| # taz.de -- Bütikofer über EU-Postenvergabe: „Ich bin Nein-Sager“ | |
| > Reinhard Bütikofer ist Co-Vorsitzender der Grünen in Brüssel und hat | |
| > viele Gründe, Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin | |
| > abzulehnen. | |
| Bild: „Ich habe Zweifel, dass von der Leyen liefern kann, was sie verspricht�… | |
| taz am wochenende: Herr Bütikofer, der Europäische Rat hat Ursula von der | |
| Leyen als EU-Kommissionspräsidentin vorgeschlagen. Was halten Sie davon? | |
| Reinhard Bütikofer: Das ganze Verfahren ist eine böse Zumutung. Der Rat | |
| schwächt das Parlament und damit die europäische Demokratie. Er reißt | |
| Entscheidungen an sich, die ihm nicht zustehen. Eine exquisite | |
| Blockadeallianz von Macron bis Orbán hat das Spitzenkandidatenmodell zu | |
| Fall gebracht. Der Rat stoppt da aber nicht bei seiner Usurpation. | |
| Ist das nicht übertrieben? Der Rat hat das Recht und die Pflicht, einen | |
| Vorschlag zu machen. | |
| Das Vorschlagsrecht ist unbestritten, die Staats- und Regierungschefs haben | |
| es aber genutzt, um jemanden aus dem Hut zu zaubern, der im Wahlkampf keine | |
| Rolle gespielt hat. Damit nicht genug, maßten sie sich an, dem Parlament zu | |
| sagen, wer sein Präsident sein solle. Und sie desavouieren die | |
| Kommissionspräsidentin, die sie gerade nominiert hatten, erneut. Nach | |
| europäischem Recht entscheidet der Kommissionspräsident, wer Vizepräsident | |
| wird oder welches Kommissar-Ressort bekommt. Was ist das für ein Signal, | |
| das sich nun der Rat herausnimmt, dafür verbindliche Vorgaben zu machen? | |
| Was für eines? | |
| Mit Ursula von der Leyen würden wir eine Person an der Spitze der | |
| EU-Kommission installieren, die so tief in der Tasche des Rates steckt, | |
| dass sie nicht mal ihre eigenen Rechte verteidigt. Sie sagt dazu keinen | |
| Pieps. Es ist aber über die Demokratiefrage hinaus für die | |
| Entwicklungsfähigkeit Europas fatal, wenn die Regierungschefs alle Macht | |
| für sich beanspruchen. Der Rat ist systematisch zerstritten. Wann bringen | |
| die alleine was voran? Was wäre EU-Klimapolitik allein aus dem Rat? Wenn | |
| die unitarischen EU-Institutionen, vor allem das Parlament, kastriert | |
| werden, fehlt Europa der Motor, den wir brauchen, um uns gemeinsam den | |
| Herausforderungen von Umwelt- und Industrie- bis Flüchtlingspolitik | |
| gewachsen zu zeigen. | |
| Die beiden Spitzenkandidaten der großen Parteienfamilien, der CSUler | |
| Manfred Weber und der Sozialdemokrat Frans Timmermans, hatten keine | |
| Mehrheit – obwohl sich Kanzlerin Angela Merkel für beide starkgemacht hat. | |
| Vielleicht war einfach nicht mehr drin? | |
| Angela Merkel hat erst zu lange rumgedruckst, statt Macrons Angriffen gegen | |
| Weber und das Spitzenkandidatenmodell klar zu widersprechen. Dann bemühte | |
| sie sich redlich. Schließlich hat sie einen Kompromiss angeboten mit dem | |
| Sozialdemokraten Timmermans als Kommissionspräsident. Diesen Zug hatte ich | |
| von ihr und der EVP-Führung so erhofft, aber nicht erwartet, das hatte | |
| Größe. | |
| Timmermans haben dann die osteuropäischen Staatschefs verhindert. Was hätte | |
| Merkel tun sollen? | |
| Es wurde, glaube ich, nicht ernsthaft getestet, ob die dänische | |
| Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager mehrheitsfähig gewesen wäre. Der | |
| aktuelle Vorschlag zerstört jedenfalls unglaublich viel Vertrauen. | |
| Wäre Frau von der Leyen angesichts der verfahrenen Situation so schlecht? | |
| Sie ist ein Vollprofi, liberal, klar proeuropäisch, und sie wäre die erste | |
| Frau an der Spitze der EU-Kommission. | |
| Liberal, proeuropäisch – von solchen Plaketten kann ich mir nichts kaufen. | |
| Relevant ist, was in der Praxis herauskommt. Ich habe größte Zweifel daran, | |
| dass eine von vornherein entmachtete Frau von der Leyen im Amt liefern | |
| kann, was sie vielleicht gerne verspricht. | |
| Warum? | |
| Frau Vestager hat immerhin demonstriert, dass sie sich mit großen | |
| Mitgliedsstaaten anlegt, wo sie es für nötig hält. Politische Kraft und | |
| Unabhängigkeit sind entscheidend. Da hat von der Leyens Kandidatur einen | |
| Geburtsfehler. | |
| Sie könnte sich doch emanzipieren von dem unschönen Vorspiel? | |
| Das müsste sie erst mal tun. Das möchte ich sehen, dass sie dem Parlament | |
| das Initiativrecht gibt, das Weber versprochen hatte. Oder dass sie | |
| Rüstungsexportpolitik so weiterentwickelt, dass die Waffenexporte nach | |
| Saudi-Arabien nach Gemeinschaftsrecht untersagt werden können. Ich erinnere | |
| mich aber an die Ursula von der Leyen von der Münchner | |
| Sicherheitskonferenz, die sich über angebliche Bedenkenträgerei bei | |
| Rüstungsexporten lustig macht und sich bei der Lobby anbiedert. | |
| Ist das Europäische Parlament nicht selbst schuld? Die Fraktionen haben es | |
| eben nicht geschafft, sich auf einen Spitzenkandidaten zu einigen. | |
| Wir Grüne stehen dem CSUler Weber nun wirklich nicht nah. Trotzdem waren | |
| wir bereit, ihm eine Chance zu geben. Das haben Liberale und | |
| Sozialdemokraten durchweg verweigert. Dabei gab es ja die progressive | |
| Mehrheit nicht, von der Timmermans gerne schwadronierte. Insofern: Ja, das | |
| Parlament hat Mitschuld. | |
| Nach der Nominierung von der Leyens haben Sie getwittert: „Eine sehr gute | |
| Lösung. Für die Bundeswehr.“ | |
| Ich habe versucht, meine Empörung mit Ironie in Zaum zu halten. | |
| Sie schrieben auch: „Sie kann es nicht.“ | |
| Stimmt. Sollen wir jetzt über Katastrophen im Verteidigungsministerium, den | |
| Untersuchungsausschuss und andere Dinge sprechen? | |
| Sind Ihre Mecker-Tweets eigentlich der einzige Erfolg der Grünen? | |
| So ist es ja nicht. Aber auf meine Tweet-Kunst bilde ich mir natürlich was | |
| ein. | |
| Sie stehen doch mit leeren Händen da. Der ganze Prozess lief an Ihnen | |
| vorbei. | |
| Tatsächlich? Vor fünf Jahren haben sich Jean-Claude Juncker und Martin | |
| Schulz nach der Wahl hingesetzt, die Posten verteilt und zwei Mitarbeiter | |
| eine Dreiviertelseite Text aufschreiben lassen – als Handlungsperspektive | |
| vagester Art. Dieses Mal haben vier Fraktionen über eine Prioritäten-Agenda | |
| für die nächsten fünf Jahre verhandelt. Das läuft noch und es ist ein | |
| demokratischer Fortschritt. | |
| Vor der Wahl haben Grüne getönt, es gehe um eine Richtungsentscheidung, um | |
| eine Klimawahl. In Deutschland galten die Grünen als Wahlsieger. Wo sind | |
| Ihre Erfolge? | |
| Bisher haben vor allem die Staats- und Regierungschefs zusammengesessen. Da | |
| spielen wir Grüne keine Rolle, weil der Ministerpräsident von | |
| Baden-Württemberg nicht eingeladen wird. Doch Sie werden sehen: Heute sind | |
| wir im Parlament ein Faktor, an dem man schwer vorbeikommt. Ein Signal: Ska | |
| Keller hat für das Amt der Parlamentspräsidentin kandidiert und 133 Stimmen | |
| bekommen, fast doppelt so viele, wie unsere Fraktion Mitglieder hat. | |
| Wirklich gestalten kann man in der Regierung. Donald Tusk wirbt für einen | |
| grünen Kommissar. Wäre das was? | |
| Wir hätten geeignete Frauen und Männer. Von den elf Ländern, in denen Grüne | |
| bei der Wahl zweistellig waren, kämen wohl am ehesten Luxemburg, Schweden, | |
| Finnland und Belgien in Betracht. | |
| Wenden sich irgendwann Leute enttäuscht ab, weil sich trotz grüner | |
| Wahlerfolge nichts ändert? In Hessen regiert Schwarz-Gähn, in Bayern geht | |
| alles weiter wie bisher, dito in Brüssel. | |
| Na, war da nicht ein Volksentscheid in Bayern? Wenn wir Grüne stark sind, | |
| fragen die Leute schon: Was erreichen die in der Realität? Unsere Antwort: | |
| Wir setzen nicht nur auf die Stärke in den Parlamenten. Sondern auch auf | |
| die Stärke gesellschaftlicher Bewegungen, sei es Fridays for Future auf der | |
| Straße, seien es andere. | |
| Das ist leicht gesagt. Wie soll das gehen? | |
| Es gibt jede Menge Graswurzelinitiativen. Menschen entwickeln nach dem | |
| Vorbild von Städten wie Kopenhagen ehrgeizige Pläne, um möglichst schnell | |
| Klimaneutralität in der eigenen Gemeinde zu erreichen. Das wirkt sehr | |
| praktisch. So stehen wir nicht nur auf dem parlamentarischen Bein, sondern | |
| wir laufen auf zweien. | |
| Am Montag wird sich von der Leyen in der Fraktionssitzung der europäischen | |
| Grünen vorstellen. Was muss sie Ihnen bieten, damit Sie für sie stimmen? | |
| Ich glaube nicht, dass Frau von der Leyen mit der Erwartung in unsere | |
| Fraktion kommen sollte, viele Stimmen mit nach Hause zu nehmen. Es gibt | |
| keinerlei Begeisterung, aber viel, sehr viel Kritik. Versprechen werden | |
| nicht reichen, um Vertrauen wiederherzustellen. Vertrauen entsteht durch | |
| Handeln. | |
| Aber handeln könnte sie doch erst, wenn sie gewählte Kommissionspräsidentin | |
| ist? | |
| Wenn ihr dazu nicht mehr einfällt, wird das mit dem Vertrauen schwierig. | |
| Sie kann sich ja informieren, worauf es uns ankommt. | |
| Wie werden Sie persönlich abstimmen? | |
| Ich bin da Nein-Sager. | |
| Warum sagen die Grünen nicht: „O. k., blöd gelaufen, aber von der Leyen ist | |
| das Beste, was wir kriegen – und nicht der Teufel. Wir reden mit, boxen | |
| Inhalte durch und kriegen einen Kommissarsposten obendrauf“? | |
| Weil wir dafür sind, dass das Parlament beißt und nicht nur bellt. Und weil | |
| man so weder Inhalte durchboxt noch einen Kommissarsposten erobert. | |
| 5 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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