| # taz.de -- Bürgerinitiative über Klimanotstand Kiel: „Ein Minimum der Ziel… | |
| > Kiel hat 2019 den Klimanotstand ausgerufen, ein Erfolg der entsprechenden | |
| > Bürgerinitiative. Mitstreiterin Annegret Erb sagt, warum sie weitermacht. | |
| Bild: Die Utopie ist schon vorgezeichnet: Wandgemälde am Kieler Theodor-Heuss-… | |
| taz: Frau Erb, wie pathetisch ist es, den Klimanotstand auszurufen, so wie | |
| es die Stadt Kiel getan hat? | |
| Annegret Erb: Wie pathetisch das ist, weiß ich nicht. Es hat jedenfalls | |
| letztes Jahr extrem viel Spaß gemacht, weil wir es als Bürgerinitiative | |
| zusammen mit vielen NGOs geschafft haben, [1][innerhalb kurzer Zeit eine | |
| Resolution zum Klimanotstand in Kiel auszurufen]. | |
| Notstand klingt nach Militär und Sonderbefugnissen der Exekutive. | |
| Ja, aber das liegt vielleicht auch an der Übersetzung aus dem Englischen | |
| „Climate Emergency“. Es ist natürlich nicht zu vergleichen mit dem | |
| Notstandsgesetz. Durch den Begriff wird einfach klarer, dass, wenn wir so | |
| weitermachen, es nur noch schlimmer wird. Wir müssen jetzt anfangen, sonst | |
| erwartet uns der Donnerschlag. | |
| Das heißt, die Ausrufung des Notstandes ist mehr als ein Symbol? | |
| Ja, es soll darauf aufmerksam machen, dass wir mit dem Klima am Kipppunkt | |
| sind. | |
| Welche Folgen hatte es, den Notstand auszurufen? | |
| Die Aufmerksamkeit ist gestiegen. Vor allem die der Stadtpolitik. Der Rat | |
| hatte bereits einen Masterplan Klimaschutz ausgearbeitet, aber es ist zu | |
| wenig passiert. | |
| Ist es Ihr Verdienst, dass der Notstand ausgerufen worden ist? | |
| Es ist nicht mein alleiniger Verdienst, aber der der Gruppe, einem Bündnis | |
| von Menschen, die ein Interesse an Klimaschutz besitzen. | |
| Kiel hat [2][einen Preis als nachhaltigste Großstadt Deutschlands | |
| gewonnen]. Löst sich die Bürgerinitiative „Klimanotstand Kiel“ jetzt auf? | |
| Nein, überhaupt nicht. Wir können sagen: „Leute, ihr könnt euch jetzt nicht | |
| darauf ausruhen.“ Es wurde schließlich nur ein Minimum der Ziele erreicht. | |
| Es wäre Unsinn, die Initiative deswegen aufzulösen. In diesem Zusammenhang | |
| organisieren wir jetzt auch einen Klimatalk im September, um gemeinsam mit | |
| der Politik zu klären, wo wir noch anpacken müssen. Wir wollen alle | |
| Kieler*innen motivieren, Klimaschutz zu machen. | |
| Wann haben Sie entschieden, fürs Klima zu kämpfen? | |
| Als die „Fridays For Future“-Bewegung aufkam und mir das Problem vor Augen | |
| geführt hat. Und es lag auch an Greta, ganz klar. | |
| Welches Anliegen bereitet Ihnen die meisten Kopfschmerzen? | |
| Das Thema Mobilität. [3][Der hohe Auto- und Pendlerverkehr in Kiel], der | |
| nicht zurückgeht. Die Parkraumverdichtung in der Stadt. Das raubt die | |
| Lebensqualität – durch Lärm, durch zugestellte Bürgersteige. | |
| Dann ist der Ausbau der Fahrradwege in Kiel nur ein Ablenkungsmanöver? | |
| Nein, das würde ich so nicht behaupten. Da würde ich die Stadt auch loben. | |
| Kiel hat nicht so hohe Etats und dennoch [4][viel für den Radverkehr getan] | |
| . Aber es ist eben auch der Mobilitätsmix. Ich finde, dass Busfahren auch | |
| umsonst sein sollte, nicht nur für Studenten, die ein Semesterticket haben, | |
| um mehr Leute vom Auto weg zu kriegen. | |
| Wenn Sie sich entscheiden müssten: Autofreie Innenstadt in Kiel oder | |
| lebenslang kostenfrei in Ihrem Lieblingsrestaurant essen gehen? | |
| Ganz ehrlich, für die autofreie Stadt in Kiel. Wenn man in der Innenstadt | |
| lebt, ist die Lärmbelastung extrem hoch. Es gib Pendlerverkehr und große | |
| Supermärkte werden hier gebaut. Das ist unglaublich! Ich bin auf dem Land | |
| groß geworden und lerne das erst jetzt zu schätzen. Derzeitig arbeite ich | |
| aber mit meinem Mann an einem Projekt „Tag des guten Lebens“, wo es um | |
| einen autofreien Sonntag geht, so wie es [5][in Köln bereits in einigen | |
| Stadtteilen umgesetzt] wird. | |
| Es gibt ja auch noch andere Probleme wie Rassismus, Arbeitslosigkeit oder | |
| Wohnungsnot. Ist Klimaschutz ein Hobby der Oberschicht? | |
| Nein, Klimaschutz ist für jeden da. Migration hat auch mit Klimaschutz zu | |
| tun. Wenn wir den Klimawandel nicht verlangsamen, dann wird die Migration | |
| sich noch viel mehr verstärken. Man sieht auch, dass Menschen, die viel | |
| Geld haben, eher weniger für den Klimaschutz tun. Größere Autos kaufen, | |
| Luxusreisen machen, viel fliegen. Das sind nicht die Menschen, die wenig | |
| Geld haben. | |
| Was interessiert es Otto Normalverbrauchern, wenn ein exotisches Tier, | |
| dessen Namen man nicht kennt, wegen des Klimawandels auf einer unbekannten | |
| Insel ausstirbt? | |
| Diese Dürre, mit der wir derzeitig kämpfen, hat auch was mit Klimawandel zu | |
| tun. Das passiert auch hier vor der Haustür. | |
| Ist ja eigentlich ganz schön, wenn es ein bisschen wärmer ist … | |
| Es ist viel zu extrem geworden. Wir haben zu viele Wetterextreme. Nicht nur | |
| Dürre, sondern auch Stürme, die wir hier in Kiel zu spüren bekommen. | |
| Wie bekommen Sie persönlich den Spagat zwischen politischem und | |
| persönlichem Handeln hin? | |
| Ich versuche, Vorbild zu sein, beispielsweise für meinen Sohn. Er wurde | |
| nicht mit dem Auto, sondern immer mit dem Rad zur Schule gefahren. Wir | |
| fliegen auch nicht, sondern machen dann eher mal Zeltreisen wie | |
| Wildcamping. Ich bin auch nicht der Typ, der nach Mallorca muss. | |
| [6][Einmal angenommen, Ihre Freunde fliegen] übers Wochenende nach | |
| Barcelona. Was tun Sie? | |
| Ich kann sie davon nicht abhalten. Das wäre auch zu dogmatisch. Aber ich | |
| würde ihnen hinterher sicher sagen, was dieses kurzzeitige Fliegen mit dem | |
| Klima macht. | |
| Welche persönlichen Klimasünden können Sie nicht vermeiden? | |
| Wir werden hier außerdem mit Fernwärme versorgt, die nicht regenerative | |
| Energie enthält, das kann ich leider nicht vermeiden. | |
| Ist es Ihnen peinlich, wenn man Sie auf Ihr eigenes Verhalten anspricht? | |
| Nein, das ist mir nicht peinlich. | |
| Von wem hören Sie häufigsten, dass Sie mit Ihrem Aktivismus nerven? | |
| Von niemandem. Es ist eher Bewunderung. Man kann ja auch im Kleinen etwas | |
| bewirken. Ich merke eher, dass ich Leute dazugewinne, als dass Leute sagen, | |
| ich soll den Mund halten. Zumindest im eignen Umfeld. | |
| Das ist ja auch leichter als bei Fremden. | |
| Nein, da kann ich auch eher sagen, dass da Verständnis zurückkommt, wenn | |
| man mit den Menschen diskutiert. Auch wenn nicht zu 100 Prozent. | |
| Sind sie manchmal des Kämpfens müde? | |
| Manchmal schon. Gerade wenn ich merke, dass es in der Politik nicht | |
| vorwärts geht – oder zwei Schritte zurück. Ich hab dann das Gefühl, dass | |
| ich die Geduld verliere. Aber derzeit bin ich recht glücklich, da unsere | |
| Organisation eng mit dem Kieler Umweltschutzamt zusammenarbeitet und da | |
| auch einbezogen wird als Initiative. | |
| Haben Sie schon mal die Hoffnung verloren? | |
| Nö, das kann ich so überhaupt nicht sagen. | |
| Was motiviert Sie weiterzumachen? | |
| Die Gruppenarbeit und dass man schrittweise immer wieder was bewirken kann | |
| – und man kann tatsächlich was bewirken. | |
| 22 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Klimanotstand-Staedte-im-Norden/!5608230 | |
| [2] /Nachhaltigkeitspreis-fuer-Kommunen/!5703235 | |
| [3] /Klima-Demo-in-Kiel/!5587508 | |
| [4] https://www.kiel.de/de/umwelt_verkehr/fahrrad/index.php | |
| [5] https://www.koeln.de/koeln/was_ist_los/strassenfeste/tag-des-guten-lebens-a… | |
| [6] /Klimaschutz-im-Alltag/!5649980 | |
| ## AUTOREN | |
| Yevgeniya Shcherbakova | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Nachhaltigkeit | |
| Kiel | |
| Bürgerinitiative | |
| Wir retten die Welt | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Luftverschmutzung | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Macht der Gewohnheit: Gestern Skandal, heute normal | |
| Das „neue Normal“ sieht so aus: Maske tragen und Horrormeldungen zur Umwelt | |
| ignorieren. Vielleicht hilft dagegen ja „Klima vor acht“. | |
| Fridays for Future campt in Hamburg: Schlafen erlaubt – aber nur kurz | |
| Beim Camp von Fridays for Future in der Hamburger Innenstadt haben die | |
| Aktivist*innen Lockerungen der strengen Beschränkungen erwirkt. | |
| Nachhaltigkeitspreis für Kommunen: Die Hoffnung auf Zukunft | |
| Kiel und Buxtehude erhalten den diesjährigen Nachhaltigkeitspreis. Das hat | |
| zwar nur Symbolwert, zeigt aber: Kommunal muss mehr passieren. | |
| Umstrittener „Reinhalteplan“: Das ist Kieler Luft | |
| Die Kieler Luft ist seit Jahren belastet. Nun soll ein neuer | |
| „Reinhalteplan“ endlich Abhilfe schaffen. Doch dieser Plan ist umstritten. | |
| Klimanotstand-Städte im Norden: Symbolpolitik oder nicht? | |
| Mehrere Städte in Schleswig-Holstein haben den Klimanotstand ausgerufen. | |
| Doch KritikerInnen vermissen konkrete Maßnahmen. |