# taz.de -- Aus dem Berliner Schulalltag: Abschied vom Schrippenstrich | |
> An einem Kreuzberger Gymnasium gab es monatelang kein warmes Essen - nun | |
> hat ein multikulturelles Kiez-Unternehmen das Catering übernommen | |
Bild: Sieht nicht gerade lecker aus, immerhin ist es warm: Schulessen in Berlin | |
Auf einer Seite hungrige Kids, auf der anderen die Croissanterie. | |
Dazwischen eine imaginäre Grenze: der "Schrippenstrich". Weil das | |
Kreuzberger Hermann-Hesse-Gymnasium seinen Schülern seit Schuljahresbeginn | |
kein warmes Essen anbieten konnte, standen viele Kinder mittags am | |
Schulausgang und baten ältere Schüler, ihnen etwas vom Bäcker zu holen. Sie | |
selbst durften das Gelände ja nicht verlassen. Der Grund für die missliche | |
Situation: Die Ganztagsschule hatte monatelang keinen Essenslieferanten. | |
Erst seit November hat sich das geändert: Der neue Caterer "Die Weltküche" | |
sorgt für multikulturelle Ernährung. | |
Im Schuljahr 2010/2011 stellte die Hermann-Hesse-Schule auf Ganztagsbetrieb | |
um, aber nur für 27 der 98 Kinder, die bis nachmittags blieben, wurden | |
Verträge mit dem Caterer abgeschlossen. Zu wenig für den Anbieter, der | |
prompt zum laufenden Schuljahr kündigte. Die Suche nach einer neuen Firma | |
zog sich in die Länge - mit dem Ergebnis, dass es zum Schuljahresanfang im | |
vergangenen August kein Catering gab. Schulleiterin Jutta Deppner moniert, | |
es habe an Unterstützung vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg gemangelt: | |
"Die haben die Ausschreibung für einen neuen Caterer nicht rechtzeitig | |
veröffentlicht." Das sieht Schulstadträtin Monika Herrmann (Grüne) anders: | |
"Ich wurde dank engagierter Eltern auf die Situation im Gymnasium | |
aufmerksam. Sonst hatte die Schulleitung immer versichert, sie werde sich | |
um dieses Thema kümmern." | |
Monika Herrmann fiel schließlich ein Restaurant in der nahegelegenen | |
Graefestraße ein, die "Weltküche". Dort werden Gerichte aus aller Welt | |
angeboten, wie "Pollo Encocado" aus Ecuador oder südafrikanische Buletten. | |
Da das Restaurant auch Catering anbietet, kam die Bezirksstadträtin auf die | |
Idee, es in den Bewerbungsprozess für die Hermann-Hesse-Schule | |
einzubeziehen. | |
Seit Anfang November beliefert nun die "Weltküche" das Gymnasium: täglich | |
ein Gericht mit oder ohne Fleisch, Salat, Nachtisch, Snacks. "Die Gerichte | |
kommen aus den Herkunftsländern der Köchinnen", sagt Christine Pruß, | |
Leiterin des Caterings. "Da es an der Schule viele arabischstämmige Kinder | |
gibt, passt das gut zusammen. Zum Beispiel kochen wir ohne | |
Schweinefleisch." Orientalische Linsensuppe gibt es für die hungrigen | |
Schüler, Köfte, Börek, "aber es dürfen auch mal Pommes sein", sagt Pruß. | |
Das Mittagessen wurde einige Tage lang getestet, seit Anfang vergangener | |
Woche wird es regulär geliefert. Bei der Essenausgabe helfen Mitarbeiter | |
der Weltküche, die dabei auch die Reaktionen der Kinder beobachten können | |
"So können wir einen Speiseplan mit Dingen zusammenstellen, die den Kindern | |
schmecken", sagt Pruß. | |
Betrieben wird das Restaurant von einem gemeinnützigen Verein, der | |
"Graefewirtschaft". 2009 wurde sie von Migrantinnen und Unterstützern | |
gegründet. Die neun Frauen waren jahrelang arbeitslos gewesen und hatten | |
sich im Rahmen von Integrationskursen kennen gelernt. "Sie konnten alle gut | |
kochen, hatten aber keine Chancen auf dem konventionellen Arbeitsmarkt und | |
mussten sich von einer Beschäftigungsmaßnahme zur nächsten durchschlagen", | |
erklärt Christine Pruß. Dann sei ihnen die Idee gekommen, ein eigenes | |
soziales Unternehmen zu gründen. Die Leiterin lernte die neun Frauen bei | |
einem Kurs kennen, den sie leitete. Um einen Gründungszuschuss zu bekommen, | |
fehlten den Frauen die Fachkenntnisse. So wurden sie von verschiedenen | |
Institutionen, Stiftungen und Ehrenamtlichen unterstützt, vor allem, um | |
wirtschaftliches Know-how zu erlernen. | |
Bezirksstadträtin Herrmann ist stolz auf die Zusammenarbeit der Weltküche | |
mit der Schule: "Ich wollte eine eher kleine Initiative und die lokale | |
Wirtschaft unterstützen", sagt sie. Das sei gelungen: Die Graefewirtschaft | |
sei eine bekannte Initiative im Kiez, und das Essen der Weltküche werde gut | |
angenommen. Mittlerweile haben sich die Eltern von rund 100 Kindern für | |
einen Vertrag mit der Weltküche entschieden. So viele Portionen müssen | |
täglich zubereitet werden. "Am Anfang hatten wir gemischte Gefühle, ob wir | |
das schaffen", sagt Pruß. "Aber dann haben wir uns sehr gefreut, dass wir | |
für die Schule im Kiez etwas machen können." | |
30 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Barbara Cunietti | |
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