# taz.de -- Berliner Friedrichstraße in der Krise: Erste Lagen zu vermieten | |
> Hier ging es mal mondän zu. Dann kamen die Nazis, die Zerstörung, die | |
> DDR. Nach 1989 erlebte die Friedrichstraße einen Boom. Jetzt kriselt es. | |
Bild: Könnte bald Vergangenheit sein: die Galeries Lafayette in der Berliner F… | |
BERLIN taz | Zuletzt kündigte H&M die Schließung an. Am 31. August macht | |
die Filiale in der Friedrichstraße dicht. So tief ist die einst mondäne | |
Berliner Luxusmeile gesunken, dass der Rückzug eines schwedischen | |
Mode-Discounters zum Aufreger wird. Doch der Luxus hat der Friedrichstraße | |
ohnehin schon den Rücken gekehrt. Louis Vuitton ist weg und auch Yves | |
Saint-Laurent. Und nun mehren sich die Anzeichen, dass auch das | |
französische Nobelkaufhaus Galeries Lafayette den Berliner Standort infrage | |
stellt. | |
Es wäre das Ende eines Traums von der Wiederkehr vergangener Größe. Und ein | |
Rückschlag für Berlin, in seiner Mitte in der Liga europäischer | |
Shopping-Destinationen mitzuspielen. Genau das war einmal das Ziel gewesen. | |
Als die Galeries Lafayette im neuen schicken Glasbau 1996 ihre Türen | |
öffneten, schwärmte der Pariser Architekt Jean Nouvel von der „Poesie des | |
Konsums“. Plötzlich hatte der Name Friedrichstraße wieder Klang. Gleich den | |
Goldenen Zwanzigern schien sie wieder die Nummer eins unter Berlins Straßen | |
zu werden. Der Kurfürstendamm, als „Boulettenboulevard“ verspottet, galt | |
als weit abgeschlagen. | |
„Die Friedrichstraße ist auch ein Symbol für das Berlin nach der Wende“, | |
sagt Guido Herrmann, ein 48-Jähriger in lässiger Kleidung und mit | |
Dreitagebart. „Hier soll die Stadt zusammenwachsen. Und die Galeries | |
Lafayette sind das Synonym für diese neue Friedrichstraße.“ | |
Herrmann, Verwaltungsdirektor des Friedrichstadtpalasts, ist zugleich | |
Vorsitzender der Standortvertretung Die Mitte. Man merkt schnell, dass er | |
für die Straße brennt, die mit ihrer Länge von 3,3 Kilometern und der | |
engen, hohen Straßenflucht schon in der Kaiserzeit ein ikonografisches Bild | |
für Berlin gewesen ist. „Die Kaffeehauskultur ist nicht am Ku’damm | |
entstanden“, sagt Herrmann stolz, „sie kommt aus der Friedrichstraße, weil | |
in der Umgebung die ganzen Zeitungsverlage ihren Sitz hatten.“ | |
## Die Straße gibt's gleich dreimal | |
Die Zeit nach der Wende hat die Friedrichstraße wieder in den Mittelpunkt | |
des Interesses von Politikern, Stadtplanern und Investoren gerückt. Es war, | |
meint Herrmann, aber auch eine Zeit, in der man vieles zu schnell forcieren | |
wollte: „Das war die Zeit des Bauens, Bauens, Bauens. Danach war wegen der | |
Kanzler-U-Bahn zehn Jahre lang Baustelle. Man muss so einer Straße auch mal | |
Zeit geben, sich zu entwickeln. Die Friedrichstraße hat diese Zeit nicht | |
gehabt.“ | |
Im Grunde gibt es die Friedrichstraße dreimal. Der nördliche, eher | |
unspektakuläre Abschnitt beginnt am ehemaligen Kunsthaus Tacheles und | |
reicht über den Friedrichstadtpalast bis zum Bahnhof gleichen Namens. Hier | |
herrscht eher Kultur statt Kommerz. | |
Der südliche Zipfel reicht vom Checkpoint Charlie zum Mehringplatz. Es ist | |
der lange vergessene Kreuzberger Abschnitt, an dem auch das neue taz-Haus | |
steht. Dazwischen liegt jene Friedrichstraße, von der Guido Herrmann | |
spricht, die der Geschäfte und der Touristen. | |
Diese Friedrichstraße hatte bis zur Wende noch öffentliche Räume und | |
Plätze, zum Beispiel an der Ecke unter den Linden. Südlich der Kreuzung | |
befand sich bis 1991 das Lindencorso, ein realsozialistischer | |
Gaststättenkomplex, mit dem an die Tradition der Kaffeehäuser angeknüpft | |
werden sollte, schließlich stand hier einmal das legendäre Café Bauer. In | |
der Gaststätte Espresso trafen sich dort die Studentinnen und Studenten der | |
nahen Humboldt-Universität. Ein Ort des Austauschs, den es nicht mehr gibt. | |
Heute steht an der berühmten Ecke der Showroom eines großen | |
Automobilherstellers. | |
## Umbauten und Abrisse | |
Das ambitionierteste und auch teuerste Umbauprojekt aber waren die | |
sogenannten Friedrichstadtpassagen. Schon zur 750-Jahr-Feier der DDR 1987 | |
sollte hier ein neues Einkaufszentrum entstehen, über den Rohbau mit | |
zahlreichen Ornamenten witzelte der Ostberliner Volksmund, hier entstünde | |
ein „Usbekischer Bahnhof“. | |
Nach der Wende abgerissen, entstanden in den Quartieren 205 bis 207 die | |
neuen Friedrichstadtpassagen, darunter das Gebäude der Galeries Lafayette. | |
Peter Marcuse, New Yorker Stadtsoziologe und allzu großer Nähe zu | |
Investorenprojekten unverdächtig, prophezeite damals: „Wenn Berlin | |
Hauptstadt wird, geht alle Wandlung von der Friedrichstraße aus. Spätestes | |
zur Jahrhundertwende ist die Friedrichstraße die teuerste deutsche Straße.“ | |
Wenn er sich da nicht mal verrechnet hat. | |
Im unteren Passagengeschoss betreibt Sabrina Mohr* ein Geschäft für | |
Herrenmode. „Ich bin seit 1999 in den Friedrichstadtpassagen“, sagt sie, | |
„es lief so lange gut, bis das Quartier 206 Insolvenz anmeldete.“ Dieses | |
Quartier war neben den Galeries Lafayette das zweite schillernde Projekt | |
der neuen Friedrichstraße. Erbaut wurde es von Anno August Jagdfeld, der in | |
Berlin bereits das Adlon errichtet hatte und an der Ostsee in Heiligendamm | |
die „Weiße Stadt“ zu neuem Leben erwecken wollte. Auch in der | |
Friedrichstraße setzte Jagdfeld ganz auf Luxus, seine Frau Anna Maria | |
öffnete dort ihren persönlich betriebenen Departmentstore, ein | |
Designerkaufhaus mit Marken, die es in Berlin bis dato nicht gegeben hatte. | |
Die Friedrichstraße sollte aufschließen zu Paris, London und Mailand. | |
Doch dann gingen die Jagdfelds pleite, Anfang 2017 musste der | |
Departmentstore schließen, inzwischen steht das Quartier 206 unter | |
Zwangsverwaltung. Mehr als in Dutzend Geschäfte steht leer, auch solche in | |
unmittelbarer Nachbarschaft von Sabrina Mohr. „Die Zahl der Kunden geht | |
zurück“, klagt sie. „Ist ja auch kein Wunder. Wenn man sieht, dass alles | |
leer steht, überlegt man sich am Samstag zweimal, ob man in die | |
Friedrichstraße oder woanders zum Einkaufen geht.“ Sie selbst, sagt Mohr, | |
habe zu 80 Prozent Stammkunden. „Aber wenn Galeries Lafayette geht, kannst | |
du hier alles dichtmachen.“ | |
## Leerstand breitet sich aus | |
Heute steht in der Friedrichstraße jedes vierte Geschäft leer. Ein Grund | |
dafür ist die neue Mall of Berlin am nahen Leipziger Platz, ein anderer der | |
Bau der U-Bahn, die die Kreuzung Friedrichstraße Unter den Linden auf zehn | |
Jahre in eine Dauerbaustelle verwandelt hat. Dazu kommt, dass nun die | |
Fehler der Vergangenheit spürbar werden: Es fehlt der Friedrichstraße nicht | |
nur an Plätzen und öffentlichen Räumen, sondern auch an Menschen, die in | |
ihr wohnen. Die gibt es zwar am Potsdamer und Leipziger Platz auch nicht, | |
dafür ist man dort aber nicht eingesperrt in einen mehr als drei Kilometer | |
langen Canyon. Ganz zu schweigen vom wieder mondänen Kurfürstendamm, der | |
seine Auferstehung nicht zuletzt seinen lebendigen Seitenstraßen mit | |
Boutiquen, Cafés und Restaurants zu verdanken hat. | |
Stephan von Dassel, Jahrgang 1967, will deshalb radikal umdenken. Schon vor | |
einiger Zeit hat der grüne Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte | |
vorgeschlagen, die Friedrichstraße autofrei zu machen, traf damit aber auf | |
den Widerstand des Vereins von Guido Herrmann. Nun liegt ein Kompromiss auf | |
dem Tisch. „Wir werden rund um den 3. Oktober drei Tage autofrei haben und | |
eine Woche im Advent“, sagt von Dassel. Dann sollen statt der Autos die | |
Menschen die Friedrichstraße erobern. Zentrales Event wird eine Modenschau | |
auf der Straße sein. „Wir müssen jetzt die Initiative ergreifen“, ist von | |
Dassel überzeugt. Kritik, dass damit in Mitte ein Verkehrskollaps drohe, | |
hält er für übertrieben. „Wo es Straßenverkehr gibt, gibt es Autoverkehr. | |
Wo es ihn nicht gibt, bleibt er vielleicht weg.“ Einen möglichen Rückzug | |
der Galeries Lafayette hält von Dassel aber für den „GAU der | |
Friedrichstraße“. „Die ist hier der Motor“, sagt von Dassel. | |
Inzwischen ist das Thema Friedrichstraße in der Senatskanzlei des | |
Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) angekommen. An diesem | |
Donnerstag soll sich Müller nach Informationen der taz mit Vertretern der | |
Galeries Lafayette treffen. Hintergrund ist der auslaufende Mietvertrag | |
zwischen der Allianz und der Pariser Kaufhauskette. Die Senatskanzlei | |
wollte den Termin weder bestätigen noch dementieren. Die Galeries Lafayette | |
äußerten sich nicht. | |
## Zahlt Galeries Lafayette künftig weniger Miete? | |
Die Allianz hatte das Gebäude von Jean Nouvel 2012 gekauft, angeblich für | |
125 Millionen Euro. Verkäufer war ein luxemburgischer Fonds. Doch genau das | |
ist für Guido Herrmann ein Teil des Problems. „Im Gegensatz zum Ku’damm | |
haben wir in der Friedrichstraße mit den Fondsgesellschaften eine | |
Eigentümerstruktur, die nicht ausschließlich auf einen Standort fokussiert | |
ist.“ Herrmann will nun selbst an anderen Stellschrauben drehen, um die | |
Straße wieder attraktiver zu machen. „Eine Idee ist, den U-Bahnhof | |
Französische Straße zu einem Ort zu machen, an dem sich Berliner Start-ups | |
präsentieren können.“ | |
Ob das für die Galeries Lafayette reicht, weiter an der Friedrichstraße | |
festzuhalten? Neben den 57 Häusern in Frankreich gibt es nur 5 im Ausland, | |
in Peking, Jakarta, Casablanca, Dubai und eben Berlin. Zwar, so heißt es | |
hinter vorgehaltener Hand, seien die Umsätze in der Berliner Dependance | |
stabil. Doch die Preise würden steigen. Müller soll deshalb die Allianz | |
davon überzeugen, von allzu hohen Mietforderungen abzusehen. | |
Heißt es nun also in der Friedrichstraße bald: Rien ne va plus? Die | |
Galeries Lafayette jedenfalls haben bereits eine Alternative ins Spiel | |
gebracht. Demnächst könnte eine andere Auslandsdependence in Deutschland | |
eröffnen – im Überseequartier der Hafencity in Hamburg. | |
* Name geändert | |
17 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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