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# taz.de -- Neues Videoformat der bpb: Jung, politisch, unerreicht
> Die Videoreihe „Abdelkratie“ soll junge Menschen online abholen – für …
> Bundeszentrale für politische Bildung mit Printfokus eine
> Herausforderung.
Bild: Der berühmt-berüchtigte Deutschlandhut
Die solide aufbereiteten und unaufgeregt aufgemachten schwarzen Hefte aus
der Reihe „Informationen zur politischen Bildung“ kennen viele noch. Sie
wurden einem gerne von der Gemeinschaftskundelehrerin nach der Stunde über
die Weimarer Republik in die Hand gedrückt, damit man das Gelernte zu Hause
vertiefen kann. Bei vielen Schüler:innen sind diese Hefte vermutlich in
irgendeiner Ecke des Jugendzimmers gelandet.
Schade eigentlich, denn die Bundeszentrale für politische Bildung hat hier
Wissen über politische Verhältnisse, über die man sonst viele Bücher lesen
müsste, auf unter 100 Seiten gebracht, damit die Leselast für die
Zielgruppe zumutbar ist. Sie stand vor der Herausforderung: Wie kann man
möglichst knapp möglichst tiefes Wissen über gesellschaftliche
Zusammenhänge vermitteln? Vermitteln, und zwar zielgruppengerecht, das ist
die Kernaufgabe der Bundeszentrale, der bpb.
Mittlerweile sind [1][Youtube, Instagram und Tiktok] hinzugekommen, die
schwarzen Hefte reichen nicht mehr. Und so setzt die bpb seit geraumer Zeit
auf Webcontent, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. „Wir wollen die
Menschen erreichen, die niemals auf unsere Mediathek gehen oder sich ein
Heft bestellen würden“, sagt Lobna Jamal von der bpb, Projektleiterin der
Videoreihe. Das neueste Ergebnis dieser Bemühung heißt „Abdelkratie“. Der
Satiriker Abdelkarim Zemhoute ist das Gesicht eines Videoformats, mit dem
die bpb Grundbegriffe des politischen Lebens an Menschen im Alter von 16
bis 25 Jahren vermitteln möchte.
Menschen, „die sich bislang eher weniger für politische Themen
interessieren“, sagt Jamal. Oder, wie Comedian Abdelkarim es selbst sagt:
an Menschen, „die bei der,Tagesschau' wegzappen“. In Videos unter zehn
Minuten steht Abdelkarim je einmal als Rechter, Autonomer und Schwabe vor
dem Reichstagsgebäude und erklärt, wer zum deutschen Volk gehört („Alle,
die einen deutschen Pass haben“); in der Folge über „Demokratie“ kocht er
eine Suppe, die Zutaten repräsentieren die Vielfalt der gesellschaftlichen
Interessen; die demokratische Debatte, zwischen Autolobby und
Umweltaktivist, wird hier in einem Rap-Battle ausgetragen; und wenn es um
„Protest und Widerstand“ geht, schlüpft Abdelkarim in die Rolle Greta
Thunbergs, mit zwei blonden Zöpfen.
Folgen jeweils samstags veröffentlicht
Nachdem die [2][erste Folge am vergangenen Samstag, dem Tag des
Grundgesetzes, veröffentlicht wurde], verbucht das Video nach knapp einer
Woche 10.500 Klicks und 1.100 Abos. Nicht gerade viral also, aber das
Projekt ist ja auch erst ein paar Tage alt. Einige Kommentator:innen
bedanken sich für die verständliche Darstellung. Weitere neun Folgen sollen
jeweils samstags veröffentlicht werden.
Tatsächlich kommt Abdelkarim nicht oberlehrerhaft daher und die Gags
sitzen, trotz der Ernsthaftigkeit des Gegenstandes. Die Witze übrigens
wurden von Autoren der „heute-show“ geschrieben, von Abdelkarim selbst,
Morten Kühne, Thomas Rogel oder Fabian Köster auf Basis von Konzepten der
bpb. Hintergrundinfos wurden von Wissenschaftler:innen geliefert,
Expert:innen aus der Praxis der politischen Bildung haben das Ergebnis
auf politische Sensibilität, Gutachter:innen auf Vollständigkeit überprüft.
„Humor und politische Bildung“, die Zauberformel, mit der hier die
Aufmerksamkeit eines eher politikdesinteressierten jungen Publikums geweckt
werden soll.
Ein „schmaler Grat“, sagt Lobna Jamal von der bpb. Es gehe darum,
„humoristisch, aber auf keinen Fall verletzend zu sein“. Auf diesem Grat,
das zeigen die Videos, sind keine groben Unfälle passiert. Aber reicht das?
Kategorie gut gemeint?
„Das wirkt auf den ersten Blick wie aus der Kategorie gut gemeint“, sagt
Amelie Duckwitz, Professorin für Medien- und Webwissenschaft an der TH Köln
über die Videos, „aber ob sie auch gut gemacht sind, das heißt: ob sie die
Zielgruppen auch erreichen, wird sich zeigen“.
Duckwitz beschäftigt sich mit der Frage, was Influencer:innen zu
Meinungsführer:innen werden lässt, also warum es Menschen gibt, die in
der Lage sind, bei ihrem Publikum Vertrauen zu erzeugen. Duckwitz forscht
über „sinnbehaftete, ernsthafte Kommunikation der Influencer“, wie sie
sagt, aktuell im Bereich Kommunikation zur Verkehrssicherheit. Die
Professorin findet es gut, dass sich Institutionen wie die Bundeszentrale
für politische Bildung in das Feld der Onlineformate wagen.
Viele junge Menschen bis 25 Jahre sind selten oder gar nicht mehr über Wege
der linearen Kommunikation zu erreichen. [3][Untersuchungen zeigen, dass
diese Altersgruppe Informationen und auch Nachrichten vor allem am
Smartphone und über soziale Medien] konsumiert, und besonders die Jüngsten,
so Duckwitz, als Video. Skeptisch ist die Wissenschaftlerin wegen des
gewählten Sprechers.
Während Lobna Jamal von der bpb sagt, Abdelkarim habe man angefragt, weil
er „besonders authentisch und glaubwürdig“ sei, wendet Duckwitz ein, dass
der Satiriker normalerweise in Formaten wie der „heute-show“ auftauche, die
von der Zielgruppe nicht oder wenig rezipiert würden. „Es ist immer
schwierig, wenn man Formate nur kopiert, bei denen man weiß, die laufen
gut“, sagt Duckwitz. Handwerklich erinnert „Abdelkratie“ tatsächlich an
diverse Youtube-Formate: schnelle Schnitte, der Erzähler im ständigen
Rollenwechsel, Parodien.
Alte Institutionen in neuen Welten
Schaffen alte Institutionen es einfach nicht, in neue Welten einzutauchen?
„Wer das nicht macht, der wird abgehängt“, sagt Duckwitz. „Kein Mensch in
der Altersgruppe schaltet um 20 Uhr die ‚Tagesschau‘ an. Man kann froh
sein, wenn sie online die ‚Tagesschau in 100 Sekunden‘ anschauen.“ Zuglei…
habe sich der mit dem Aufkommen neuer Kommunikationswege von vielen
erwartete Glaubwürdigkeitsverlust bei klassischen journalistischen Medien
bisher empirisch nicht bestätigt.
Dafür spricht auch, dass sich „Funk“, das junge Onlineformat von ARD und
ZDF, seit 2016 etablieren konnte. Ohnehin findet es Duckwitz nicht
hilfreich, die Welt in eine reale und digitale einzuteilen: „Die
Institutionen, die grundsätzlich Glaubwürdigkeit genießen, werden diese
auch im Netz genießen“, sagt sie.
Vielleicht braucht „Abdelkratie“ also einfach noch ein bisschen Zeit.
Außerdem holt sich die bpb Unterstützung von etablierten Youtubern wie
Joey’s Jungle, Kostas oder Tomatolix, die das Format bewerben und sich bei
den Interaktionen einbringen. Das ist einerseits wichtig, weil die Arbeit
mit der Produktion und dem Hochladen von Videos nicht getan ist, sondern
politische Bildung im Netz nur durch Austausch, Nachfragen und Diskussionen
nachhaltig wirkt. Außerdem könnte „Abdelkratie“ auf diese Weise trotz ihr…
Ursprungs in der „heute-show“ in der entsprechenden Zielgruppe
anschlussfähiger werden, die bpb könnte von der „Glaubwürdigkeit“ der
Youtuber profitieren.
Auswertung nach zehn Folgen
Am Ende des Projekts, also nach zehn Folgen, möchte die Behörde eine
Auswertung vornehmen. Dann wird sich zeigen, ob sie der Herausforderung
gerecht werden konnte, unterhaltend Wissen über komplexe gesellschaftliche
Zusammenhänge zu vermitteln, jenes Wissen von den schwarzen Heften in
kurze, witzige Onlinevideos zu übertragen, die ganz eigenen Beschränkungen
unterliegen.
Einerseits wird sich dann zeigen, ob der Ansatz des einseitigen Vermittelns
in der Welt der vielen Sender noch funktioniert, oder ob es besser gewesen
wäre, von vornherein im Netz etablierte Sprecher:innen einzubinden. Und
weil politische Bildung auch noch in Zeiten von Youtube, Instagram und
Tiktok nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der Qualität ist:
Dass zum „deutschen Volk“ alle mit einem deutschen Pass gehören, das ist
nur eine mögliche Antwort auf diese Frage.
Aber vertieft darüber zu diskutieren, welche gesellschaftlichen
Verhältnisse zu dem Bedürfnis vieler führen, ein homogenes „deutsches Volk…
zu imaginieren, würde das Format dann doch sprengen. Dabei wäre diese
Diskussion notwendig, um das mit diesem „Volk“ wirklich zu verstehen.
29 May 2020
## LINKS
[1] /YouTube-Nutzung-bei-Jugendlichen/!5600834
[2] https://www.youtube.com/channel/UCH6CKIbcCPQsg3BlRBM-61w/
[3] https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/inline-files…
## AUTOREN
Volkan Ağar
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