, die | |
E-Mails und Videos, Sprachnachrichten und Suchanfragen in kleine | |
Datenpakete zerlegen und um die Welt schicken, Smartphones, mit denen sich | |
Menschen durch die Stadt navigieren lassen, das hochgeladene Foto und der | |
dazu gegebene Like – all das benötigt Energie. Strom. | |
„8 bis 10 Prozent des weltweiten Stromverbrauchts entstehen durch das | |
Internet, also durch Server, durch Infrastruktur wie etwa Masten und durch | |
Endgeräte“, sagt Steffen Lange, der am Institut für ökologische | |
Wirtschaftsforschung (IÖW) zum Thema forscht. Das Problem: Es wird immer | |
mehr. Um 9 Prozent jährlich steigt der Energiebedarf durch Informations- | |
und Kommunikationstechnologien, so haben es Wissenschaftler:innen des | |
französischen Thinktanks The Shift Project für eine heuer veröffentlichte | |
Studie ausgerechnet. Die Steigerung hängt an zwei Faktoren – beide führen | |
zurück in die Anfangszeiten des Internets. | |
Am Dienstag auf den Tag genau vor 50 Jahren ging es los mit dem, was eines | |
Tages ein weltweites Netzwerk werden sollte. Mit einer Verbindung zwischen | |
der University of California, Los Angeles (UCLA), und dem Stanford Research | |
Institute (SRI) nahe San Francisco. | |
Als Kommunikationsmedium, als das sich das Internet später entpuppen | |
sollte, wählte es sein erstes Wort mit Bedacht, nämlich „lo“, was als sehr | |
umgangssprachliches „Hallo“ durchgeht. Ebenfalls symptomatisch: Zu „lo“… | |
es nur deshalb, weil der Stanforder Rechner, an den die Nachricht gehen | |
sollte, bei der Übermittlung des nächsten Buchstabens abstürzte. | |
Eigentlich hätte das erste komplette Wort „login“ sein sollen, dazu kam es | |
dann auch, und zwar am 29. Oktober 1969 um 22.30 Uhr. Leonard Kleinrock, | |
damals Professor an der UCLA und maßgeblich an der Entwicklung des | |
Paketaustausch-Konzepts beteiligt, drückte es in einer Präsentation zum | |
35-jährigen Internetjubiläum so aus: „Das Internet wurde geboren und | |
niemand hat es gemerkt.“ | |
## Permanentes Messen | |
Da hatte er wohl recht. 1969 ging als das Jahr mit dem ersten Menschen auf | |
dem Mond in die Historie ein – obwohl der, verglichen mit dem Internet, | |
einen eher kleinen Fußabdruck hinterlassen hat. Die ersten Rechner des | |
Netzwerks, so dokumentieren es Bilder aus den frühen 70er Jahren, hatten | |
optisch jedenfalls mehr mit ziemlich gewagten Einbauschränken gemeinsam als | |
mit einem heutigen Notebook. Und auch wenn ihr Stromverbrauch bezogen auf | |
die damalige Rechenleistung deutlich höher war: Insgesamt kann ein Netzwerk | |
mit einer überschaubaren Anzahl Knoten keine nennenswerte Strommenge | |
verbraucht haben. | |
Doch seitdem hat sich die Zahl der [1][am Netz hängenden Geräte | |
vervielfacht.] Die Mobilfunkindustrie beziffert allein die Zahl der | |
Smartphone-Nutzer:innen für das vergangene Jahr auf 5,1 Milliarden Menschen | |
– zwei Drittel der Weltbevölkerung. Die Zahl der mobilen Geräte ist deshalb | |
wichtig, weil auf ihnen quasi rund um die Uhr zumindest einigermaßen aktiv | |
Onlinedienste genutzt werden können. Und sei es, dass nachts weitere | |
Nachrichten im Messenger einlaufen oder der Streaming-Dienst weißes | |
Rauschen zum Schlafen abspielt. | |
Die steigende Zahl der Geräte ist einer der beiden Faktoren für den | |
zunehmenden Stromverbrauch des Internets. Und selbst wenn es bei | |
stationären Rechnern, Notebooks, Tablets und Smartphones irgendwann in | |
Richtung Marktsättigung geht und die Wachstumskurve abflachen könnte – da | |
kommt noch etwas. Nämlich das Internet der Dinge. Zahnbürsten und | |
Kaffeemaschinen, die am Netz hängen, sind dabei nur eine | |
Stromverbrauchskomponente. Die viel größere: Vernetze Geräte in der | |
Industrie. Sensoren, die permanent den Zustand von Anlagen und Maschinen | |
messen und die Daten weiterschicken. | |
„Das Wachstum war bisher immer größer als die Effizienzsteigerung, und es | |
sieht danach aus, dass es auch in Zukunft so weitergehen wird“, [2][sagt | |
Ralph Hintemann vom Borderstep Institut.] Er spielt damit auf den | |
sogenannten Rebound-Effekt an. Der beschreibt, dass Geräte zwar immer mehr | |
Rechenleistung mit immer kleinerem Energieverbrauch und Platzbedarf | |
erbringen können und damit eigentlich ökologischer werden. Aber: Der | |
Einspareffekt wird unter anderem dadurch aufgefressen, dass die Menschen | |
nun häufiger neue Geräte kaufen. Und nicht nur das. Gleichzeitig nutzen sie | |
auch immer energieintensivere Dienste. Und das ist der zweite Faktor, wenn | |
es um den steigenden Stromverbrauch des Internets geht. | |
## Gar nicht so schlecht, ökomäßig | |
Ein großes Problem: Streaming. Während vor fünfzehn Jahren beispielsweise | |
Musik noch lokal gespeichert und dann abgespielt wurde, spielen | |
Nutzer:innen sie heute quasi live auf einem Server ab. Das potenziert den | |
Energiebedarf. Denn so verbraucht nicht nur das eigene Endgerät Energie, | |
sondern auch noch die gesamte zum Streamen notwendige Infrastruktur. | |
„Global gesehen macht Videoschauen 70 Prozent des Datenverkehrs aus“, sagt | |
IÖW-Forscher Lange. Und: „Wir müssen dahin, dass die Effizienzsteigerungen | |
nicht mehr durch Mehrverbrauch aufgefressen werden.“ | |
Denn sonst steht das Internet eigentlich gar nicht so schlecht da, | |
ökomäßig. Der Stromverbrauch von Rechenzentren lässt sich steuern, in dem | |
diese beispielsweise gezielt in kalten Regionen der Erde errichtet werden. | |
Das senkt den Strombedarf, der für die Kühlung notwendig ist. Zudem setzen | |
gerade einige der großen Anbieter schon stark auf erneuerbare Energien. | |
Google und Facebook beispielsweise schneiden laut dem Report Clicking Green | |
der Umweltorganisation Greenpeace gut ab, was den Einsatz von Strom aus | |
regenerativen Quellen angeht. | |
Lange wünscht sich daher zweierlei. Erstens: politisches Handeln. Eine | |
CO2-Steuer würde beispielsweise das Video-Streaming teurer machen – und | |
damit den Kauf eines Datenträgers oder das Herunterladen attraktiver. | |
Zweitens: individuelle Verantwortung. Das klingt einfacher, als es ist. | |
Denn dass es ökologischer ist, ein Smartphone nicht im Jahrestakt zu | |
ersetzen, leuchtet wahrscheinlich noch ein. Wer aber hätte das Folgende | |
gewusst: „Im Bereich lesen ist es ressourcenschonender, das digital zu | |
machen“, sagt Lange. Also: E-Book schlägt das Buch, das E-Paper die | |
Zeitung. Zumindest dann, wenn das genutzte Gerät – siehe oben – so lange | |
wie möglich genutzt wird. | |
Denn der Strombedarf des Internets ist bei der Nutzung von Servern, Masten | |
und Endgeräten leider nicht zu Ende. „Bei einem Smartphone entfallen 80 | |
Prozent der Energie auf die Herstellung“, sagt Hintemann vom Borderstep | |
Institut. Der Fußabdruck des Internets, er ist nicht nur so groß wie der | |
eines Landes. Sondern auch genauso kompliziert. | |
29 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Netzkultur-und-Umweltbilanz/!5624360/ | |
[2] https://www.borderstep.de/team/dr-ralph-hintemann/ | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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