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# taz.de -- Doku „This is Paris“ über Paris Hilton: Die Fast-Nahbaren
> Die neue Youtube-Doku „This is Paris“ soll die wahre Paris Hilton zeigen.
> Den Anspruch haben viele Promi-Dokus, doch nur wenige erfüllen ihn.
Bild: Paris Hilton 2007 in Shanghai, wie immer umgeben von Kameras
Die erste Überraschung ist ihre Stimme. Hauchte sie ihre Catchphrase
„That’s hot“ früher in hoher Tonlage, spricht Paris Hilton heute deutlich
tiefer. Kein Wunder, die Dokumentation „This is Paris“ soll die echte Paris
Hilton zeigen. Das verspricht sie zumindest selbst: „Ich wurde für den
Charakter verurteilt, den ich selbst zu Beginn meiner Karriere erschaffen
hatte, und jetzt ist es an der Zeit, dass die Menschen die wahre Paris
sehen.“
Die Filmemacherin Alexandra Dean [1][hat Paris Hilton] dafür begleitet und
daraus eine Doku gemacht. Eigentlich sollte sie bei den großen
Filmfestivals laufen, wegen Corona ist sie [2][nun aber auf Youtube zu
sehen].
Zu Beginn der Doku sehen wir eine altbekannte Paris Hilton: auf Partys, auf
Titelseiten, beim Selfies machen, stets begleitet von Fans und Paparazzi.
Die Doku zeigt, wie die Hotelerbin mit ihrer Schwester Nicky unter den
Augen ihrer strengen Eltern aufwächst und Anfang der 00er Jahre zur
Influencerin wird – in einer Zeit, in der Influencerinnen noch It-Girls
heißen. Mittlerweile ist Hilton eine millionenschwere Unternehmerin,
vertreibt Beauty- und Modeprodukte und arbeitet als DJ.
Doch nach knapp 40 Minuten ändert sich die Stimmung der Doku: Hilton sitzt
im Hotelzimmer, erzählt von ihren Albträumen und Schlafproblemen. Als
Teenagerin sei sie mitten in der Nacht von zwei Männern aus dem Bett in
ihrem Elternhaus gezerrt worden und in die Provo Canyon School gebracht
worden, ein Internat für schwererziehbare Kinder. Dort habe sie emotionalen
und physischen Missbrauch erlebt. Mit Tränen in den Augen erzählt sie
davon.
Ist sie das, die „wahre“ Paris Hilton? Zumindest ist es die, von der wir
denken sollen, dass sie die wahre ist. Hilton hat zwar nach eigenen Angaben
die Doku nicht mitproduziert, doch selbst die Regisseurin [3][Alexandra
Dean sagte gegenüber Refinery29], dass Hilton wohl deswegen mitgespielt
habe, um ihr gegenwärtiges Image zu verbessern.
## Digitale Vergewaltigung
Dabei kratzt die Doku nur an der Oberfläche. Ihr Einfluss als Influencerin
und „Erfinderin“ von Selfies wird kurz angesprochen („Manchmal fühle ich
mich, als hätte ich dabei geholfen, ein Monster zu kreieren“), doch nicht
ausgeführt. Intensiv wird es, wenn Hilton über das Sex-Tape „1 Night in
Paris“ spricht, das ihr Ex-Freund Rick Salomon 2003 gegen ihren Willen
veröffentlicht hatte.
Anstatt einer Solidaritätswelle erfuhr die damals 19-jährige Hilton
[4][Slut-Shaming]. „Ich fühlte mich digital vergewaltigt“, kommentiert sie
in der Doku. Seit dem stellt Hilton Überwachungskameras in ihrer Wohnung
auf und schafft sich für jeden Partner einen neuen Laptop an, um nicht
kontrolliert und missbraucht zu werden. Die Szene, in der Hilton Dutzende
Macbooks in ihrem Zimmer sortiert, ist eine der eindrücklichsten, aber eben
auch eine der wenigen, die überzeugen.
So bleibt auch nach zwei Stunden Paris-Doku das Gefühl, dass Hilton diesen
Film nur als weitere Vermarktungsplattform nutzt. Viele negative Aspekte
ihrer Vergangenheit werden nicht erzählt, wie etwa frühere Videos, die
zeigen, wie sie einen Mann als „faggot“ beschimpft und Schwarze mit dem
„N-Wort“ belegt.
Gestützt werden Hiltons Erzählungen über ihr Trauma von ihrer Mutter und
Schwester, Freund:innen und ehemaligen Klassenkameradinnen. Die
mutmaßlichen Täter kommen nicht zu Wort, tiefergehende Recherchen zu ihren
Vorwürfen gibt es auch nicht. Journalistische Standards erfüllt der Film
also nicht – ein Problem, das viele Promi-Dokus eint.
In den vergangenen Jahren sind, vor allem von den großen
[5][Streaminganbietern Netflix] und Amazon Prime, viele solcher Dokus
erschienen: über Taylor Swift, Beyoncé, Lady Gaga, Tokio Hotel, Bastian
Schweinsteiger, Katy Perry und die Influencerin Chiara Ferragni.
## Glitzerndes Promi-Leben
Die Promis werden meist bei einer Tour, der Vorbereitung für einen großen
Auftritt oder eine Hochzeit begleitet; dabei wird immer auch eine leidvolle
Erfahrung thematisiert. So berichtet Lady Gaga von chronischen Schmerzen,
Taylor Swift von zermürbenden Zwängen der Branche, Beyoncé von der
Doppelbelastung, Mutter und Künstlerin zu sein.
Dieser erzählerische Trick soll die Promis trotz ihres Vermögens, ihrer
Macht und Reichweite nahbar und authentisch erscheinen lassen. Die Promis
lassen sich, perfekt ausgeleuchtet, von den Produzent:innen befragen,
gaukeln so Interviewsituationen und damit Objektivität vor, machen sich den
Plot aber meist zu eigen. Das macht diese Promi-Dokus zu einer Fortsetzung
dessen, was wir auf den Instagramkanälen sehen: eine kuratierte und
inszenierte Ausstellung der glitzernden Promi-Leben.
Waren Prominente früher noch auf Medienberichterstattung angewiesen, können
sie heute – dank sozialer Medien – das Bild von sich selbst in der
Öffentlichkeit deutlich stärker beeinflussen. Mit Realityshows, Dokudramen
und -serien hat die Branche dafür einen neuen Weiterdreh gefunden.
Streaminganbieter sichern sich mit den prominenten Gesichtern hohe
Klickzahlen, Promis können sich auch außerhalb von Instagram vermarkten und
Fans ihren digitalen Voyeurismus ausleben. Das Prinzip funktioniert: Allein
in der ersten Woche haben acht Millionen Menschen „This is Paris“
gestreamt.
## Keine journalistischen Standards
Ob, und wenn ja, wie viel Geld die Promis für die Dokus bekommen, ist nicht
bekannt. Auch nicht, wie viel Inhalt sie mitbestimmen können. Doch „Lady
Gaga: Five Foot Two“ (Netflix) wurde beispielsweise von Lady Gagas eigener
Produktionsfirma gemacht, Katy Perry war bei „Part of Me“ (MTV) ein Teil
des Produktionsteams, und [6][Beyoncé hat bei „Homecoming“] (Netflix) auch
noch mit Regie geführt. Für die Zuschauer:innen bleibt die Frage: Sehen wir
hier wirklich die Privatperson oder nur eine Kunstfigur?
Das soll nicht heißen, dass die durchaus schmerzvollen Erfahrungen, die die
Prominenten teilen, nicht wahr sind. Doch den Zuschauer:innen sollte
bewusst sein, dass das, was sie zu sehen bekommen, keine klassische Doku
nach journalistischen Standards ist, sondern eher einer gescripteten
Realityshow nahekommt.
Dass es auch anders geht, zeigt die Doku „[7][Wildes Herz“], in der Charlie
Hübner und Sebastian Schultz die Punkband „Feine Sahne Fischfilet“
begleiten. Geht es hier zwar in erster Linie um den Kampf gegen rechts der
vier Mecklenburger, wird auch der Frontmann der Band, Jan „Monchi“ Gorkow,
als Person porträtiert.
Er erscheint dabei nicht nur als sympathischer Antifaschist, sondern auch
als unsensibler Macho und Chaot – unterstützt von Aussagen durch
Weggefährt:innen wie Ex-Freundinnen, Mitbewohnern, Freunden und Familie.
24 Sep 2020
## LINKS
[1] /Society-Expertin-ueber-Promis-und-metoo/!5468361
[2] https://www.youtube.com/watch?v=wOg0TY1jG3w
[3] https://www.refinery29.com/en-gb/2020/09/10030422/this-is-paris-hilton-true…
[4] /Kommentar-CDU-und-Sexismus/!5339362
[5] /Nominierungen-fuer-Fernsehpreis-Emmy/!5699432
[6] /Streamingdienste-im-Wettstreit/!5586977/
[7] /Portraetfilm-Wildes-Herz/!5495529/
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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