# taz.de -- Fertiggerichte am Familientisch: Industriekost für Kleinkinder | |
> "Bio-Menüs" und "Kinder-Knabber": Die Babynahrungsindustrie versorgt | |
> jetzt auch Kleinkinder mit Fertigessen. Mediziner und Verbraucherschützer | |
> sind entsetzt. | |
Bild: Lecker Brei: Babynahrung von Hipp 1960 (l.) und heute. | |
BERLIN taz | Die Babynahrungsindustrie hat eine neue Zielgruppe entdeckt: | |
Die 1- bis 3-Jährigen. Seit Mai bietet etwa das Unternehmen Hipp eine | |
eigene Produktlinie für Kinder nach dem ersten Lebensjahr: "Bio-Menüs", | |
"Kinder-Pause", "Trinkspaß" oder "Kinder-Knabber-Produkte". | |
Auch der US-Konzern Pfizer hat eine Produktlinie namens "Gold" für | |
Kleinkinder herausgebracht. Und seit einiger Zeit gibt es spezielle | |
Kindermilch im Handel. Das soll "gesunde" Fertigkost für die Kleinsten | |
sein. Ernährungsexperten sehen diesen Trend jedoch mit Skepsis. | |
Die Babynahrungshersteller ersinnen solche Produkte, weil immer weniger | |
Kinder geboren werden, also ihre Zielgruppe und damit Gewinnmargen | |
schrumpfen. Hipp zum Beispiel verdreifacht seine Zielgruppe mit der neuen | |
Strategie, denn seine früheren Produkte waren nur für das erste Lebensjahr | |
gedacht. | |
Die Convenience-Produkte sollen laut Herstellerangaben die Kleinen vor | |
Übergewicht und Nährstoffmangel bewahren. So sind die Hipp-Menüs so | |
erdacht, dass sie weniger Zucker und Fett und damit weniger Energie liefern | |
als herkömmliche Kinderlebensmittel. Zudem steckt in den Produkten weniger | |
Salz und Gewürze. Pfizer geht sogar noch weiter und reichert die | |
Gold-Kindernahrung mit Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen an. | |
"Die Produkte braucht man nicht, weil Kinder nach dem ersten Jahr an die | |
Ernährungsweise der Erwachsenen herangeführt werden sollten", erklärt | |
dagegen die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Zudem | |
lieferten die Produkte nichts Frisches und schränkten die | |
Geschmacksentwicklung ein. | |
## Risiko der Überversorgung | |
Auch spezielle Milch für Kinder nach dem ersten Lebensjahr ist laut | |
Bundesinstitut für Risikobewertung überflüssig. Sie wird mit dem Slogan | |
"gesünder als Kuhmilch" angepriesen, weil sie weniger Eiweiß als | |
handelsübliche Milch liefert, und damit kindlichem Übergewicht vorbeugen | |
soll. Gesünder soll die Kunstmilch auch sein, weil man ihr beispielsweise | |
Eisen, Zink, Folsäure oder Vitamin D zusetzt. | |
Gabriele Graf von der Verbraucherzentrale NRW stellt jedoch klar: "Die | |
unkontrollierte Zufuhr von solchen Nährstoffen durch Kinderlebensmittel | |
birgt das Risiko einer Überversorgung." | |
Zudem sei bis dato nicht wissenschaftlich bewiesen, dass eine verringerte | |
Proteinzufuhr im Kleinkindalter das Risiko mindere, später übergewichtig zu | |
werden. Die Spezial-Milch ist zudem teurer als normale Kuhmilch. Ein | |
Marktcheck der Verbraucherzentrale Schleswig Holstein hat ergeben, dass | |
einige Produkte um 400 Prozent teurer als herkömmliche Milch sind. | |
Gleichzeitig liefern diese Produkte jedoch soviel Fett wie Vollmilch. Das | |
hat nun auch das Bundesverbraucherministerium auf den Plan gerufen. Die | |
Behörden prüfen, ob sie gegen die Kindermilch ein Verkaufsverbot verhängen | |
sollen. | |
1 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
## TAGS | |
Kinder | |
Lebensmittel | |
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