| # taz.de -- Autofreie Friedrichstraße: Schritt für Schritt ins Paradies | |
| > Die Friedrichstraße soll dieses Jahr vom 4. bis 6. Oktober und in der | |
| > zweiten Adventswoche zur Flaniermeile werden. Das könnte erst der Anfang | |
| > sein. | |
| Bild: Der Alltag ist eher die Hölle | |
| Nun also im Oktober. Vom 4. bis 6. Oktober soll der Autoverkehr aus der | |
| Friedrichstraße verschwinden. Dazu noch rund um den zweiten Advent. Das | |
| sagte Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) der taz: „Wir | |
| verschieben das auf Wunsch der Anlieger.“ | |
| Ursprünglich sollte das erste autofreie Wochenende in der Friedrichstraße | |
| bereits vom 6. bis 8. September stattfinden. Dann aber stellte sich heraus, | |
| dass am 8. kein verkaufsoffener Sonntag sein darf. Die ursprünglichen Pläne | |
| des Senats, die Geschäfte an diesem Tag öffnen zu lassen, waren Anfang Juli | |
| vom Verwaltungsgericht gestoppt worden. | |
| „Am 6. Oktober können wir ein lokales Straßenfest anmelden, dann haben die | |
| Gewerbetreibenden die Möglichkeit, ihre Geschäfte zu öffnen“, begründete | |
| von Dassel die Verschiebung. Auch für seine Idee einer Modenschau an diesem | |
| Wochenende sei ein größerer Vorlauf notwendig. „Davon haben mich alle | |
| Beteiligten überzeugt“, so der Bürgermeister. | |
| Mit den beiden autofreien Pausen will von Dassel zu einer Diskussion | |
| beitragen, die schon länger entfacht ist: Der Leerstand in der | |
| Friedrichstraße ist unübersehbar, am 31. August macht H&M zu, sogar die | |
| Galeries Lafayette denken über ein Ende ihres Berliner Standorts nach. | |
| Neben der neuen Konkurrenz durch die Shopping Mall am Leipziger Platz | |
| machen Experten vor allem die mangelnde Aufenthaltsqualität für die | |
| sinkende Beliebtheit bei Berlinerinnen und Touristen verantwortlich. | |
| Schon im vergangenen Dezember hatte deshalb die Initiative „Stadt für | |
| Menschen“ zwei Stunden lang die Friedrichstraße mit ihrer Aktion | |
| #flaniermitte erobert. Kinder spielten „Himmel und Hölle“, es wurde | |
| musiziert, diskutiert, ein ungewohntes Bild in der engen Straßenschlucht, | |
| das sonst vom Verkehr und den Passanten auf den schmalen Gehwegen geprägt | |
| ist. Ein kleines Video, das die Initiative von #flaniermitte ins Netz | |
| gestellt hat, endet mit dem Satz „2019 geht es weiter“. | |
| Eine Drohung oder ein Versprechen? Je nachdem, wen man fragt, bekommt man | |
| unterschiedliche Antworten. Der Verein Changing Cities etwa, der aus dem | |
| Fahrradvolksentscheid hervorgegangen ist, hat im Mai eine Studie zur | |
| Zukunft der Friedrichstraße vorgelegt. „Einfach nur Fußgänger statt Autos | |
| auf der Straße, das reicht uns nicht aus“, sagt Aktivist Stefan Lehmkühler. | |
| Als „Straße der Zukunft“ solle die Friedrichstraße vielmehr zeigen, wie | |
| Flächen, die bislang vom Autoverkehr dominiert werden, umgestaltet werden | |
| können. Dabei legt Changing Cities ein besonderes Augenmerk auf eine | |
| verbesserte Aufenthaltsqualität. „Dies wird durch die Schaffung einer | |
| modernen Flaniermeile realisiert“, so Lehmkühler. | |
| So soll es in der Straßenmitte eine „Safety Lane“ in einer Breite von fünf | |
| Metern geben, auf der Radfahrer, aber auch Krankenwagen fahren könnten. Mit | |
| 8,50 Metern rechts und links davon wäre die Friedrichstraße dann im Besitz | |
| der Fußgängerinnen und Passanten. | |
| Ginge es nach Changing Cities, würde die Friedrichstraße dauerhaft für den | |
| Autoverkehr gesperrt sein. Mehr noch: Sie könnte sogar ein Pilotprojekt für | |
| ganz Berlin werden. | |
| Eine ganz andere Antwort gibt Nils Busch-Petersen. „Wenn ich Kardiologe | |
| wäre, und ich sehe bei einem Herzkatheder lauter Verstopfungen, dann würde | |
| ich die doch auflösen, anstatt neue zu schaffen“, sagt der | |
| Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. | |
| Busch-Petersen plädiert stattdessen für eine bessere Anbindung der | |
| Friedrichstraße an den Alexanderplatz, den Leipziger und den Potsdamer | |
| Platz – „es braucht ein Gesamtkonzept für die neue Mitte von Alex bis zum | |
| Brandenburger Tor“. Er fordert von Bezirk und Senat ein schlüssiges | |
| Verkehrskonzept für die Berliner Mitte ein. „Solange die Wilhelmstraße an | |
| der britischen Botschaft geschlossen ist, gibt es keine Alternative für den | |
| Nord-Süd-Verkehr“, sagt er der taz. | |
| Beide Lager trafen sich zum ersten Mal am 22. Mai zu einem Workshop. | |
| Eingeladen zu dem Treffen im Volkswagen Group Forum hatte der Verein Die | |
| Mitte, der aus der Interessengemeinschaft Friedrichstraße hervorgegangen | |
| ist. „Herausgekommen ist ein Kompromiss, den wir mittragen“, sagt der | |
| Vorsitzende des Vereins, Guido Herrmann, zur Schließung im Oktober und | |
| Dezember: „Eine Fußgängerzone in der Friedrichstraße aber lehnen wir ab.“ | |
| Wenn, dann dürfe nur „anlassbezogen“ gesperrt werden. | |
| Für die Wiederbelebung der Friedrichstraße hat Herrmann auch andere Ideen | |
| parat: „Ein touristisches Leitsystem muss her, Genehmigungsverfahren, etwa | |
| für Eisdielen, müssen vereinfacht werden, manche Parkplätze können für | |
| Café-Flächen zurückgebaut werden.“ Er fordert eine Nachnutzung des Bahnhofs | |
| Französische Straße – der soll schließen, wenn die U55 ans Netz geht. „H… | |
| könnten sich auch Berliner Start-ups präsentieren“, so Herrmann. | |
| Eigentlich wollte Rot-Rot-Grün Unter den Linden zur autofreien Straße | |
| machen. Nach zahlreichen Protesten ist nun auch Verkehrssenatorin Regine | |
| Günther (Grüne) davon abgerückt. Schon bei der Vorstellung des | |
| Mobilitätsgesetzes hatte sie stattdessen dafür plädiert, die | |
| Friedrichstraße zwischen Linden und Leipziger Straße zur Fußgängerzone | |
| umzuwidmen. | |
| Der Bezirk scheint dem nicht abgeneigt. „Im nächsten Frühjahr“, verrät | |
| Bürgermeister von Dassel, „wird es dann einen über mehrere Wochen langen | |
| Verkehrsversuch zur Schließung geben, der auch gutachterlich begleitet sein | |
| wird.“ Die nächsten Auseinandersetzungen sind damit vorprogrammiert. | |
| 18 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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