# taz.de -- Kein türkisches VW-Werk: Sinnlose Sanktionen | |
> Der Autobauer VW vertagt den Bau seines Werkes in der Türkei. Wirklich | |
> beeindruckt wird sich Erdoğan davon aber nicht zeigen. | |
Bild: Sanktionen des Westens befeuern den türkischen Nationalismus | |
Am Montag verurteilten die EU-Außenminister die Offensive der Türkei in | |
Nordsyrien [1][mit scharfen Worten]. Dieser Schritt wirkt jedoch hilflos, | |
weil sich die EU nicht auf ein Waffenembargo oder Sanktionen einigen | |
konnte. | |
Was richten harte Verurteilungen angesichts eines Angriffskriegs aus, der | |
nach Angaben der Vereinten Nationen bisher 160.000 Menschen zur Flucht | |
zwingt? Wo Worte ins Leere gehen, so könnte man meinen, helfen nur noch | |
wirtschaftliche Sanktionen. | |
Am Montag verhängten die USA [2][Sanktionen gegen die Türkei]. Auch der | |
Autobauer VW hat nun die [3][Entscheidung über sein geplantes Werk in der | |
Türkei] vertagt. Doch sind Sanktionen von deutschen Unternehmen tatsächlich | |
ein wirksamer Schritt? Würde die Türkei ihre Truppen aus Syrien abziehen, | |
wenn der wirtschaftliche Druck nur groß genug ist? | |
So einfach ist es leider nicht. Denn abgesehen davon, dass die Entscheidung | |
von VW symbolpolitisch ist, folgt sie keinen ethischen Überlegungen, | |
sondern reiner Wirtschaftslogik: Die derzeitige Situation in der Türkei sei | |
für die Investition unberechenbar, begründete der Konzern seine | |
Entscheidung. Wie wenig wirksam Sanktionen gegenüber der Türkei sind, zeigt | |
auch ein Blick in die Vergangenheit. | |
## Ausreichend Kapital | |
In den Jahren 2016 und 2017 durchlebten die Türkei und Deutschland eine | |
sehr viel persönlichere Krise als heute. Damals wurden in der Türkei | |
deutsche Staatsangehörige verhaftet. Die Türkei wiederum erboste, dass | |
[4][Gülen-Anhänger*innen], die nach dem Putschversuch nach Deutschland | |
geflohen waren, Asyl bekamen. | |
Auch in dieser aufgeheizten Phase der Auftrittsverbote für türkische | |
Politiker*innen in Deutschland und des Abzugs deutscher Soldaten aus | |
İncirlik wurde über Sanktionen gegen die Türkei debattiert. Als der | |
damalige EU-Präsident Martin Schulz im November 2016 Sanktionen forderte, | |
reagierte Erdoğan wütend. | |
Schließlich begrenzte die Bundesregierung die Hermesbürgschaften und | |
Investitionsgarantien für deutsche Unternehmen in der Türkei und sprach | |
eine Reisewarnung für die Türkei aus. Doch mehr als über die Auswirkungen | |
der Sanktionen wurde damals darüber gesprochen, dass Siemens am Tiefpunkt | |
der bilateralen Krise im August 2017 den Milliardenzuschlag für einen | |
Windpark in der Türkei bekam. | |
## Alles schon längst entschieden | |
Die großen Verträge, die trotz allem geschlossen wurden, gaben Erdoğan eine | |
Sicherheit: Er kann tun, was er will; solange für die notwendigen | |
Bedingungen gesorgt ist, [5][wird weiterhin Kapital in die Türkei fließen]. | |
Die Politiker*innen können so viel drohen, wie sie wollen. | |
Diese Bedingungen sind durch den dritten Einmarsch der Türkei in Syrien | |
nicht gefährdet? Die Entscheidung des VW-Konzerns, sein neues Werk im Wert | |
von 1,5 Milliarden Euro in der Türkei zu bauen, fiel Ende August zu einem | |
Zeitpunkt, an dem Erdoğan schon seit Monaten angekündigt hatte, dass er in | |
Syrien östlich des Euphrats einmarschieren werde. | |
Vielleicht erklärt das auch Erdoğans gelassene Reaktion auf die Drohungen | |
der USA vor zwei Tagen, Sanktionen zu verhängen. Die Erfahrung aus der | |
Vergangenheit ermöglicht es Erdoğan, die Sanktionsdrohungen nicht einmal | |
ernst zu nehmen. Denn er weiß, dass der Westen so heuchlerisch ist wie er | |
selbst. | |
## Heldenhaftes Image | |
Es ist schwer vorstellbar, dass der Westen zum ersten Mal in der Geschichte | |
konsequente Sanktionen verhängt. Genau deshalb konnte der türkische | |
Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu verkünden: „Wir hätten die Militäroffe… | |
gar nicht erst begonnen, wenn wir Angst vor Sanktionen hätten.“ | |
Wirtschaftliche Sanktionen deutscher Unternehmen in der Türkei werden | |
demnach höchstwahrscheinlich kein Einlenken der Türkei bewirken, solange | |
sie nicht konsequent umgesetzt werden. Vielmehr könnte ein solcher Schritt | |
Erdoğan in die Hände spielen. Denn er könnte Sanktionen für seine | |
Propaganda nutzen, die Türkei sei Opfer einer Operation, die der Westen | |
gegen das Land richte. | |
Bestimmte Reaktionen aus Europa verfestigen Erdoğans Image als | |
Staatsführer, der heldenhaft allein gegen den Westen kämpft. Auf diese | |
Weise könnten Sanktionen jeglicher Art in der Türkei das Fundament für eine | |
Solidaritätskampagne gegen die dunklen Mächte des Westens legen. Mit der | |
Militäroffensive hat der zuvor innenpolitisch geschwächte Erdoğan bereits | |
die Reihen hinter sich geschlossen. Dieses Narrativ könnte ihm weitere | |
Legitimierung in der türkischen Gesellschaft verschaffen. | |
15 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Konflikt-zwischen-Syrien-und-der-Tuerkei/!5633923 | |
[2] /Tuerkischer-Einmarsch-in-Syrien/!5633921 | |
[3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/vw-werk-tuerkei-101.html | |
[4] /Tuerkischer-Sektenfuehrer-Guelen/!5556877 | |
[5] https://gazete.taz.de/article/?article=!5589210 | |
## AUTOREN | |
Ali Çelikkan | |
Elisabeth Kimmerle | |
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