# taz.de -- Stromverbrauch von Streamingdiensten: Der Weg zur Streamscham | |
> Videoplattformen und Streamingdienste könnten sich zu Treibern der | |
> Klimakatastrophe entwickeln. Die Grünen wollen dagegen jetzt vorgehen. | |
Bild: Kann denn Streamen Sünde sein? | |
BERLIN taz | 200 Google-Suchanfragen benötigen so viel Strom, wie ein Hemd | |
zu bügeln. 30 Minuten netflixen setzt so viel CO2 frei wie eine sechs | |
Kilometer lange Autofahrt: Meldungen über den „Klimakiller Videostreaming“ | |
liest man häufiger in letzter Zeit. Um den wachsenden Stromverbrauch von | |
Streaming-Diensten und den Rohstoffbedarf von Smartphones und Computern zu | |
senken, fordern die Grünen deshalb [1][in einem Antrag im Bundestag] neue | |
Konzepte und Vorgaben gegen Umweltprobleme der Digitalisierung. | |
In vielen Bereichen sei bereits erkennbar, dass „eine Digitalisierung ohne | |
ökologische Leitplanken den bestehenden Trend zu steigendem | |
Ressourcenverbrauch und Emissionen verstetigt und beschleunigt“. Gehe diese | |
Entwicklung ungebremst weiter, könne sich die Digitalisierung zum Treiber | |
der Klimakatastrophe entwickeln, heißt es im Antrag. Ein wesentlicher Hebel | |
dagegen könne eine CO2-Bepreisung sein. | |
Die Grünen berufen sich in ihrem Antrag auf im März dieses Jahres | |
[2][veröffentlichte Zahlen des Energieunternehmens Eon]. Demnach habe das | |
Videostreamen im Jahr 2018 weltweit so viel Strom verbraucht wie Polen, | |
Italien und Deutschland zusammen: 200 Milliarden Kilowattstunden. Auf | |
Youtube kommen demnach jede Minute circa 400 Stunden Videomaterial hinzu. | |
Die Server für solche und andere Dienste laufen rund um die Uhr. Immer mehr | |
Endgeräte greifen auf immer mehr Dienste zu. Die Mobilfunkindustrie | |
schätzt, dass circa fünf Milliarden Menschen ein Smartphone besitzen, rund | |
zwei Drittel der Weltbevölkerung. | |
In Deutschland ist der Stromverbrauch von Streaming-Diensten in | |
Rechenzentren in den letzten Jahren deutlich gestiegen, sagt Clemens Rohde | |
vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, der zu | |
Energieeffizienz forscht. Einen wachsenden Anteil daran haben | |
Cloud-Rechenzentren. „Der Anstieg ist aber nicht so erschreckend, wie man | |
das von den zahlreichen neuen Dienstleistungen erwarten würde“, sagt Rohde. | |
## Skandinavien attraktiv für Rechenzentren | |
Allerdings hat Deutschland international gesehen einen relativ kleinen | |
Anteil am Stromverbrauch durch Rechenzentren, da die Stromkosten | |
hierzulande höher als im Ausland sind und es langwierige | |
Genehmigungsprozesse gibt. Beliebtere Standort für die Techfirmen sind die | |
[3][skandinavischen Länder], da dort durch viel Wasserkraft erneuerbare | |
Energien besonders günstig sind. | |
Wie viel Energie die großen Streaming-Dienste exakt brauchen, lässt sich | |
nur schwer sagen. „Die Zahlen liegen bei wenigen Akteuren, die sich nicht | |
in die Karten schauen lassen, da die Energiekosten Teil der | |
Geschäftsstrukturen sind“, sagt Rohde. Aussagen wie Streaming verbrauche so | |
viel Strom wie ganze Länder fußten auf einer wackeligen Datengrundlage. | |
Unter anderem lasse sich schwer bestimmen, wie hoch der Grundverbrauch der | |
Rechenzentren sei, wenn gerade wenig gestreamt werde. | |
Wie hoch der Anteil einzelner Dienste am Stromverbrauch ist, [4][lässt sich | |
ebenfalls nur schwierig aufdröseln]. Denn der Wert schwankt je nach der | |
Serverauslastung, der Länge und Komplexität der Suchanfrage. Die britische | |
Wochenzeitung Sunday Times behauptete in einem Artikel von 2009, eine | |
einzige Google-Suchanfrage würde 0,003 Kilowattstunden verbrauchen. Google | |
behauptete anschließend, der Verbrauch sei nur 0,0003 Kilowattstunden groß. | |
## Cloudbasierte Dienste werden weiter wachsen | |
[5][Dabei ist die Grundidee von Streaming ressourcensparend]: weil man sich | |
die Fahrt ins Kino spart, weil weniger Datenträger und Verpackungen | |
produziert werden müssen. Doch der Vergleich zwischen DVD und Netflix sei | |
kaum erforscht, sagt Rohde. Bislang gebe es keine valide Datengrundlage. | |
„Bei der schnellen technischen Entwicklung kommt die Forschung oft nicht | |
hinterher.“ | |
Musik-, Video- und Game-Streaming-Dienste unterscheiden sich massiv in | |
ihrem Daten- und Stromverbrauch. Spotify benötigt bei mittlerer Qualität | |
rund 40 Megabyte in der Stunde, bei Netflix sind es bei mittlerer Qualität | |
rund 700 Megabyte. Googles neuer cloudbasierter Spieledienst Stadia | |
[6][verbraucht mindestens 4,5 Gigabyte pro Stunde]. Anders als bei Musik | |
und Filmen, bei denen Server die Inhalte nur bereitstellen müssen, sind | |
Games interaktiv und die Server müssen auf die Eingaben der Spieler*innen | |
sofort reagieren. | |
Für die kommenden Jahre schätzt IT-Experte Rohde, dass cloudbasierte | |
Dienste weiter stark wachsen werden. Doch wie mit dem wachsenden | |
Strombedarf umgehen? Ein Weg zurück ist laut Rohde nicht mehr möglich. | |
Viele Menschen hätten sich an das Streamen gewöhnt und nutzten keine DVDs | |
oder Blu-rays mehr. Ein wichtiger Schritt sei daher die Effizienzsteigerung | |
der Infrastruktur von Rechenzentren und der Software. Der Informatiker | |
Peter Sanders forscht etwa am Karlsruher Institut für Technik zu | |
[7][effizienten Algorithmen], die Software schneller arbeiten lassen, um | |
weniger Strom zu verbrauchen. | |
## Effizienzsteigerung ist nur der Anfang | |
Das Problem dabei: Das Wachstum war in der Vergangenheit größer als die | |
Effizienzsteigerung, sagt Ralph Hintermann vom [8][Borderstep Institut]. | |
Ein klassischer Rebound-Effekt. Prozessoren und Smartphones erbringen zwar | |
immer mehr Rechenleistung bei kleinerem Energieverbrauch und werden damit | |
theoretisch ökologischer. Gleichzeitig nutzen nun immer mehr Menschen immer | |
mehr energieintensive Dienste. | |
Rohde ist deshalb der Ansicht, dass [9][Effizienzsteigerung] nur der Anfang | |
sein könne. Wichtiger sei ein bewusster Umgang mit Technik: „Beim | |
Wasserhahn sehen wir, was wir verbrauchen, beim Streaming nicht, zumal ich | |
die Stromkosten des Rechenzentrums nicht auf meiner eigenen Stromrechnung | |
sehe“, sagt Rohde. Er plädiert dafür, Streamingdienste sparsamer zu nutzen: | |
[10][Einen hochauflösenden Kaminfeuer-Stream] laufen zu lassen, hält er für | |
wenig sinnvoll. Besser sei es, auf dem Smartphone zu schauen, als auf dem | |
großen Bildschirm. | |
Eine CO2-Bepreisung sei aber nur schwer umsetzbar: „Denn die großen | |
Techfirmen sitzen zum Großteil außerhalb von Deutschland.“ Die Grünen | |
betonen in ihrem Antrag auch, dass Digitalisierung nicht per se eine | |
Klimabelastung sein muss. So könne der Energieverbrauch in der Industrie | |
bis 2030 mittels IT um 25 bis 30 Prozent sinken. Und autonom fahrende | |
Kleinbusse könnten den privaten Pkw überflüssig machen. | |
11 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dieterjanecek.de/wp-content/uploads/2019/12/Antrag-Digitalisier… | |
[2] https://www.eon.de/de/eonerleben/warum-der-stromverbrauch-im-internet-die-u… | |
[3] https://www.datacenter-insider.de/das-rechenzentrum-in-feuer-und-eis-a-5022… | |
[4] https://www.swr.de/wissen/20-jahre-google-umweltfacts-zu-suchmaschinen/-/id… | |
[5] https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000110497282/30-minuten-netf… | |
[6] https://www.golem.de/news/google-stadia-im-test-stadia-ist-noch-kein-spiele… | |
[7] /Informatiker-ueber-Streamingdienst/!5638939 | |
[8] https://www.borderstep.de/wp-content/uploads/2018/12/Borderstep-Rechenzentr… | |
[9] /Informatiker-ueber-Streamingdienst/!5638939 | |
[10] https://www.youtube.com/watch?v=m3eMBErXMYE | |
## AUTOREN | |
Denis Giessler | |
## TAGS | |
Internet | |
Ökostrom | |
Streaming | |
Strom | |
Internet | |
Ökologischer Fußabdruck | |
Katastrophenschutz | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Netflix | |
Internet | |
Internet | |
Penis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ökologischer Fußabdruck im Internet: Nicht alle streamen klimafreundlich | |
Eine neue Studie zeigt: Die Art der Datenübertragung ist entscheidend für | |
die Umwelt. Schlecht schneiden vor allem alte Mobilfunknetze ab. | |
Bewegtbild und „Green Producing“: „Tatort“ muss kein Klimakiller sein | |
Ein „Tatort“ erzeugt 100-140 Tonnen CO2. Fast die Hälfte davon könnte man | |
leicht einsparen, aber es fehlen die Anreize. | |
15 Jahre YouTube: Du guckst in die Du-Röhre | |
Katzenfans, Influencer*innen und Aluhüte: Die Gründung der Videoplattform | |
ist schon lange ein Mythos. | |
Kinopremiere im Internet: Aufgeben gilt nicht | |
Wegen geschlossener Kinos verlegte die Hamburger Produktionsfirma | |
„Filmtank“ die Premiere ihres Dokumentarfilms „Master of Disaster“ ins | |
Internet. | |
Digitalisierung der Gesellschaft: Nicht ohne Risiko | |
Ein neues Forschungsprogramm soll Umweltschutz und Computerwelt miteinander | |
verknüpfen. Das Ziel ist, weniger Klimagase freizusetzen. | |
Netflix gibt Abozahlen heraus: Die Zukunft heißt Eurafrika | |
Netflix schlüsselt erstmals seine Abozahlen nach Regionen auf. Wachstum | |
verzeichnet der Streamingdienst vor allem in Europa und Afrika. | |
Informatiker über Streamingdienst: „Streaming ist zu billig“ | |
Google startet seinen Streamingdienst für Games. Der Informatiker Peter | |
Sanders erforscht, wie Algorithmen den wachsenden Strombedarf bändigen | |
können. | |
50 Jahre Internet: Happy Birthday, Stromfresser! | |
Vor einem halben Jahrhundert ging es los: Das Internet wurde geboren und | |
sagte zur Begrüßung „lo“. Seitdem ist es immer hungriger geworden. | |
Nacktheit in Serien: Ein Sack voll Penisse | |
„Euphoria“ ist expliziter als jede Serie vor und vielleicht auch nach ihr: | |
Entwicklungen auf dem Streaming-Markt könnten zu mehr Prüderie führen. |