# taz.de -- Reaktionen auf Wahl von der Leyens: Widerstand gegen Merkels Coup | |
> Die EU wird weiblicher, doch die Art und Weise, wie die Damen ausgewählt | |
> wurden, wird tiefe Spuren hinterlassen. Sie könnte sich sogar noch | |
> rächen. | |
Bild: Die EU könnte bald weiblicher werden | |
Donald Tusk wählte wohlklingende Worte: „Europa ist eine Frau“, sagte der | |
polnische EU-Ratspräsident am Ende [1][des dreitägigen Gipfelmarathons] am | |
Dienstagabend in Brüssel. | |
Es war als Kompliment für die beiden Gewinnerinnen des Abends gedacht: | |
Ursula von der Leyen und Christine Lagarde. [2][Die Deutsche soll ab Herbst | |
die EU-Kommission leiten], die Französin die Europäische Zentralbank. | |
Die Leitung des Rats übernimmt der Belgier Charles Michel, Außenvertreter | |
soll der Spanier Josep Borrell werden. So hat es der EU-Gipfel nach | |
wochenlangem Gezerre entschieden. | |
Zum ersten Mal in der Geschichte der EU sollen damit zwei Frauen die | |
wichtigsten Jobs in Brüssel bzw. Frankfurt übernehmen. Das ist ein | |
Fortschritt, Europa wird tatsächlich ein Stück weiblicher. | |
## Tiefe Spuren auf dem richtigen Weg | |
„Das finde ich auch mal schön“, sagte [3][Bundeskanzlerin Angela Merkel in | |
ihrer gewohnt flapsigen Art]. Dass eine deutsche Frau dabei ist, noch dazu | |
aus der CDU, hat sie natürlich auch gefreut. | |
Doch die Art und Weise, wie die Damen ausgewählt wurden, wird tiefe Spuren | |
hinterlassen. Sie könnte sich sogar noch rächen – denn das Europaparlament | |
fühlt sich übergangen. Bei der Wahl in zwei Wochen könnte es von der Leyen | |
zurückweisen. Die Warnungen sind kaum zu überhören. | |
„Das Parlament kann diesem Personaltableau nicht zustimmen“, sagte | |
Jens-Geier, Chef der Europa-SPD. „Wir lassen uns vom Europäischen Rat | |
keinen Präsidenten des Parlaments vorschreiben. Es ist ein Armutszeugnis | |
für den Europäischen Rat, weil es das Spitzenkandidatenprinzip über Bord | |
wirft.“ | |
Ähnlich äußerte sich [4][die grüne Spitzenkandidatin Ska Keller]. „Dieser | |
Hinterzimmer-Deal ist grotesk, er stellt niemanden zufrieden“, sagte sie. | |
Özlem Alev Demirel, friedenspolitische Sprecherin der Linken, sprach von | |
einem „bösen Omen“. Von der Leyen stehe für das Ziel, „die EU unweigerl… | |
zu einer Rüstungsunion umzubauen.“ | |
## Misslich, aber selbst herbeigeführt | |
Probleme räumte sogar Merkel ein. Sie sagte, sie wolle sich für ein neues | |
Verfahren mit dem EU-Parlament einsetzen, damit es nicht wieder zu einer | |
solch misslichen Situation komme. | |
Allerdings hat Merkel die missliche Situation selbst herbeigeführt. Ganz am | |
Anfang stand ihr Versuch, den [5][selbst in Deutschland kaum bekannten | |
CSU-Politiker Manfred Weber] zum Spitzenkandidaten der Konservativen | |
aufzubauen und zum nächsten Kommissionschef zu machen. | |
Dies rief Widerspruch hervor – vor allem bei Frankreichs Staatschef | |
Emmanuel Macron, der Weber mangelnde Erfahrung vorwarf und das „System“ der | |
Spitzenkandidaten grundsätzlich infrage stellte. | |
Als sich herausstellte, dass Weber keine Mehrheit finden würde – nicht | |
einmal im Europaparlament – schwenkte Merkel brüsk auf den | |
sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans um. Doch der wurde | |
[6][vom neuen „Ostblock“] aus den osteuropäischen Visegrad-Staaten und | |
Italien brutal ausgebremst. | |
## Weber ist schon eingeknickt | |
Am Ende ließ Merkel dann die Spitzenkandidaten fallen – und zog ihren | |
weiblichen „Joker“ von der Leyen aus dem Ärmel. Oder stammt der Vorschlag | |
gar nicht von ihr? War es Merkel, oder kam die Idee gar von den | |
Visegrad-Staaten? | |
Die Kanzlerin wollte es auch auf Nachfrage nicht sagen. Jedenfalls | |
entschied sie sich für eine Kandidatin, die niemand auf dem Zettel hatte, | |
und die in keiner Weise an der Europawahl beteiligt war – schon gar nicht | |
als Spitzenkandidatin. | |
Das Ganze wirkte wie ein Coup – und nicht wie ein geordnetes Verfahren, das | |
nach demokratischen Spielregeln abläuft. Deswegen baut sich nun auch | |
Widerstand auf. Allerdings ist fraglich, ob er am Ende stark genug sein | |
wird, um von der Leyen noch zu verhindern. | |
Merkels einstiger Günstling Weber ist schon eingeknickt. Er ziehe seine | |
Kandidatur zurück und beuge sich der Meinung seiner Partei, erklärte er am | |
Dienstagabend in Straßburg. Damit dürfte die konservative Europäische | |
Volkspartei, der auch CDU und CSU angehören, dem Deal zustimmen, wenn auch | |
zähneknirschend. | |
## Die Spanier könnten den Ausschlag geben | |
Auch die Liberalen scheinen zufrieden zu sein. Jedenfalls erklärte Macron, | |
der dort neuerdings den Ton angibt, von der Leyen sei eine hervorragende | |
Wahl. Das reicht zwar noch nicht, um eine Mehrheit im EU-Parlament zu | |
sichern. | |
Doch wenn auch die meisten Sozialdemokraten zustimmen, könnte von der Leyen | |
durchkommen. Die größte Gruppe bei den Genossen stellen neuerdings nicht | |
mehr die Deutschen, sondern die Spanier. Sie könnten am Ende den Ausschlag | |
geben, eventuell gemeinsam mit den Rechtskonservativen und der Fidesz von | |
Viktor Orban. | |
Bahnt sich da ein schmutziges Machtbündnis an? Dem früheren | |
EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) schwant schon Böses. „Es gibt | |
Bestrebungen das Parlament einzukaufen“, [7][sagte er dem Tagesspiegel]. | |
Wen er genau meint, ließ der SPD-Politiker offen. | |
3 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Verhandlungen-um-EU-Spitzenaemter/!5608933 | |
[2] /Ringen-um-naechsten-EU-Kommissionschef/!5603954 | |
[3] /Kommentar-von-der-Leyen-und-Bruessel/!5609282 | |
[4] /Gruene-will-EU-Parlamentschefin-werden/!5609152 | |
[5] /EVP-Spitzenkandidat-fuer-die-Europawahl/!5594242 | |
[6] /Naechster-EU-Kommissionspraesident/!5604081 | |
[7] https://m.tagesspiegel.de/politik/newsblog-zum-eu-gipfel-macron-appelliert-… | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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