# taz.de -- Wahlkampfauftakt der AfD Thüringen: Alles so „bürgerlich“ hier | |
> Die AfD macht sich für die Wahl in Thüringen bereit – und versucht sich | |
> einen mittig-konservativen Anstrich zu geben. Gelingen will das nicht. | |
Bild: Spult routiniert sein übliches Programm ab: Björn Höcke auf der Bühne… | |
Arnstadt taz | Das mit dem Bürgerlichen fängt schon am Eingang zur Halle im | |
„Hotelpark Stadtbrauerei“ an. Die Thüringer AfD um ihren Spitzenkandidaten | |
Björn Höcke, ein besonders Rechter in seiner radikal rechten Partei, hat | |
zum [1][Wahlkampfauftakt] nach Arnstadt südlich von Erfurt geladen. | |
Vor dem renovierten Klinkerbau blickt der Security-Mann kritisch an einem | |
Jugendlichen auf und ab. „Hättest du dich nicht vernünftig anziehen | |
können?“, fragt er dann und deutet auf die Jogginghose, die der junge Mann | |
trägt. Man wolle doch einen guten Eindruck machen. Passieren lässt er ihn | |
dann aber doch. Was vermutlich im Sinne der Veranstalter ist – denn in der | |
Halle mit ihren gut 300 Plätzen bleibt an diesem Mittwochabend etwa ein | |
Viertel der Stühle leer. | |
Die AfD hat neben Parteichef Alexander Gauland, der den Auftakt gibt, und | |
Höcke, der am Ende Höhepunkt werden soll, zahlreiche Scharfmacher als | |
Redner geladen, darunter Andreas Kalbitz aus Brandenburg und Thorsten Weiß | |
aus Berlin, die Bundestagsabgeordneten Martin Reichardt und Gottfried | |
Curio. Beobachten aber lässt sich vor allem zweierlei – sieht man vor allem | |
von Curios Rede einmal ab: Das dringende Bemühen, sich als bürgerliche | |
Kraft darzustellen. Und die Verzweiflung, mit der sich die AfD an der | |
zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der Klimapolitik abarbeitet. | |
Das fällt besonders bei Gauland auf, der einen großen Teil seiner Rede | |
diesem Thema widmet. Gauland spricht von „grüner Erziehungsdiktatur“ und | |
„politisch motivierter Panikmache“, fragt: „Welche klimapolitischen Ziele | |
verfolgt die AfD?“, und fordert: „Die These vom menschengemachten | |
Klimawandel muss unter enormen Beweisdruck geraten.“ Dann sagt er noch, | |
dass Kohlekraftwerke am Netz bleiben und der Atomausstieg zurückgenommen | |
werden soll. Viel mehr kommt zu der selbst gestellten Frage allerdings | |
nicht. | |
Von einer „bürgerlich-konservativen Mehrheit“ hatte Gauland gleich zu | |
Beginn seiner Rede gesprochen. Und eine Koalition sei durchaus möglich | |
„wenn die CDU noch eine bürgerlich-konservative Kraft wäre“. Mike Mohring, | |
den Spitzenkandidaten der Thüringer CDU, kenne er ja noch aus dem Berliner | |
Kreis. Das ist ein kleiner, stramm konservativer Zirkel in der CDU, der | |
erfolglos versuchte, die Liberalisierung der Partei auszubremsen. Gauland | |
gehörte ihm an, bevor er nach Jahrzehnten die CDU verließ. „Mike Mohring | |
ist eigentlich bürgerlich-konservativ“, sagt Gauland. Und fordert: „Diese | |
Menschen müssen sich endlich von der Kanzlerin emanzipieren.“ | |
## Nach Gauland spricht ein „Youtube-Star“ | |
Am Ende beklatscht ihn das Publikum und steht dabei auch auf. Doch das | |
wirkt wenig leidenschaftlich, sondern mehr wie Pflicht. So als müsste man | |
das beim Wahlkampfauftakt für den Parteichef einfach machen. Es soll ja | |
schöne Bilder geben. | |
Gottfried Curio, der AfD-Innenpolitiker aus dem Bundestag, verschärft den | |
Ton. Er wird als „Youtube-Star“ angekündigt – wohl weil die Videos seiner | |
Reden im Bundestag von AfD-Fans gut geklickt werden. Böse Zungen auch | |
innerhalb der eigenen Partei behaupten, dass er diese vor dem Spiegel übe | |
und sich dabei in Sachen Rhetorik an NS-Propagandaminister Joseph Goebbels | |
orientiere – was wohl nur teilweise scherzhaft gemeint ist. Für das | |
vermeintlich Bürgerliche der AfD jedenfalls ist Curio definitiv nicht | |
zuständig. | |
Ansonsten aber wird diese behauptete Bürgerlichkeit ständig beschworen. Was | |
besonders bemerkenswert ist, weil Höcke den Thüringer Landesverband fest | |
auf Flügel-Kurs getrimmt und damit weit weg von jeder vermeintlichen Mitte | |
bis an die Grenze der Verfassungsfeindlichkeit geführt hat. In den | |
Talkrunden, zu denen die ostdeutsche AfD-Spitze an zwei Stehtische auf der | |
Bühne tritt, antwortet Jörg Urban: „Natürlich sind wir eine bürgerliche | |
Partei.“ Urban hat als Spitzenkandidat in Sachsen 27,5 Prozent geholt – was | |
die Thüringer AfD nach eigenen Angaben noch toppen will. Ihr Ziel: stärkste | |
Kraft. In der letzten Umfragen lag sie mit 25 Prozent auf Platz zwei hinter | |
der Linkspartei, die mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt. | |
„Bodo muss weg!“, ruft dann auch Höcke gegen Ende des Abends in den Saal | |
und berichtet, dass Ramelow mit „Tränen in den Augen“ Flüchtlingen am | |
Bahnhof zugewunken habe. Ramelow sein ein „politischer Wirrkopf“ und ein | |
„Kryptokommunist“, der abgewählt gehöre. Doch viel Platz räumt Höcke dem | |
Ministerpräsidenten in seiner Rede nicht ein. Lieber beschwert er sich, vom | |
[2][letzten ZDF-Interview] angeblich „menschlich enttäuscht“, über die | |
Medien. Dass die Tour seines AfD-Rennradteams in der Lokalpresse nicht | |
berücksichtigt wurde, „Kaffeekränzchen“ der CDU aber schon. | |
Er schimpft auf die „Relotiuspresse“, auf das Framing-Papier der ARD und | |
darauf, dass er ständig in Verhörsituationen gedrängt werde. Auch ein | |
Schlenker zu der MDR-Moderatorin, die die AfD am Wahlabend als bürgerlich | |
bezeichnet hatte und dafür scharf kritisiert worden war, fehlt nicht. „Ob | |
sie jetzt Kaffee kochen oder Akten sortieren muss?“, fragt Höcke | |
vermeintlich besorgt. Über zehn Minuten geht das so. | |
## Alles wie erwartet | |
Dann arbeitet sich Höcke an den Bürgerlich-Konservativen ab – genauer | |
gesagt: an denen, die er nicht mehr dafür hält: Die CDU sei eben keine | |
bürgerliche Partei mehr. Weil sie den Nationalstaat abschaffe, den | |
Rechtsstaat schleife, eine „Ökodiktatur“ einrichte, den Kampf gegen rechts | |
mitmache, sich weder der „Frühsexualisierung“ noch der „Islamisierung“ | |
entgegenstelle. Ohnehin habe CDU-Spitzenkandidat Mohring nur ein Ziel: | |
Ministerpräsident werden. Für diesen „persönlichen Ehrgeiz“ sei er berei… | |
alles zu geben – für Schwarz-Rot-Gelb-Grün, auch Simbabwae-Koalition | |
genannt, würde er sich laut Höcke sogar in „Mike Mugabe Mohring“ umbennen. | |
Die AfD dagegen sei für Abschiebungen, eine Willkommenskultur für deutsche | |
Kinder, verbundene Schreibschrift und Förderschulen sowie eine solidarische | |
Sozialpolitik. Für Deutsche, versteht sich. Es folgen Standing Ovations, | |
die obligatorischen „Höcke, Höcke“-Rufe, das Singen der Nationalhymne. Ei… | |
Deutschlandfahne wird geschwenkt. Dann ist Schluss. | |
19 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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