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# taz.de -- Hochverarbeitete Lebensmittel: Ungesund oder doch völlig harmlos?
> Die Anzahl von verzehrten Fertigprodukten hat sich in zehn Jahren
> verdoppelt. Forscher untersuchen derzeit, ob und warum sie der Gesundheit
> schaden.
Bild: Übergewicht droht: Pizza vom Fließband
München taz | „Fast Food kann tödlich sein“ – so lautet der Titel eines
aktuellen Sachbuchs. Hier behauptet der US-amerikanische Autor und Arzt
Joel Fuhrmann, dass Fertiggerichte, Fast Food und Convenience-Produkte
nicht nur dumm machen, sondern auch krank. Und auch andere alternative
Ernährungsweisen, egal ob Steinzeitkost oder Clean Eating, raten dringend
von verarbeiteten Produkten ab. Zudem mehren sich wissenschaftliche
Studien, die kein gutes Licht auf Fast Food & Co. werfen. Erst kürzlich
erschien eine US-amerikanische Studie des National Institute of Health in
Bethesda, die belegte, dass Menschen von stark verarbeiteten Mahlzeiten
rund 500 Kalorien mehr essen als von wenig verarbeiteten.
Aber sind die Fertigprodukte eigentlich wirklich so ungesund? Diese Frage
ist berechtigt, da sich die Zahl von verzehrten Fertigprodukten in knapp
zehn Jahren verdoppelt hat. Mittlerweile stammt die Hälfte unserer Kalorien
aus ultraprozessierten Lebensmitteln. Um sich dem Thema wissenschaftlich zu
nähern, hat Carlos Monteiro, Gesundheitswissenschaftler an der Universität
von São Paulo, eine Definition geliefert. Die sogenannte „NOVA food
classification“ teilt Lebensmittel in vier Gruppen ein:
In der ersten Gruppe versammeln sich die unverarbeiteten oder wenig
verarbeiteten Produkte wie frisches Obst und Gemüse sowie Fleisch, Fisch,
Eier oder Milch. Aber auch Trockenobst und gefrorenes Gemüse oder Fisch. In
der Gruppe 2 finden sich Öl, Mehl, Salz und Zucker. Gruppe 3 umfasst die
verarbeiteten Produkte Käse, Brot, Schinken, Nudeln, aber auch Dosentomaten
oder geräucherter Fisch. Diese Produkte sind meist verzehrfertig, enthalten
aber nur zwei oder drei Zutaten.
In der vierten Gruppe finden sich nun die verpönten „ultraverarbeiteten“
Lebensmittel. Sie haben mehrere Verarbeitungsschritte durchlaufen, liefern
eine ganze Reihe von Zutaten und Zusatzstoffen, die nicht ohne Weiteres als
Lebensmittel zu erkennen sind. In diese Kategorie fallen Softdrinks,
Süßigkeiten, Fleischprodukte, Backwaren, Eiscreme, aber auch Fertiggerichte
wie Tiefkühlpizza oder Trockensuppen.
Studien, die diese Einteilung verwenden, sind eindeutig. Die spanische
SUN-Studie hat etwa kürzlich belegt, dass mit jeder Portion Junk Food die
Wahrscheinlichkeit, früh zu sterben, um 18 Prozent ansteigt. Jemand, der
mehr als viermal täglich Lebensmittel der vierten NOVA-Kategorie isst,
hatte ein um 62 Prozent höheres Risiko einer verkürzten Lebenszeit als
jemand, der frische Lebensmittel isst.
## Übergewicht droht
Claudia Niggemeier und Almut Schmid, Ernährungswissenschaftlerinnen der
Universität Paderborn, haben die NOVA-Liste an deutsche Gepflogenheiten
angepasst und die hierzulande verzehrten Lebensmittel in drei Gruppen
zusammengefasst: frische, verarbeitete und hoch verarbeitete Lebensmittel.
In ihrer 2015 veröffentlichten Studie wurde deutlich: Je mehr hoch
verarbeitete Lebensmittel auf dem Speiseplan stehen, desto übergewichtiger
sind die Personen. Das erklären sich die Forscherinnen damit, dass
Lebensmittel wie Pommes, TK-Pizza oder Schokolade eine vergleichsweise hohe
Energiedichte haben, also pro 100 Gramm viele Kalorien liefern, aber wenig
sättigen.
Auch waren Probanden, die viele hoch verarbeitete Produkte essen,
schlechter mit Kalzium und Folat, einem wichtigen B-Vitamin, versorgt.
Dafür nahmen sie mehr Kochsalz auf. Bei Kindern führte eine derartige Kost
zu einer um 17 Prozent höheren Aufnahme von Natrium als bei Frischkost.
Salz gilt als Verursacher von Bluthochdruck, aber auch als Appetitanreger.
„Es ist bewiesen, dass viele hoch verarbeiteten Lebensmittel das Risiko für
Übergewicht, Diabetes Typ 2 sowie Herzkrankheiten erhöhen“, sagt Stefan
Kabisch, Stoffwechselexperte am Deutschen Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke. Zu den Mechanismen, wie Fertigprodukte der Gesundheit
zusetzen sollen, gibt es indes verschiedene Theorien. Manche Forscher
glauben, dass vor allem Proteine in Lebensmitteln sättigen. Weil aber die
hoch verarbeiteten Produkte ja vor allem Kohlenhydrate wie Zucker oder
Stärke und schlechte Fette liefern, werde von diesen mehr gegessen. Kabisch
ergänzt: „Auch der Ballaststoffgehalt eines Lebensmittels ist wichtig für
die Sättigung, und davon stecken in Chips oder Schokolade wenig.“
Zudem fehlt den Nährstoffen in hoch verarbeiteten Produkten die Matrix, das
heißt, sie werden aus ihrem ursprünglichen Strukturverbund wie den Zellen
eines Obstes oder der Kornstruktur von Getreide herausgelöst. Zucker aus
Softdrinks geht dann zum Beispiel schneller ins Blut. Daraufhin wird viel
Insulin ausgeschüttet und verursacht einen drastischen Zuckerabfall im
Blut, der Hunger vermittelt. „Zucker aus einer intakten Orange muss jedoch
vom Verdauungsapparat erst mit Energieaufwand aus dem Zellverband gelöst
werden und geht dann langsam ins Blut über.“
## Auch im Honig steckt Zucker
Studien belegen, dass verschiedene Hormone durch die Flutung von schnell
verdaulichen Nährstoffen ungünstig beeinflusst werden, die bei Hunger,
Sättigung, Fettspeicherung oder Fettabbau ein Rolle spielen. Die Einteilung
der Lebensmittel nach ihrem Verarbeitungsgrad hält Kabisch darum für nicht
ausreichend: „Auch in Honig, Säften oder Weißbrot stecken Zucker, die
schnell ins Blut gehen, diese zählen jedoch nicht zur Kategorie hoch
verarbeitet.“
Letztlich tummeln sich in vielen Hightechprodukten auch Zusatzstoffe. Zwar
sind diese jede für sich genommen geprüft und in bestimmten Mengen
ungefährlich, in der Summe könnten sie aber doch eine Rolle spielen, etwa
könnten sie das Darmmikrobiom negativ beeinflussen. Wer viel Fertigzeug
isst, kann jedoch auch die ungefährlichen Mengen überschreiten. Kinder
beispielsweise, die große Mengen von Süßigkeiten, aromatisierten Getränken
oder Frühstückszerealien konsumieren, überschreiten schon mal die
Grenzwerte einiger Farbstoffe, hat eine deutsche Studie aus dem Jahr 2014
belegt.
Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Kekse und TK-Pizza ungesund sind, weil
sie meist nebenher gegessen werden. Daher hat man weniger Gefühl dafür, was
und wie viel man über den Tag verteilt gesnackt hat. Das Sättigungsgefühl
bleibt aus „Die derzeit als gesund vermarkteten Shakes oder Smoothies sind
übrigens ebenso wenig empfehlenswert“, sagt Kabisch. „Auch hier fehlt die
Matrix, und man schlürft die Mahlzeit nebenher ohne den sozialen Aspekts
des gemeinsamen Essens.“
Obendrein liefern die Fertigprodukte keine Vielfalt, auch wenn das im
Supermarkt durch viele bunte Verpackungen so suggeriert wird – im Großteil
stecken billige Füllstoffe aus Weizen, Milch, Zucker oder Palmöl. Wer
häufig solche Produkte isst, trimmt seinen Geschmack auch auf starke
Effekte, das verhindert, dass weniger Gewürztes auch nicht mehr so gut
schmeckt.
## Möglichst meiden
Man sollte Fertigprodukte so selten wie möglich essen“, sagt Kabisch. Für
Erwachsene gibt es keine gute Datenbasis für die Festlegung einer als
unbedenklich angesehenen Menge. Nur in der Kinderernährung gilt: Ein 4- bis
6-jähriges Kind sollte etwa täglich nicht mehr als 125 Kalorien am Tag aus
Süßigkeiten, Softdrinks oder Knabberartikeln beziehen. Dabei liefert eine
Kugel Eis oder ein 0,2 Liter-Glas-Limo etwa 100 Kalorien. In Sachen Fast
Food, also Burger & Pommes, sagen Experten, dass dieses nicht häufiger als
ein- bis zweimal pro Woche auf dem Speiseplan stehen sollte.
Fast Food ist also laut Ernährungswissenschaftlern nicht tabu. Soziologen
warnen sogar davor, Fertigprodukte zu verteufeln. Denn sie erleichtern den
Alltag erheblich, und schlechtes Gewissen beim Essen ist der Gesundheit
auch nicht zuträglich. Alarmistische Bücher wie das von Fuhrmann, das im
Übrigen nicht nur Fertiggerichte, sondern auch gleich Öle sowie Milch- und
Tierprodukte auf den Index setzt, kann man getrost im Laden lassen.
Indes ist es wichtig, dass die Politik auf die Lebensmittelhersteller
Einfluss nimmt. Bis dahin gilt: Wer keine Zeit hat, täglich zu kochen, kann
Fertiggerichte einfach aufpeppen. Eine Pizza ist schnell mit frischen
Pilzen oder Paprika belegt. Ein Schokokeks ist, gemeinsam mit einem Apfel
gegessen, auch schon nicht mehr so dramatisch.
10 Aug 2019
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Lebensmittel
Convenience
Lebensmittelindustrie
Übergewicht
Zucker
Ernährung
Palmöl
Übergewicht
Schwerpunkt Coronavirus
Spanien
Essen
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