# taz.de -- Ökonom über Soli-Zuschlag: „Arme zahlen so viel wie Reiche“ | |
> Die reichsten Haushalte müssen nicht weiter entlastet werden, sagt Stefan | |
> Bach. Der Soli sollte auf die Einkommensteuer aufgeschlagen werden. | |
Bild: Zahlen sie den Soli? | |
taz: Herr Bach, SPD und Union streiten sich über den Solidaritätszuschlag. | |
Dabei schien der Koalitionsvertrag ganz klar: Man will die „unteren und | |
mittleren Einkommen“ entlasten. | |
Stefan Bach: Die untere Hälfte der Bevölkerung zahlt keine Einkommensteuer | |
und daher keinen Soli, kann also auch nicht entlastet werden. Familien mit | |
zwei Kindern zahlen erst ab einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von | |
52.000 Euro den Soli. Diese Summe erreichen viele Haushalte gar nicht. | |
Wer profitiert dann? | |
Finanzminister Scholz hat einen Vorschlag vorgelegt, der ab 2021 fast die | |
gesamte obere Hälfte der Bevölkerung entlasten würde. Nur die obersten zwei | |
Prozent, also die absoluten Spitzenverdiener, würden den Soli komplett | |
weiter zahlen. | |
Was würde das konkret bedeuten? | |
Momentan bringt der Soli noch 19 Milliarden Euro im Jahr. Davon tragen die | |
reichsten zehn Prozent der Bevölkerung etwa 62 Prozent bei, die reichsten | |
fünf Prozent 48 Prozent und das reichste eine Prozent immerhin 28 Prozent. | |
Und wer spart dann wie viel? | |
Von den jetzt 19 Milliarden Soli würden nur noch 8 Milliarden Euro übrig | |
bleiben. Wie gesagt: Die reichsten zwei Prozent der Bevölkerung sollen gar | |
nicht entlastet werden und den Soli in voller Höhe weiter zahlen. Die | |
„Ärmeren“ der obersten zehn Prozent der Bevölkerung werden aber auch | |
entlastet, um etwa 3 Milliarden Euro. Alle anderen würden den Soli gar | |
nicht mehr zahlen. | |
Viele Unionspolitiker klagen, es sei unerträglich ungerecht, dass die | |
Spitzenverdiener weiterhin den Soli zahlen sollen. Wirtschaftsminister | |
Altmaier will ihn bis 2026 ganz abschaffen. | |
Es ist Sinn der Steuerprogression, dass die Wohlhabenden mehr | |
Einkommensteuern zahlen als die Armen. Zudem werden die Reichen gar nicht | |
besonders stark belastet, wenn man alle Steuern betrachtet: Die | |
Einkommensteuern einschließlich der Unternehmensteuern machen gerade mal | |
die Hälfte des Steueraufkommens aus. Die andere Hälfte kommt durch die | |
sogenannten indirekten Steuern zusammen: also durch Mehrwertsteuer, | |
Energiesteuern und sonstige Verbrauchsteuern. | |
Die Union würde argumentieren: Auch Reiche zahlen Mehrwertsteuer und | |
Verbrauchsteuern. | |
Trotzdem werden gerade die armen Haushalte durch die Mehrwert- und | |
Verbrauchsteuern besonders stark belastet, weil sie nicht sparen können und | |
ihr gesamtes Einkommen ausgeben müssen. Wenn man alle Steuern und auch die | |
Sozialbeiträge berücksichtigt, dann zeigt sich, dass die arme und mittlere | |
Bevölkerung fast genauso hohe Steuersätze zahlt wie reiche Haushalte. | |
Die Union hält dagegen, dass der Soli einst eingeführt wurde, um die | |
deutsche Einheit zu finanzieren. Die Wiedervereinigung sei jetzt aber fast | |
30 Jahre her. | |
Der Soli wurde 1995 unbefristet eingeführt, um die Einheit gerechter zu | |
finanzieren. Denn es gab damals eine soziale Unwucht, weil auch die | |
Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt angehoben wurde und die Beiträge zur | |
Renten- und zur Arbeitslosenversicherung sehr stark stiegen. Auch diese | |
Belastungen bestehen teilweise bis heute fort. Und vor allem: Gerade die | |
Reichen sind in den vergangenen zwanzig Jahren steuerlich kräftig entlastet | |
worden. | |
Wodurch? | |
Der Spitzensteuersatz wurde von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt, die | |
Unternehmensteuern wurden deutlich reduziert und die Vermögensteuer | |
abgeschafft. Es gibt zwar die „Reichensteuer“ von 45 Prozent, die bei | |
Singles ab 260.000 Euro und bei Eheleuten ab 520.000 Euro greift. Trotzdem | |
gilt, dass gerade die Spitzenverdiener seit 1995 bei den Steuern schon | |
zwei- bis dreimal stärker entlastet wurden, als sie heute an Soli zahlen. | |
Und zugleich sind ihre Einkommen in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich | |
gestiegen. Die Geringverdiener und die Mittelschichten hingegen hatten nur | |
magere Einkommenszuwächse, die von steigenden Sozialbeiträgen und | |
indirekten Steuern aufgezehrt wurden. | |
Trotzdem ist schon abzusehen, dass es auf Dauer nicht verfassungsgemäß ist, | |
dass künftig nur noch zwei Prozent der Bevölkerung den Soli aufbringen | |
sollen. Was wäre die Lösung? | |
Wir müssen nicht die Spitzenverdiener erneut kräftig entlasten. Daher | |
sollte man den Soli einfach auf den normalen Tarif der Einkommensteuer | |
aufschlagen. Der jetzige Spitzensteuersatz von 42 Prozent würde dann auf | |
44,3 Prozent steigen, der „Reichensteuer“-Satz von 45 Prozent auf 47,5 | |
Prozent. Gleichzeitig könnte man die Steuerprogression für die | |
Besserverdiener etwas mildern, sodass der neue Spitzensteuersatz von 44,3 | |
Prozent erst ab 100.000 Euro brutto im Jahr greift. | |
Bei der Einkommensteuer muss auch der Bundesrat zustimmen. Dort wäre | |
Widerstand doch sehr wahrscheinlich, oder? | |
Man könnte den Soli auch umwidmen, zum Beispiel für Klimaschutz oder | |
Infrastruktur. Dann würde das Aufkommen weiterhin allein an den Bund gehen | |
und nur der Bundestag müsste dieses Gesetz absegnen. | |
20 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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