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# taz.de -- Ballroomszene in Deutschland: Glamour und Geborgenheit
> In den USA hat die Ballroomszene eine lange Geschichte. Nun versucht sich
> die Subkultur auch in Deutschland zu etablieren.
Bild: In Deutschland sind Vouging-Auftritte noch eine Seltenheit
Bunte Lichter, wummernde House-Musik, ein Saal voller Menschen. Vermutlich
waren nie so viele queere und People of Color gleichzeitig im Düsseldorfer
Weltkunstzimmer wie an diesem Tag, auf diesem Ball Ende Juli. Im Publikum
sitzen und stehen Menschen in Netzhemden, kurzen Röcken und Shorts. Sie
zeigen Tattoos, überhaupt viel Haut, tragen Lederteile. In der Mitte des
Saals bilden sie einen Gang, einen „Runway“, der kurz vor der Bühne endet.
Dort warten im hellen Scheinwerferlicht drei Juror*innen, hinter ihnen ein
goldener Tisch voller Trophäen und ein Banner an der Wand, darauf zu lesen:
„Iconic House of St Lauren, est. 1982“.
Eine Person im roten Crop Top, Leggins und High Heels betritt den Runway.
Sie kreuzt ihre Beine, schwingt die Hüften, formt eckige Bewegungen mit
Armen und Händen. Dann, sie geht in die Knie und lässt die Füße zum Takt
der Musik nach vorne schnellen, kommt sie sofort zurück nach oben, nur um
sich kurz danach auf ein Bein fallen zu lassen. Das linke Bein ist
angewinkelt, das rechte ausgestreckt, die Arme streckt sie von sich, den
Oberkörper hält sie einige Zentimeter über dem Boden. So hält sie die Pose
wenige Sekunden und räkelt sich dann auf dem Boden.
Voguing nennt man diese Tanzart, ein Stil, der stark mit eingefrorenen
Figuren und eckigen Bewegungen arbeitet. Dabei werden die Posen der
Covermodels von Modemagazinen, wie eben der Vogue, zitiert.
Nun strecken die drei Jurymitglieder nacheinander beide Hände vor den
Körper, zeigen zehn Punkte mit ihren Fingern an. „You’re in!“, ruft die
Gastgeberin Georgina Leo St. Laurent, in enger Leopardenhose und schwarzem
Spitzentop. Die Person hat sich qualifiziert, in der Kategorie Vogue Fem
gegen andere Teilnehmer*innen anzutreten. Aus ganz Deutschland, der Schweiz
und Frankreich sind an diesem Tag Teilnehmer*innen zum Ballroom nach
Düsseldorf angereist. Die [1][Ballroom-Szene], eine Subkultur, die in den
USA eine lange und traditionsreiche Geschichte hat, versucht sich gerade
auch in Deutschland zu etablieren.
## Alternative Familie
Schon im New York der 1930er Jahre existierten Balls. Meist waren es weiße
Männer, die in Drag auftraten. Schwarze Drag Queens waren nur selten dabei
– und wenn sie es taten, wurde von ihnen erwartet, helles Make-Up zu
tragen. Fast nie gewannen sie.
In den 1960er Jahren gründeten sie dann ihre eigene Ballroom Community –
denn sie waren eine Welt der Diskriminierungen leid. Viele Mitglieder der
Szene konnten ihr Gender, ihre Identität und ihre Sexualität vor ihrer
biologischen Familie nicht offen ausleben. Und so entstanden sogenannte
Houses, in denen sie gemeinsam mit anderen lebten. Eine alternative
Familienstruktur, die den Menschen Liebe, Unterstützung, Respekt und
teilweise auch ein Dach über dem Kopf bot.
Bis heute werden die Houses von sogenannten Mothers geleitet, die als
Familienoberhaupt, Mentor und Vorbild für ihre Children fungieren. Die
Houses entwickeln einen eigenen, für sie spezifischen Style und treten auf
den Balls gegen andere Houses an.
## Ausweg aus der Realität
Für viele Mitgleiter war die Ballroom-Szene ein Ausweg aus einer Realität,
in der sie mit Rassismus, Queerfeindlichkeit und Chancenungleichheit
konfrontiert waren. Stattdessen fanden sie sich in einer Szene wieder, die
ihnen die Möglichkeit gab, sich selbst zu ermächtigen, Ruhm und Anerkennung
zu erfahren. Heute gibt es in den meisten nordamerikanischen Metropolen wie
Los Angeles, Miami oder auch Toronto eine fest etablierte Szene. Ihren
Status als Subkultur und Underground hat die Szene bis heute nicht
verloren, sagt Power Infinity, eine Größe der Miami-Ballroom-Szene.
Nun, Jahrzehnte später, ist diese Szene auch in Deutschland populär. Die
meisten Balls finden in Berlin statt, wie etwa der große Voguing Out Ball
oder der etwas kleinere Tit Bit Ball. Bei diesen treten Major Houses aus
ganz Europa gegeneinander an. Und auch in anderen Städten wie Köln oder
Hamburg gibt es mittlerweile Balls. Neben dem „House of St Laurent“ als
Major House gibt es in Deutschland mittlerweile eine Vielzahl an Kiki
Houses, die ohne Ball-Veranstaltungen auskommen und dafür da sind, sich
lediglich auszuprobieren.
Etablieren konnten sich Ballrooms in Deutschland besonders wegen Georgina
und ihrem House, die auch den Ball in Düsseldorf ausrichtet und als
Pionierin der deutschen Ballroom-Szene gilt. Zwischen 2008 und 2012 reiste
sie nach New York, lernte von der Voguing Ikone Archie Burnett und
erkundete die Szene dort. 2012 gründete Georgina dann das „House of
Melody“, zusammen mit sechs anderen Personen. Seit zwei oder drei Jahren
gebe es in Deutschland eine wirklich etablierte Szene, sagt Georgina.
## Einblicke in Safe-Spaces
Seit ihrer Gründung war eine elementare Aufgabe der Houses, einen Safe
Space, also einen sicheren Ort für ihre Mitglieder zu schaffen. Und auch
heute noch steht das im Vordergrund. Sieben Jahre war sie alleinerziehende
Mutter. Erst durch ihre neue US-amerikanische Familie habe sie ein
stärkeres Support-System für sich und ihre Kinder erfahren, sagt sie. Auch
deshalb wolle Georgina weiterhin Pionierarbeit leisten und dazu beitragen,
dass die deutsche Szene sich in die richtige Richtung entwickeln kann,
besonders auch im Hinblick auf die Probleme der Community.
Voguing habe eine Art Revival erlebt, sagt Georgian. „Ballroom und Voguing
ist teilweise im Mainstream angekommen, es gibt aber trotzdem eine starke
Verbindung zu den Leuten von früher. Es ist wichtig, sie miteinzubeziehen.
Im Gegensatz zu früher können die Leute teilweise von ihren Tätigkeiten in
der Szene leben, ein Beispiel dafür ist ‚Pose‘.“ „Pose“,eine
Netflix-Serie, beleuchtet das Leben der Transfrau Blanca, die ihr eigenes
House in der Bronx gründet und den von seiner Familie verstoßenen Tänzer
Damien und die Sexarbeiterin Angel aufnimmt. Die Serie ist teilweise von
den in der Doku „Paris is burning“porträtierten New Yorker Ballroom-Ikonen
inspiriert.
Ob diese Aufmerksamkeit gut sei für die Ballroom-Szene? Georgina ist
unschlüssig:„Es ist sehr positiv, dass die Macher*innen der Serie die
richtigen Leute einstellen und die Zuschauer*innen einen Einblick in das
Leben einer queeren Person of Color bekommen. Aber es kann auch gefährlich
sein, wenn queerfeindliche und rassistische Menschen Einblicke in Safe
Spaces haben.“
## Gegen die Gewalt
Ein trauriges Beispiel hierfür ist das Massaker im queeren
„Pulse“-Nachtclub von 2016, bei dem ein Angreifer 50 Menschen tötete. Clubs
wie das Pulse gelten eigentlich als Schutzraum vor queerfeindlicher Gewalt.
„Teilweise ist das in Europa etwas weniger krass als in den USA, aber so
oder so sind die Houses auch heute und auch hier in Deutschland noch eine
Lebensnotwendigkeit“, sagt Georgina. Die Kultur der Ballrooms stellt also
einen Schutz für queere und People of Color dar. Doch neben dem politischen
Aspekt geht es in der Ballroom-Kultur vor allem um Spaß und Glamour. Denn
Gewalt gegen queere und Personen of Color ist auch in Deutschland real und
alltäglich. Doch sie definiert LGBTIQ Menschen nicht. Dafür ist die
aufblühende Ballroom Community Deutschlands ein Beweis.
Am Ende des Balls in Düsseldorf betritt Eros St Laurent in wehendem weißem
Mantel, feinsäuberlich gebügelten weißen Hosen und einer futuristisch
anmutenden Sonnenbrille den Runway, im Hintergrund läuft episch anmutende
Musik. Dann nimmt er die goldene Trophäe für die Kategorie „Executive
Realness“ entgegen – mehr als verdient. Und nichts auf der Welt ist so
glamourös wie der Moment, wenn der*die Gewinner*in einer Kategorie mit der
Trophäe über den Runway stolziert.
14 Sep 2019
## LINKS
[1] /Ballroom-Culture-im-Berliner-HAU/!5354047
## AUTOREN
Lisa Tracy Michalik
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Queerfeminismus
New York
Queer
Tanz
Kultur in Berlin
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Glamrock
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