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# taz.de -- Klimanotstand-Städte im Norden: Symbolpolitik oder nicht?
> Mehrere Städte in Schleswig-Holstein haben den Klimanotstand ausgerufen.
> Doch KritikerInnen vermissen konkrete Maßnahmen.
Bild: Sieht hübsch aus und haut viel Dreck in die Luft: Kreuzfahrtschiff am Os…
Neumünster taz | Den „Schmetterlingsgarten“ am Rand von Bad Segeberg finden
vermutlich wenige der Tausenden von Karl-May-Fans, die jährlich in das
Städtchen am Kalkberg strömen. Aber Christoph Kröger vom örtlichen
Naturschutzbund (Nabu) zeigt die grüne Oase mit ihrem hohem Gras und den
Bäumchen gern: Die sieht so aus, wie sich ein Naturschützer eine Wiese
wünscht. „Anzeichen für Klimawandel?“ Kröger schüttelt den Kopf. Nein, …
den ersten Blick ist nichts zu sehen – „das wäre unseriös“. Aber die
Anzeichen mehren sich: „Die Altvorderen berichten von Änderungen der Tier-
und Pflanzenwelt.“
Da gibt es Weiher, auf denen früher die Kinder Schlittschuh liefen, und die
seit Jahren nicht mehr zufrieren. Bäche, die im vergangenen Sommer
austrockneten. Weniger Schmetterlinge und Mücken, die über den Blüten des
Schmetterlingsgartens schweben. Nichts davon ist allein schon ein Beweis,
aber die Sorge um das Klima wächst. Bad Segeberg hat sich vor einigen
Wochen zum Klimanotstandsgebiet ernannt. Auch andere Städte in
Schleswig-Holstein sind diesen Schritt gegangen. In diesen Kommunen sollen
politische Entscheidungen nun immer auch Umwelt- und Klimaschutz
mitberücksichtigen.
In Bad Segeberg kam der Anstoß weder aus der Stadtverwaltung noch aus dem
Rat, sondern von der Straße: „Wir haben den Antrag im Netz gesehen und sind
damit ins Rathaus gegangen“, berichtet Lennart Stahl.
Der 17-jährige Gymnasiast gehört wie die 16-jährige Luna Rothenburg zur
Segeberger Fridays-for-Future-Gruppe. In der Kleinstadt fand wohl der erste
Schülerprotest nach Greta Thunbergs Vorbild in Deutschland statt: „Zwei,
drei Leute haben im Dezember angefangen“, sagt Rothenburg. Sie selbst ist
seit einigen Monaten dabei, gestreikt wird auch in den Ferien. Anfangs
seien sie nicht richtig ernst genommen worden, sagt Stahl. Dass die
Stadtpolitik nun ihrem Aufruf folgte und mit Mehrheit den Klimanotstand
ausgerufen hat, sei ein Erfolg, wenn auch eingeschränkt: „Es sind keine
konkreten Forderungen damit verbunden“, bedauern die fff-AktivistInnen.
„Der Titel Klimanotstandstand ist mehr als Symbolpolitik“, sagt Jessica
Kordouni. Sie gehört der Ratsfraktion der Grünen im Kieler Stadtrat an und
hat dort dafür gekämpft, dass die Landeshauptstadt den Notstand ausruft.
Aktuell setze Kiel zu stark auf das Auto und fossile Brennstoffe. „Wir
wollen, dass der Wandel stattfindet.“
Weder das Ziel noch das Bekenntnis sind neu: Kiel ist seit 1995
„Klimaschutzstadt“, hat sich damit verpflichtet, „bis 2050 den Ausstoß v…
klimaschädlichen Treibhausgasen um mindestens 95 Prozent im Vergleich zu
1990 zu reduzieren“. So hat die Stadt unter anderem Green-IT im
Rechenzentrum des Abfallwirtschaftsbetriebs eingeführt – eine Maßnahme, die
im Jahr 43 Tonnen CO2 einspart und für die Kiel 2018 einen Preis des
Bundesumweltministeriums erhielt.
Weit gebracht hat Kiel das aber nicht: Die Stadt steht hinter Stuttgart,
Darmstadt und München auf Platz vier der am meisten mit Stickstoffdioxid
belasteten Städten Deutschlands. Was also ändert sich durch die Ausrufung
des Notstands? Viel, hofft Jessica Kordouni: „Die Verwaltung hat den
Auftrag, das Thema voranzubringen.“ Es gehe um kleinere Maßnahmen, etwa
mehr Geld für Radwege, aber auch um das große Ganze, zusammengefasst in
einem „Masterplan Klimaschutz“. Demnächst sollen „Bürgerwerkstätten“
stattfinden, bei denen Ideen gesammelt werden. „Das hat etwas angestoßen“,
sagt Kordouni.
Benno Stracke von der Initiative „Kreuzfahrt nirgendwo“ sieht das anders:
„Aus unserer Sicht passen die kürzlich erklärten verstärkten Ambitionen zum
Klimaschutz und der wachsende Kreuzfahrttourismus gar nicht zusammen.“ Als
Beispiel nennt der Aktivist den Bau des neuen Terminals: „Das zeigt uns nur
noch einmal, dass kein Verlass auf die Politik ist und gesellschaftlicher
Wandel von unten kommen muss.“
Das Versprechen, sich für mehr Klimaschutz einzusetzen, bleibt für Stracke
„scheinheilig und heuchlerisch“, wenn nicht gleichzeitig die Reedereien
dazu verpflichten würden, zumindest zu jeder Tageszeit Landstrom
abzunehmen. Aus Sicht der Kreuzfahrt-GegnerInnen ist das eine
Minimalforderung, die zumindest den Ausstoß von Abgas und Feinstaub
verringert, solange die Schiffe im Hafen liegen.
Auch in Lübeck ist Umweltschutz schon lange ein Thema: Die Hansestadt ist
seit 1992 Mitglied im „Klima-Bündnis mit indigenen Völkern der Regenwälder…
und hat eine „Klimaschutzleitstelle“ eingerichtet, in der sich BürgerInnen
etwa über energetische Sanierung informieren können.
## „Hübsche Lippenbekenntnisse“
Für Sebastian Kai Ising von der Lübecker Linken sind das nur „hübsche
Lippenbekenntnisse“. Seine Fraktion hatte als erste das Bekenntnis zum
Klimanotstand beantragt, schließlich stimmte eine breite Mehrheit der
Ratsversammlung zu. Dennoch ist Ising unzufrieden: „Alle konkreten
Forderungen sind weg.“ Linke und Grüne hatten einen Katalog vorgelegt, von
der Umstellung der städtischen Lichtmittel auf LED über Radwege bis hin zur
Erarbeitung „visionärer Projekte“. „Alles weggestimmt“, bedauert Ising.
In Bad Segeberg wünschen sich die Friday-for-Future-AktivistInnen Luna
Rothenburg und Lennart Stahl, dass ihre Gemeinde mutig vorangeht:
Solaranlagen auf allen städtischen Gebäuden, mehr Radwege sowieso, ein
Buskonzept auch für das Umland. Nabu-Mitglied Kröger bleibt kleinteiliger:
Die Straßenlaternen sollten auf LED umgestellt werden. Und eine neue
Baumschutzsatzung müsse her: „Viele Leute rufen uns an, wenn bei den
Nachbarn Bäume abgesägt werden – ohne Satzung gibt es kein Mittel dagegen.�…
Ob und wann die Stadt sich dieser Vorschläge annimmt, ist zweifelhaft. Aber
Kröger bleibt dabei, dass der Titel „Klimanotstandsstadt“ sinnvoll ist:
„Ja, es ist Symbolpolitik, aber eine wichtige.“
Es ist fraglich, ob noch viele Klimanotstandsstädte folgen werden: In Bad
Bramstedt sprach sich ausgerechnet der Grüne Gilbert Sieckmann-Joucken
dagegen aus. Der Begriff sei „abgedroschen, jede Kommune macht das schon“,
zitiert die Segeberger Zeitung. Wenn schon ein Titel, dann ein positiver,
wie „Klima-Leuchtturm“.
1 Jul 2019
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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