# taz.de -- Mietendeckel in Berlin: Top oder Flop? | |
> Jahrelang sah Berlin dem Anstieg der Mieten zu. Jetzt kommt ein Gesetz, | |
> das bundesweit Vorbildcharakter haben könnte. Aber was ist mit dem | |
> Neubau? | |
Bild: Demonstration gegen steigende Mieten in Berlin | |
BERLIN taz | Vergangene Woche beim Berliner Mieterverein. Warten auf den | |
Termin mit Geschäftsführer Reiner Wild, währenddessen ein kurzes Gespräch | |
mit einem der Hausjuristen. Bei den Terminen zur Rechtsberatungen stünden | |
die Mieter inzwischen bis auf die Straße hinaus, sagt er. Es gebe nur ein | |
Thema: Mieten, die wegen des Senatsbeschlusses zum Mietendeckel erhöht | |
wurden. | |
Was sich paradox anhört, treibt inzwischen viele Berliner um. Am 18. Juni | |
beschloss der rot-rot-grüne Berliner Senat die Eckpunkte für ein Gesetz, | |
gemäß dem die Mieten fünf Jahre lang nicht angehoben werden dürfen. Nach | |
Ansicht des Senats gilt das ab sofort. | |
Der Termin für den Beschluss war aber schon zwei Wochen zuvor bekannt – | |
eine Frist, die lange genug war, um die Mieten noch rasch anzuheben. Daran | |
beteiligt: viele kleine Hausverwaltungen, die ohne Mietendeckel die Mieten | |
kaum erhöht hätten. Zumindest nicht jetzt. Der Lobbyverband Haus & Grund | |
hatte mit einer Kampagne seine Mitglieder zur Mieterhöhung vor dem 18. Juni | |
aufgefordert. | |
Drei Wochen ist der Beschluss nun alt, und noch ist nicht klar, ob der | |
Mietendeckel eine Erfolgsgeschichte für den rot-rot-grünen Berliner Senat | |
wird. Ende 2018 hatte ein findiger Jurist in einer Fachzeitschrift die | |
Meinung vertreten, dass auch die Länder eine Regelungskompetenz für die | |
Miethöhe hätten. | |
## Keine andere Landesregierung will Berlin nacheifern | |
Die Berliner SPD, durch das von der Linkspartei unterstützte Volksbegehren | |
zur Enteignung der Deutschen Wohnen unter Druck, griff das Ganze auf und | |
schlug einen Berliner Mietendeckel vor. Die Linkspartei schien anfangs | |
skeptisch, vielleicht auch weil die Idee nicht von ihr kam. Anfang Juni | |
aber legte ihre Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher Eckpunkte für | |
einen Gesetzentwurf vor, die über die ursprünglichen SPD-Vorstellungen | |
hinausgehen. So sollen Mietobergrenzen festgelegt werden, „auf die bereits | |
sehr hohe Mieten auf Antrag abgesenkt werden können“, wie es in den | |
beschlossenen Eckpunkten heißt. | |
Und dennoch: Bisher will keine der anderen rot-roten, rot-grünen oder | |
rot-rot-grünen Landesregierungen Berlin nacheifern. Nicht Thüringen, nicht | |
Brandenburg, nicht Hamburg. Was vor allem an den jeweiligen | |
SPD-Landesverbänden liegt, die die Idee ihrer Berliner Genossen nicht | |
kopieren wollen. Die neue rot-rot-grüne Koalition in Bremen schreibt in | |
ihrem Koalitionsvertrag vorsichtig, „ein zeitlich begrenzter Mietendeckel“ | |
könne „auch für Bremen oder für einzelne Stadtteile zukünftig in Betracht | |
kommen, falls die weitere Mietentwicklung dazu Anlass“ gebe. Dafür wolle | |
man „die Erfahrungen in Berlin auswerten“. | |
Für Vorsicht gibt es zwei Gründe: Ob Berlin tatsächlich einen eigenen | |
Mietendeckel erlassen darf, werden Gerichte feststellen. Die FDP im | |
Berliner Abgeordnetenhaus hat jetzt schon einen Normenkontrollantrag | |
angekündigt. Auch die Einzelregelungen stehen auf wackligen Füßen, so zum | |
Beispiel die Behauptung des Senats, dass schon ab seinem Beschluss am 18. | |
Juni die Mieten nicht mehr angehoben werden dürften, obwohl das Gesetz | |
weder vom Abgeordnetenhaus verabschiedet noch in Kraft ist. | |
Und dann bleibt die Frage, welchen Einfluss der Mietendeckel auf | |
Modernisierung und Neubau hat. Der Mietendeckel verbietet auch die Umlage | |
von Modernisierungskosten von mehr als 50 Cent pro Quadratmeter auf die | |
Mieter. Die Immobilienlobby ebenso wie CDU und FDP machen deshalb mit dem | |
Schreckgespenst „DDR“ gegen den Mietendeckel mobil: ein Wohnungsmarkt in | |
staatlicher Hand mit teils zerfallenden Innenstädten, die mangels Geld | |
nicht saniert wurden. | |
Aber der richtige Vergleichsmaßstab wäre Westberlin, wo noch bis in die | |
späten 80er Jahren ein Mietendeckel galt. Zahlreiche Wohnungen hatten | |
damals noch Ofenheizungen, oft gab es noch ein Außenklo auf halber Treppe, | |
das man sich mit den Nachbarn teilen musste. Dann hob der damalige | |
CDU-geführte Berliner Senat den Mietendeckel auf, um Modernisierungen zu | |
ermöglichen. | |
## „Berliner Wohnungsmarkt: beendet“ | |
Außenklos und Ofenheizungen sind Geschichte. Modernisierungen betreffen | |
heute vor allem Dinge, die im Westberlin der 80er als Luxus betrachtet | |
worden wären, etwa Balkone und Aufzüge – all das, was ermöglicht, die Miete | |
nach einer Sanierung nach oben zu treiben. Für Aufzüge wirbt die | |
Immobilienlobby vor allem mit dem Argument der alternden Gesellschaft. | |
Ihr entscheidendes Ass bei der Lobbyarbeit, auch gegen den Mietendeckel, | |
ist jedoch der Klimaschutz durch eine energetische Sanierung. Die | |
schwarz-gelbe Bundesregierung hatte 2012 beschlossen, dass die Kosten dafür | |
den Mietern aufgebürdet werden können. Mit dem Mietendeckel würden die | |
energetischen Sanierungen zum Erliegen kommen, argumentiert der | |
Lobbyverband ZIA. | |
„Berliner Wohnungsmarkt: beendet“, schrieb in der vergangenen Woche der | |
Blogger Tobias Scheidacker, zugleich Vorsitzender des Haus- und | |
Grundbesitzervereins Kreuzberg. Er berichtete von einem Treffen mit einem | |
Verantwortlichen eines mittelständischen Immobilienunternehmens. Viele | |
würden darüber nachdenken, „aus dem Berliner Markt auszusteigen, solange es | |
noch geht“, schrieb Scheidacker anschließend: „Also zu verkaufen.“ | |
Besonders spannend würde es für alle, die „ein Haus oberhalb der künftigen | |
Verordnungsmiete gekauft“ hätten – es könne sein, dass sie die Kredite f�… | |
den Hauskauf nicht mehr bedienen könnten. | |
Ähnlich, wenn auch nicht ganz so drastisch fällt auch das Urteil des | |
Branchenanalysten bulwiengesa aus: „Investoren überlegen, Gewerbe- statt | |
Wohnhäuser zu errichten oder gleich nach Brandenburg zu gehen“, so André | |
Adami, bulwiengesa-Bereichsleiter Wohnen Berlin zur taz. | |
Ein Szenario, das den Frankfurter Stadtforscher Sebastian Schipper erfreuen | |
dürfte: „Eine Abschreckung von Investoren ist genau das, was wir jetzt | |
brauchen.“ Bisher habe es „zu viel Kapital“ gegeben, „das Leute in den | |
deutschen Wohnimmobilienmarkt investieren wollten“, sagte er kürzlich der | |
Frankfurter Allgemeinen. Der Rückzug von Kapital mag für die Mieter von | |
Bestandswohnungen vorteilhaft sein, die damit vor unnötigen | |
Modernisierungen und Mieterhöhungen geschützt werden. Aber was ist mit dem | |
Neubau? | |
Der ist zwar vom Mietendeckel ausgenommen. Scheidacker spricht dennoch von | |
einem massiven Vertrauensverlust, weil man nicht wisse, was zukünftig noch | |
an Gesetzen von Senatsseite kommen werde. Ähnlich argumentiert Hamburgs | |
Erster Bürgermeister Peter Tschentscher: Ein Mietenstopp führe „nicht zu | |
mehr Wohnraum“, sondern „untergrabe die Investitionsbereitschaft für den | |
Mietwohnungsbau“, sagte der SPD-Politiker. | |
## Wenn alles schiefgeht, bleibt nur die Mieterhöhung | |
Das gilt jedenfalls dann, wenn man beim Neubau vor allem auf Private setzt. | |
Das Problem in Berlin: Bisher denkt der Senat nicht darüber nach, ob er | |
selbst mehr öffentliche Wohnungen baut, falls sich die privaten Investoren | |
zurückziehen. | |
Und für einen stärkeren Neubau durch Genossenschaften fehlen bislang | |
bessere gesetzliche Regelungen. Grüne, Linke und der Deutsche Mieterbund | |
befürworten seit Längerem eine neue Wohngemeinnützigkeit, die bessere | |
steuerliche Vorteile für Genossenschaften bieten. Die SPD hat noch keine | |
Position dazu. Auch deshalb finden sich einige Genossenschaften in Berlin | |
nun unter den stärksten Gegnern des Mietendeckels – sie sehen angesichts | |
geringer Mieten ihre Modernisierungs- und Neubautätigkeit gefährdet. | |
Andrej Holm, Lompschers früherer Staatssekretär, forderte nun im Freitag, | |
die durch den Mietendeckel gewonnene Zeit für eine Neuausrichtung des | |
öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus zu nutzen – durch | |
bessere Förderbedingungen und eine andere Liegenschaftspolitik. „Sollte die | |
Furcht der Immobilienwirtschaft zutreffen, dass der Mietendeckel private | |
Investitionen verhindert, müssten die Grundstückspreise ja deutlich fallen | |
– was für Neuausrichtung des öffentlichen Bodenfonds genutzt werden kann“, | |
so Holm. | |
Auch wenn die bundesweite Wirkung bislang ausbleibt – in Berlin hat der | |
Mietendeckel bislang Zugeständnisse der Wohnungsunternehmen bewirkt. Die | |
Deutsche Wohnen kündigte an, dass sie in Zukunft auf Mieterhöhungen | |
verzichten will, wenn die Nettokaltmiete 30 Prozent des Nettoeinkommens der | |
Mieter überschreitet – die Vorlage von Gehaltsnachweisen vorausgesetzt. | |
Der Branchenverbund BBU sprach von der Möglichkeit einer Senkung der | |
sogenannten Kappungsgrenze von 15 auf 10 Prozent – also der Möglichkeit, | |
dass Mieten in drei Jahren nur noch um 10 statt 15 Prozent erhöht werden | |
könnten. Beide Vorschläge zielen auch darauf, auf das laufende | |
Gesetzgebungsverfahren noch Einfluss zu nehmen. Teile der SPD kämpfen | |
derzeit für schwächere Regelungen zugunsten landeseigener | |
Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften. | |
Denn noch sind entscheidende Detailregelungen des Mietendeckels unklar, | |
etwa die Frage, ob die Mieten völlig gedeckelt werden sollen oder in Höhe | |
der Inflation steigen dürfen. Bei einer Inflationsrate von 1,8 Prozent wie | |
in 2018 hätte der Mietendeckel dann kaum oder sogar eine negative Wirkung | |
für diejenigen, die gerade erst die 15-prozentige Mieterhöhung wegen des | |
Mietendeckels bekommen haben. | |
Falls ihn die Gerichte überhaupt durchwinken. Wenn alles schiefgeht, so | |
fürchtet der Jurist des Berliner Mietervereins, ist die Mieterhöhung das | |
Einzige, was am Ende vom Mietendeckel bleibt. | |
9 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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