| # taz.de -- Netflix-Serie „Das letzte Wort“: Im Kern eine Familiengeschichte | |
| > Eine Netflix-Serie übers Sterben mit Anke Engelke: Erst ist da ein | |
| > bisschen viel Klamauk, dann wird aber doch noch etwas Ganzes draus. | |
| Bild: Anke Engelke in der Netflix-Serie „Das letzte Wort“ | |
| Den weisesten Satz spricht Bestatter Borowski: „Es gibt keinen richtigen | |
| Weg zu trauern, und wenn es keinen richtigen gibt, gibt’s auch keinen | |
| falschen.“ Was die Arbeit eines Beerdigungsinstituts einerseits einfach | |
| macht. Und andererseits schwer. | |
| Wie kompliziert der Umgang mit dem Tod sein kann, das zeigt die erste Folge | |
| der sechsteiligen [1][Netflix]-Serie „Das letzte Wort“. Borowski (Thorsten | |
| Merten) trifft dort auf Karla Fazius (Anke Engelke), deren Mann Stephan auf | |
| der Silberhochzeitsfeier kopfüber ins Sammelgeschirr gekippt ist. Nun | |
| entdeckt Karla, dass er ihr einiges verheimlichte: ein verstecktes | |
| Maler-Atelier, in das der Zahnarzt sich verzog – und Schulden. Die Frau | |
| braucht also Geld und drängt sich dem maroden Bestattungsinstitut prompt | |
| als Trauerrednerin auf. | |
| Mit der Prämisse „Partner perdu/Geld knapp“ wurden bereits zahllose | |
| weibliche Seriencharaktere zurück in die aktive Handlungsebene gelockt. Die | |
| von Aaron Lehman und Carlos Irmscher nach einer Idee von Thorsten Merten | |
| gestaltete Serie hält sich darum nicht lange mit dem „Warum“ auf, sondern | |
| nähert sich flugs dem „Wie“. | |
| Zunächst mit einer Reihe von irritierend klamaukigen Szenen, in denen auf | |
| Engelkes parodistisches Talent gesetzt wird. „Das letzte Wort“ laboriert | |
| lange an der Grenze zwischen Sitcom und Tragödie. Die Figuren brauchen eine | |
| ganze Weile, um zu offenbaren, was sie suchen und was sie vermeintlich und | |
| wirklich wollen. | |
| Zwar schlummert in der Tragik viel Humor, den die Serienschaffenden | |
| schürfen wollen – aber vermeintliche Inkohärenz funktioniert bei Figuren | |
| nur in Comedyformaten, wenn der Witz aus einer unerwarteten Reaktion | |
| entsteht. Dass es um die seriöse Auseinandersetzung mit dem [2][Tabuthema | |
| Tod] geht, wird spät klar. | |
| ## Im Kern eine Familiengeschichte | |
| Aber dann, irgendwann zwischen dem Bettnässen des verzagten Tonio und | |
| Judiths Suche nach dem Mann mit dem richtigen Distanzverständnis, formt | |
| sich die Serie zu einem Ganzen: Es ist, im Kern, eine Familiengeschichte, | |
| bei der die Figuren unterschiedlich viel lernen müssen – am wenigsten die | |
| angeschickerte Oma, am meisten Karla, die weder die Kunstsinnigkeit des | |
| Ehemannes noch die Bedürfnisse ihres Sohnes je ernst nahm. | |
| Ernst nehmen wollen die Serienmacher*innen das Thema gewiss – und geraten | |
| dennoch ab und an aus der Spur. Dass „Das letzte Wort“, genau wie die | |
| US-amerikanische Bestattermilieu-Serie „Six Feet Under“, zudem pro Folge | |
| einen Todesfall verarzten möchte, scheint zuweilen zu ambitioniert: Die | |
| Eltern eines Psychopathen mit dem Satz „tief drinnen war er ein guter | |
| Junge“ zu trösten, ist abwegig. Und für die komplexe Situation, in der ein | |
| Krebskranker mitsamt Exfrau und Liebhaber auf der Matte steht, bleibt wenig | |
| Zeit. | |
| Auch füllen die Darsteller*innen ihren Rollen unterschiedlich aus: Nina | |
| Gummich als Judith Fazius ist ein Highlight, glaubwürdig und ergreifend | |
| spielt sie eine Frau, der eigene Gefühle genauso viel Angst machen wie | |
| fremde. Gemeinsam mit Ronnie Borowski sind die beiden das interessanteste | |
| Paar der Serie. Thomas Mertens gibt Borowski seine überzeugende, wenn auch | |
| nicht überraschende Bodenständigkeit – das Verhältnis zur Meckerziegenfrau | |
| dagegen wird nicht klar: Meckert sie weil er trinkt? Oder trinkt er weil | |
| sie meckert? | |
| Anke Engelke jedoch schafft es zu selten (oder wird von der Regie zu selten | |
| aufgefordert), Karlas emotionale Zerrissenheit offenzulegen. Oder um noch | |
| einmal „Six Feet Under“ zu bemühen: Während man sich um dessen Hauptfigur | |
| „Nate“ von Anfang an Sorgen machte, und darum von Anfang an am Haken hing, | |
| glaubt man fest an Karlas Resilienz. | |
| Den Satz „Pietät ist wichtiger als Wahrheit“ hebelt „Das letzte Wort“ … | |
| jedem Fall genüsslich aus: Eine Szene, in der eine Frau bei der Beerdigung | |
| ihrer Mutter endlich ihren Frust hinausschreit, ist schon fast | |
| anarchistisch. Würde so etwas auf Beerdigungen öfter passieren – man hätte | |
| einiges über das Trauern gelernt. | |
| 30 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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