# taz.de -- Alltag mit Neonazis in Bad Segeberg: Vergiftete Stimmung | |
> In Bad Segeberg bedrohen Neonazis Bewohner*innen und versuchen, | |
> Schüler*innen anzuwerben. Die Initiative „Segeberg bleibt bunt“ wehrt | |
> sich dagegen. | |
Bild: Nazi-Sticker weg geknibbelt: Ein Band am Laternenpfahl zeigt, dass hier z… | |
BAD SEGEBERG taz | Eines Tages kommen die Kinder von D. nach Hause und | |
sagen: „Mama, im Südstadtpark hängen Nazis rum und sprechen Jugendliche | |
an.“ Daran erinnert sich D. noch gut. Sie möchte ihren Namen nur abgekürzt | |
in der Zeitung lesen. Denn kurz darauf stehen die Bad Segeberger Neonazis | |
vor ihrer Tür. | |
Der Pfad durch den Südstadtpark gilt als Abkürzung auf dem Weg zur Schule. | |
Viele Jugendliche und Kinder laufen dort täglich entlang. Seit einigen | |
Monaten beobachten Anwohner, dass sich in dem Park öfter Neonazis | |
aufhalten. | |
Die Situation in Bad Segeberg [1][hat sich verschlimmert, seit der bekannte | |
Neonazi Bernd Tödter im Sommer aus der Haft entlassen wurde]. Er ist in die | |
Segeberger Südstadt zurückgekehrt – dem Ort, an dem er aufgewachsen ist. | |
Nun versuchen Tödter und seine Freund*innen, gezielt Schüler*innen | |
anzusprechen, berichten Menschen aus Bad Segeberg. | |
Viele Segeberger*innen haben Angst vor dem Erstarken der Neonazis. Die | |
Initiative [2][„Segeberg bleibt bunt“] stellt sich dagegen und will mit | |
verschiedenen Aktionen aufklären, Mut machen und öffentliche Räume | |
besetzen. Am Samstag, den 18. Januar veranstaltet sie ein Lichterfest im | |
Südstadtpark. Das Motto: „Wir sind mehr – Segeberg bleibt bunt“. | |
„Uns geht es nicht nur um die Neonazi-Gruppe hier, sondern auch um die | |
rechte Ideologie in der Gesellschaft“, sagt S. von der Initiative. Auch sie | |
möchte lieber anonym bleiben. „Man merkt, der Rechtsruck wird stärker, und | |
wir müssen dem was entgegensetzen.“ Zum Fest am Samstag sollen | |
Feuerkünstler und drei Bands kommen. Es gibt Kinderspiele und der Park soll | |
bunt leuchten. „Es ist viel Arbeit, aber es macht Spaß“, sagt S. | |
D. ist ebenfalls Teil der Initiative und engagiert sich gegen die Neonazis. | |
Zum ersten Mal begegnete sie Bernd Tödter auf einer Klimamahnwache, an der | |
ihre Kinder beteiligt waren. Damals wusste sie nicht, mit wem sie es zu tun | |
hatte. Sie erinnert sich daran so: „Ich habe zwei Neonazis gesehen, die | |
Fotos gemacht haben. Das wollte ich natürlich verhindern. Darum bin ich zu | |
ihnen gegangen und habe gefragt: Was macht ihr hier? | |
Sie: „Wir fotografieren.“ | |
Ich darauf: „Na, was denn?“ | |
Sie: „Euer Banner.“ | |
Dann dachte ich, ich muss patzig werden, damit sie weggehen. Also habe ich | |
gesagt: „Das ist doch Englisch, das könnt ihr sowieso nicht.“ Danach sind | |
sie weggegangen.“ | |
Einer der beiden war Bernd Tödter. Doch das erfährt D. erst nach dem | |
Gespräch von jemandem, auf der Mahnwache. „Dann habe ich gegooglet und mir | |
wurde etwas mulmig“, sagt D. Tödter gilt als besonders gewaltbereiter | |
Rechtsextremist. Er saß mehrfach in Haft, unter anderem wegen | |
Freiheitsberaubung, Nötigung und Anstiftung zur Körperverletzung. Noch am | |
gleichen Tag klingelt Tödter mit seinem Kumpanen an der Tür von D. und | |
sagt: „Jetzt wissen wir, wo ihr wohnt!“ | |
Laut der Rechercheplattform Exif rekrutiert Tödter in Bad Segeberg | |
Mitglieder für seine gewaltbereite Kameradschaft namens „Aryan Circle“, was | |
so viel wie „Kreis der Arier“ bedeutet. Seit er im Sommer wieder in Bad | |
Segeberg ist, kleben in Bad Segeberg viele Sticker mit rechtsextremen | |
Botschaften – vor allem in der Südstadt und in der Innenstadt. Auf einem | |
blauen Sticker steht „Aryan Circle“. Ein anderer Aufkleber ist | |
schwarz-weiß-rot mit der Abkürzung „NSBS“ für „Nationalsozialisten Bad | |
Segeberg“. | |
Die Initiative „Segeberg bleibt bunt“ geht alle zwei, drei Wochen durch die | |
Stadt und kratzt die Sticker ab. Die meisten sind auf Laternenpfählen. | |
Einige kleben an Häusern von Migrant*innen. „Wenn wir die Aufkleber | |
abgekratzt haben, binden wir manchmal eine Schleife um die Laternen. Dann | |
sieht man: Hier war mal was“, sagt S. von der Initiative. | |
Auch das Haus von D. wird mit Aufklebern übersät – und nicht nur das. „Sie | |
sind dann in voller Nazi-Montur vor unserem Haus aufgelaufen“, erinnert | |
sich D. „Wir hatten wirklich Angst und haben uns nicht mal zum Einkaufen | |
vor die Tür getraut.“ Schließlich kam die Polizei von beiden Seiten | |
angefahren und hat sie vertrieben. Mehrere Wochen lang belagern die | |
Neonazis das Haus von D. Noch heute fährt die Polizei öfter dort vorbei. | |
Generell sei die Polizei sehr kooperativ und hilfsbereit, erzählen | |
Mitglieder aus der „Segeberg bleibt bunt“-Initiative. | |
## Diffuse Angst | |
Auch Migrant*innen in Bad Segeberg haben Angst. Frauen befürchten, vor | |
allem wegen ihrer Kopftücher angegriffen zu werden. Jaheda K. ist vor | |
einigen Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Sie sagt: „Ich | |
trage mein Kopftuch schon seit ich ein Kind bin und möchte es nicht | |
abnehmen.“ Sie und ihre Bekannten sind nun vorsichtig: Ihre Kinder dürfen | |
nicht mehr durch den Südstadtpark laufen. Sie lassen die Kinder nur in | |
Gruppen zur Schule gehen oder holen sie ab. | |
Die Präsenz der Neonazis hat die Atmosphäre in der Stadt verändert. Die | |
Klimaproteste in Bad Segeberg finden nicht mehr statt, seit die Neonazis | |
dort Menschen bedrohen. „Vorher gab es junge Aktivisten, die sich jeden | |
Freitag für das Klima eingesetzt haben. Jetzt geht das nicht mehr. Da ist | |
immer eine diffuse Angst. Das finde ich bitter“, sagt D. „Dass Kinder ihre | |
Meinung kund tun, ist Demokratie. Das ist so wichtig – und nun ist das | |
gefährdet.“ | |
Inzwischen lassen die Neonazis D. und ihre Familie in Ruhe. Doch D. traut | |
der vermeintlichen Stille nicht. „Es ist zwar ruhiger geworden, aber der | |
Spuk ist noch nicht vorbei“, sagt sie. | |
17 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Neonazi-mobilisiert-in-Bad-Segeberg/!5628764 | |
[2] https://segeberg-bleibt-bunt.org/ | |
## AUTOREN | |
Sabrina Winter | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Bad Segeberg | |
Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
Zivilgesellschaft | |
Rechtsextremismus | |
Kolumne Der rechte Rand | |
Rechtsextremismus | |
Polizei Berlin | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Kolumne Der rechte Rand | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Haftstrafe für Rechtsextremisten: Wer das Gefängnis von innen sieht | |
Der militante Rechtsextremist Bernd Tödter aus Bad Segeberg wurde zu einer | |
fünfmonatigen Haftstrafe verurteilt. Er saß mehr als 13 Jahre im Knast. | |
Rechtsextreme in Schleswig-Holstein: Razzien beim Arischen Kreis | |
Neonazis aus Schleswig-Holstein sollen eine kriminelle Vereinigung gebildet | |
haben. Ihr Anführer ist ein notorischer Gewalttäter. | |
Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Stümperhafte Ermittlungen | |
Die Berliner Polizei braucht fast zwei Jahre, um die Feindesliste eines | |
Neonazis zu entschlüsseln. Und das ist noch nicht mal der peinlichste | |
Aspekt. | |
Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke: Spur der Waffe führt in den Norden | |
Die Bundesanwaltschaft prüft, ob die Mordwaffe im Fall Lübcke von „Combat | |
18 Pinneberg“ stammt. Zu der Neonazi-Gruppe hatte Stephan E. Verbindungen. | |
Neonazi mobilisiert in Bad Segeberg: Militanter Zirkel | |
Der Aryan Circle ist ein rechtsextremes Netzwerk in den USA. Der | |
verurteilte Neonazi Bernd Tödter will einen Ableger in Deutschland | |
aufbauen. | |
Klimanotstand-Städte im Norden: Symbolpolitik oder nicht? | |
Mehrere Städte in Schleswig-Holstein haben den Klimanotstand ausgerufen. | |
Doch KritikerInnen vermissen konkrete Maßnahmen. |