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# taz.de -- 15 Jahre YouTube: Du guckst in die Du-Röhre
> Katzenfans, Influencer*innen und Aluhüte: Die Gründung der Videoplattform
> ist schon lange ein Mythos.
Bild: Das erste YouTube-Video von Gründer Jawed Karim glänzte mit charmanter …
Legenden und Löhne
Vor genau 15 Jahren, am 23. April 2005, ließ sich ein junger Mann namens
Jawed Karim vor einem Elefantengehege filmen und stellte das Video ins
Netz. [1][„Me at the Zoo“], 18 Sekunden aus dem Zoo in San Diego, war der
erste Beitrag in der Videoplattform [2][YouTube], gegründet von
Elefantenfreund Karim, einem Programmierer bei PayPal, zusammen mit seinen
Kollegen Steve Chen und Chad Hurley. Darüber kursieren die üblichen
Start-up-Mythen. Die drei hätten YouTube beim Frühstück in einem Diner
erdacht, wird erzählt. Wichtiger als die gastronomische Umgebung ist jedoch
der Moment, den sie abpassten.
Anfang der 2000er gibt es in vielen Haushalten der westlichen
Industriegesellschaften bereits digitale Aufnahmegeräte. Und man filmt.
Viel. Abermilliarden Minuten Videocontent liegen ungesehen auf privaten
Festplatten rum. Jawed Karim hat es einmal so dargestellt, als sei den
Gründern das Potenzial der Seite von Anfang an klar gewesen. Der Tsunami in
Indonesien im Jahr 2004 habe sie auf die Idee gebracht, sowie der
„Nipplegate“-Auftritt von Janet Jackson beim Superbowl. [3][Bilder für ein
Massenpublikum]. Mitgründer Chen erinnerte es in einem Interview von 2007
etwas anders: Chen zufolge gingen sie davon aus, dass Menschen über die
Plattform eher im engeren Bekanntenkreis Videos teilen würden, einen
globalen Austausch hätten sie nicht erwartet.
Sicher ist, dass die drei eine verborgene Ressource gehoben hatten. Als die
Seite ein Jahr nach Gründung bereits 50 Millionen Nutzer*innen aufwies,
griff Google zu – und kaufte die Firma Ende 2006 für 1,6 Milliarden Dollar.
Das wirtschaftliche Potenzial von YouTube liegt allerdings nicht allein im
Videomaterial: sondern auch im Reiz, TV-Produzent*in zu werden. Wegen
dieses Berühmtheits- und Relevanzversprechens pumpen Menschen massenhaft
Content in die „Du-Röhre“ und sorgen für den Traffic, der Googles
Werbeeinnahmen sichert. [4][Obwohl die Vergütung für YouTuber*innen, wie
sie mittlerweile heißen, meist nicht gerade fair ist].
Vor einigen Tagen erschien auf Trichordist, einem Blog für die Belange von
Künstler*innen im Netz, [5][eine Rangliste der Gewinnerwartung auf
Streaming-Plattformen]. Anhand gesammelter Daten von Musikkünstler*innen
erhob die Seite, wie oft ein YouTube-Video angeschaut werden muss, damit
für die Hersteller*in knapp 10 Euro abfallen (umgerechnet der britische
Mindestlohn für eine Stunde).
YouTube landete weit abgeschlagen hinter Amazon, Apple und Spotify. Laut
Trichordist muss ein YouTube-Video für eine Stunde Mindestlohn über 7.200
mal abgespielt werden. Beim Gewinner Amazon bekäme man mit so vielen
Streams immerhin einen Tagessatz Mindestlohn. Andererseits ist YouTube die
zweithäufigst besuchte Seite der Welt. Es ist also möglich, viel mehr
Reichweite zu bekommen als bei Amazon. Theoretisch. Peter Weissenburger
„Ich hab’ meine Leute abonniert“
YouTube ist so alt wie ich? Wusste ich nicht. Das hat mich nie so
interessiert, wo das jetzt herkommt und wie alt das ist. Das erste Mal hab
ich so mit fünf was auf YouTube gesehen, [6][„Tom und Jerry“] mit meinem
Vater, der hat mir das gezeigt. Jetzt ist das oft zu voll da, es ist halt
die größte Plattform.
Jeder hat YouTube, aber viele haben kein Instagram. Ich finde auf Instagram
oft auch nix, das ist dann Zeitverschwendung, melde mich da an und wieder
ab. Alle habe einen YouTube-Kanal, die meisten sind aber nur Konsumenten.
Ich checke da halt täglich meine Sachen ab, ich hab meine Leute abonniert.
Es ist ein wandelndes Geschäft für YouTuber. Wie so Bitcoinaktien. YouTuber
gehen Kooperationen mit Spielen ein oder Energydrinks. Das ist Werbung,
klar, und kann auch gefährlich sein, bei den Drinks. Ich gucke mir die
Werbung aber nicht an.
Ich finde es blöd, wenn man groß ist als YouTuber und dann Werbung für
Sachen macht, hinter denen man nicht steht. Mich interessiert die Werbung
nicht. Ich hätte mir nie einen PC gekauft, wenn ich nicht auf YouTube die
Gamer gesehen hätte, die da „Fortnite“ spielen.
Im Fernsehen gibt’s nix, nur Nachrichten, die guck ich mit meinen Eltern.
[7][„funk“]? Kenn ich, ja. Seh ich über YouTube. WhatsApp nutze ich,
Telegram auch. Aber YouTube ist halt die Plattform, wo alle Leute, die ich
gucken will, hochladen. Es gibt keine Konkurrenz. Geld kostet mich YouTube
nicht. Premium hat fast keiner. Corona interessiert mich nicht so, ich hab
da keine Sorgen, ich arbeite ja nix.
[8][Rezo]? Guck ich nicht, hab ich mal geguckt. Weil der nicht drumrum
redet, weil der Klartext redet. Der hat immer ’ne Quelle zu allem, macht
sich extrem viel Arbeit. Ein seriöser Mensch ohne verlogene Vergangenheit.
Der deckt auf, was SPD und CDU für Scheiße machen. Ich hab kein Vorbild,
paar von den Gamern und YouTubern sind ganz cool, aber ich bin kein
Riesenfanboy von was.
Ich kenne niemand, der YouTube nicht nutzt. Protokoll: Ambros Waibel
Tiere gehen immer
Mein Vater ist Kinder- und Jugendpsychiater. Er hatte vor ein paar Jahren
einen coolen Hip-Hop-Jugendlichen als Patienten, der ihm wohl mal was auf
seinem (Papas) Laptop zeigen wollte und sich deshalb auf YouTube eingeloggt
hatte.
Monate später war ich zu Besuch in der Heimat und mein Vater hatte ein
Video von einem Pferd aufgenommen, das mit den Zähnen einen Rhythmus
machte. Fand er super lustig und wollte es auf YouTube hochladen als
„Rössle-Räp“. Meiner Schwester hatte er schon erzählt, dass er damit „…
gehen wollte“. Ich sollte ihm dabei helfen. Also wurde das Video
hochgeladen inklusive alberner, schwäbisch-badischer Beschreibung.
Dann fiel mir aber auf, dass das Profilfoto meines Vater irgendwie anders
aussah. Schnell kapierten wir, dass mein Vater noch im Account dieses
coolen 15-jährigen Rappers war. Und der hatte jetzt den Rössle-Räp in
seinem Profil. Das war aus therapeutischer und datenschutzrechtlicher Sicht
zwar höchst verwerflich. Ich habe trotzdem so gelacht, dass ich mir fast in
die Hose gemacht habe. Die Vorstellung, dass die Freund*innen des Jungen
plötzlich den Gaul in der Timeline hatten …
Natürlich haben wir den Räp sofort gelöscht und ich habe meinen Papa aus
dem falschen Account ausgeloggt. Einen eigenen Account hatte er nicht und
für das Rössle-Video haben wir auch keinen angelegt. Eine Freundin wies
mich noch darauf hin, dass das keine schöne Pferdegeste ist. Fohlen und
Jährlinge klappern mit ihren Zähnen, um zu ihrem Schutz den älteren Pferden
Unterwürfigkeit zu signalisieren. Dabei machen sie den Hals lang und neigen
den Kopf nach vorne. Dann rollen sie Ober- und Unterlippe auf und zeigen
alle ihre Zähne und schlagen die wiederholt aufeinander. Das ergibt dieses
Klappern, das mein Vater so lustig fand.
Einen Account hat er noch immer nicht. Inzwischen in Rente, schaut er gerne
[9][Videos mit Chormusik] auf YouTube. Wie er mal mit einem verängstigten
Pferd auf einem fremden Kanal viral gehen wollte, daran denkt er nicht mehr
so oft. Nicola Schwarzmaier
Geliebte Hassschleuder
Wie jede Plattform, die Nutzer*innen ermöglicht, eigene Inhalte ins Netz zu
stellen, ist auch YouTube voll von Videos und Kommentaren, deren Beitrag zu
ziviler Debatte oder auch nur respektablem Entertainment eher zweifelhaft
ist. Gemeint sind nicht die unzähligen Filmchen mit [10][individuellen
Missgeschicken], [11][niedlichen Tieren] oder schlecht recherchierten
Haushalts- und Kochtipps. Nein, es geht um Hassrede, Diskriminierung und
offene Gewaltaufrufe. Sich treiben zu lassen im endlosen Stream der
algorithmisch vorgeschlagenen Videos führt früher oder später zu wirren
Verschwörungstheorien, misogynen Hasspredigten und neofaschistischer
Menschenverachtung.
Wer da angelsächsisches Laissez-faire, die ehrenwerte besondere
Wertschätzung der freien Rede als Ursache vermutet, liegt einerseits nicht
ganz falsch, übersieht aber andererseits die ökonomische Bedeutung der
gefilmten Niedertracht für die Plattform. Wie auch bei Facebook entscheiden
Verbreitungsraten des von Nutzer*innen generierten Inhalts über seinen Wert
für die Plattform. Potenzielle Werbereichweiten entscheiden über die
Ausspielungen – und Hass läuft halt gut.
Die Googletochter YouTube geht inzwischen zwar rigoroser gegen Hate Speech
vor, tut sich aber immer noch schwer, besonders reichenweitenstarke
Hassaccounts zu entfernen. Während zum Beispiel im zweiten Quartal 2019
nach eigenen Angaben mehr als 100.000 Videos gelöscht wurden, sendeten der
prominente Neonazi Richard Spencer und das bei der Neuen Rechten in den USA
beliebte Magazin Red Ice trotz öffentlicher Proteste noch Monate fröhlich
weiter. Auch die Entfernung des Kanals von Ku-Klux-Klan-Chefkapuze David
Duke bedurfte erheblichen zivilgesellschaftlichen Drucks.
Die kleinen Erfolge in der Bekämpfung von Hassrede verblassen jedoch vor
den ständig nachwachsenden Dreckschleudern mit Smartphone und
YouTube-Channel. Eine qualifizierte Moderation wäre personalintensiv, also
teuer, und steht auf der Prioritätenliste der Plattform nicht sonderlich
weit oben.
Was soll man also tun? [12][YouTube boykottieren]? Das ist nicht wirklich
eine Option. Wo sonst soll man sich in Zeiten des Geoblockings denn die
relevanten Ausschnitte aus neuen BBC-Shows oder von [13][amerikanischen
Comedians] holen? Und es ist ja nicht alles schlecht. Die
YouTube-kritischen Talks von der [14][Republica] lassen sich schließlich am
besten auf YouTube noch mal anschauen und auch der [15][Chaos Computer
Club] präsentiert dort sein mitgeschnittenes Kongressprogramm.
YouTube ist einfach allgegenwärtig, im Guten wie im Schlechten. Es gilt die
alte Spiderman-Weisheit: „[16][Aus großer Kraft folgt große
Verantwortung].“ Und der muss YouTube, wie praktisch alle Netzplattformen,
noch gerecht werden. Daniél Kretschmar
23 Apr 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=jNQXAC9IVRw
[2] /Youtube/!t5012491
[3] /Oeffentlich-Rechtliche-bei-Videoportalen/!5191410
[4] /Neue-Regeln-fuer-YouTuberinnen/!5638481
[5] https://thetrichordist.com/2020/03/05/2019-2020-streaming-price-bible-youtu…
[6] https://www.youtube.com/watch?v=nVIZa5fc-Rc
[7] https://www.youtube.com/channel/UCOgPGtSnFR6GM-AkzCnxqMQ
[8] https://www.youtube.com/channel/UCvU1c8D5n1Rue3NFRu0pJSw
[9] https://www.youtube.com/results?search_query=chormusik
[10] https://www.youtube.com/watch?v=yhb04aZYyXY
[11] https://www.youtube.com/watch?v=oCZ9Zyi6XaA
[12] /Privatsphaere-im-Netz/!5650071
[13] https://www.youtube.com/watch?v=aeT3YOYsvMs&list=PLJaq64dKJZoqLnxYTZKJ…
[14] https://www.youtube.com/user/republica2010
[15] https://www.youtube.com/user/mediacccde
[16] https://www.youtube.com/watch?v=DLj988xA08I
## AUTOREN
Peter Weissenburger
Ambros Waibel
Nicola Schwarzmaier
Daniél Kretschmar
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