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# taz.de -- Anwalt über Berliner Mietendeckel: „Man lässt den Markt nicht r…
> Tobias Scheidacker, Anwalt für Immobilienrecht, erklärt, was gegen
> Mietpreisbremse und Mietendeckel spricht und warum man den Markt wirken
> lassen sollte.
Bild: Demonstration am 3. Oktober in Berlin für den Mietendeckel
taz: Herr Scheidacker, [1][Sie haben kürzlich argumentiert], der geplante
Berliner Mietendeckel sei ein Grund für die Kündigung von Mietverträgen
seitens der Vermieter. Kennen Sie schon jemand von Vermieterseite, der
wegen des Deckels kündigen und mit Ihnen als Anwalt einen Prozess führen
würde?
Tobias Scheidacker: Einer hat sich gemeldet. Sonst aber nicht. Weil meine
Argumentation eine andere ist.
Nämlich?
Der frühere Karlsruher Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier hat in einem
Gutachten den Berliner Mietendeckel als verfassungswidrig beurteilt. Aus
Eigentümersicht ist die Frage: Wie führt man das Gutachten in einen Prozess
ein?
Man kann das über eine Mieterhöhung machen. Wenn der Mieter dann einwendet,
der Mietendeckel sei verfassungsgemäß, muss der Eigentümer die Nichtigkeit
dieses Mietendeckels thematisieren. Bei einer Kündigung ist es andersherum.
Da ist die Nichtigkeit des Mietendeckels für den Mieter ein Vorteil, weil
sonst die Geschäftsgrundlage für den Mietvertrag aufgrund des Mietendeckels
wegfiele. Im Grunde dreht es sich um die prozessuale Darlegungslast
bezüglich der Nichtigkeit des Mietendeckels. Nüchtern betrachtet macht es
keinen Sinn zu kündigen, denn der Mietendeckel wäre ja ohnehin nichtig, wie
wir alle wissen – aber wie es derzeit überall ignoriert wird.
Aber Sie würden dafür plädieren, mittels Kündigung einen Musterprozess zu
führen, um die Nichtigkeit des Mietendeckels nachzuweisen?
Auch nicht. Ich würde es zwar machen, wenn mich jemand fragt. Aber im
Grunde war dieser Artikel nur ein irritierter fachlicher Beitrag, der die
Politik fragt: Was macht ihr denn da? Denn wenn der Berliner Senat jetzt
einen wirksamen Mietendeckel zustandebringen würde, wäre in der Tat die
Folge, dass man alle Mietverhältnisse kündigen kann. Das kann ja keiner
wollen.
Sie haben mit Ihrer Idee viel Wirbel verursacht. Bei Strafverteidigern
nennt man es Konfliktverteidigung, wenn man das Gericht hart konfrontiert
und den Prozess zum Platzen bringen will. Eine Art Einschüchterungstaktik.
War Ihr Artikel auch ein Versuch, dem Senat und Mietern Angst vor dem
Mietendeckel zu machen?
Nein. Erst einmal: Ich wurde in der Presse als Verbandsvertreter
bezeichnet, bin aber gar keiner …
… Sie sind Mietrechtsanwalt und zugleich der Vorsitzende von Haus und Grund
Kreuzberg, einem Eigentümerverband.
Ja, und dennoch kein Verbandsvertreter. Was wir im Ortsverein von Haus und
Grund in Kreuzberg machen, ist ehrenamtliche Arbeit. Da kommen
Einzeleigentümer mit einer Frage, brauchen ein Formular oder einen
Handwerker. Es gibt einen Berliner Landesverband und einen Bundesverband
von Haus und Grund, dort findet die Öffentlichkeitsarbeit statt. Ich und
die anderen Berater im Kreuzberger Ortsverein sind hingegen so eine Art
Sozialarbeiter für die Eigentümer vor Ort.
Ein Sozialarbeiter?
Viele Menschen denken, dass Eigentümer alle reich sind. Das stimmt nicht.
Wir haben ganz häufig Leute in der Beratung, die Mieter ihrer Wohnung sind
und zugleich Eigentümer einer Wohnung, die sie gekauft haben, um
Altersvorsorge zu betreiben. Die stehen auf beiden Seiten. Die Leute werden
von ihrem Mieter wegen der Betriebskostenabrechnung angegangen, mit der sie
sich nicht auskennen, weil sie so was nie gemacht haben, und bekommen die
Jahresabrechnung von der Eigentümergemeinschaft weitergereicht.
Die fragen mich: Was muss ich denn da machen? Stimmt das? Warum
kommuniziert der Mieter gleich mit einem Anwalt? Warum ruft der mich nicht
an? Zurück zu Ihrer Eingangsfrage: Ich habe den Artikel auf meinem Blog,
den ich als Anwalt betreibe, eingestellt. Die Presse hat das herausgefunden
und mich dann in die Verbandsecke gestellt, um dann sagen zu können, dass
die Eigentümerseite die Diskussion eskaliert. Dabei beinhaltet der Beitrag
nur eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, was der Mietendeckel
unbeabsichtigterweise vielleicht sonst noch so auslösen würde, wenn man ihn
ernst nehmen müsste.
Das war zu erwarten. [2][Ihr „Immobilien und Recht“-Blog] ist inzwischen
bei Medienvertretern bekannt.
Danke, das freut mich. Aber noch mal: Mein Beitrag war eine normale
juristische Arbeit. Es schützt auch die Mieter, wenn man solche Dinge im
Vorfeld thematisiert und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen
ist.
Sie vertreten auch Eigenbedarfsklagen. Das ist ein, vorsichtig gesagt,
schwieriger Bereich.
Meines Erachtens nicht. Auch Eigentümer müssen irgendwo wohnen. Warum nicht
in den eigenen vier Wänden?
Da wohnt noch jemand in der Wohnung und muss dann rausgeklagt werden.
So sind die Regeln. Es ist die gesetzliche Entscheidung, dass Eigentum an
der Stelle Vorrang hat.
Der Deutsche Mieterbund und andere sind dafür, die Möglichkeiten zu solchen
Eigenbedarfsklagen deutlich zu verringern.
Das ist wiederum eine politische Frage. Ich wende die Regeln an. Wenn sich
die Gesellschaft entscheidet, die Regeln zu ändern, sind die Regeln andere
und dann wenden wir diese an. Irgendwo gibt es aber eine Grenze. Das ist
die Verfassung, die sagt: Es gibt einen Kernbereich des Grundrechts auf
Eigentum, dieser darf nicht verletzt werden. Bis zu dieser Grenze ist die
Gesellschaft frei, sich anders zu entscheiden als derzeit.
Viele von der Vermieterseite glauben, dass der Markt in Berlin alles regeln
wird. Sehen Sie das auch so?
Da würde ich mit Ihnen gerne in die Historie schauen. Die Mietpreisbremse
wurde 2015 eingeführt. Wir hatten in den Jahren davor bis einschließlich
2016 rapide steigende Baugenehmigungszahlen im Wohnungsbau. Seitdem geht es
bergab. Und zwar schneller, als es vorher bergauf ging. Meines Erachtens
dürfte einer der Gründe dafür sein, dass diese Mietregularien eingeführt
wurden, weil es jetzt weniger attraktiv ist, Wohnungen zum Zwecke der
Vermietung zu bauen. Baugenehmigungszahlen haben einen Vorlauf von ein bis
zwei Jahren.
Um eine Baugenehmigung beantragen zu können, muss man in erheblichem Umfang
Architektenleistungen vorfinanzieren und veranlassen. Das dauert eine
Weile. Dann muss die Baugenehmigung beantragt werden und dann wird sie
irgendwann beschieden. Das heißt, ich vermute, dass der Höhepunkt an
Baugenehmigungen im Jahr 2016 auf Anträgen vor Inkrafttreten der
Mietpreisbremse beruhte. Hätte man das laufen lassen, statt eine
Mietpreisbremse einzuführen, wären wir wahrscheinlich schon über den Berg
und es gäbe heute genug Wohnungen.
Aber die Mietpreisbremse ist fast wirkungslos.
Das ist nicht richtig, sie hat schon Wirkungen. Zum Beispiel hat sie dazu
geführt, dass sich die Leute vermehrt überlegt haben, ob sie noch
Mietwohnungen bauen wollen. Die Verschärfung der Mietpreisbremse, die zum
Jahresanfang 2019 in Kraft trat, ist in den Bauantragszahlen im
Jahresvergleich noch gar nicht zu sehen, das kommt erst noch.
Eine Untersuchung von Immoscout sagt, die Angebotsmieten sind in Neukölln
zwischen 2007 und 2018 um 146 Prozent gestiegen, in Kreuzberg um 114
Prozent.
Immoscout kennt nur die Angebotsmieten. Ob die tatsächlich zu einem Vertrag
führen, weiß Immoscout nicht. Die tatsächlichen Mietentwicklungen sehen Sie
im Mietenspiegel. Der Mietspiegel sieht eine Durchschnittsmiete von 6,72
Euro in Berlin. Davon abgesehen hat der Berliner Mieterverein gerade eine
Studie veröffentlich, wonach die städtischen Gesellschaften aktuell für
2.400 Euro pro qm bauen können. Das entspricht einer Kaltmiete von 12 Euro.
Private Bauherren haben der Studie zufolge Baukosten von 2.900 bis 3.500
Euro pro qm, das entspricht einer Kaltmiete von 14,50 Euro bis 17,50 Euro.
Daran haben Sie dann noch nichts verdient. Die Verteuerung liegt nicht nur
an den Preissteigerungen im Baugewerbe, sondern unter anderem auch an hohen
Steuern und teuren rechtlichen und energetischen Auflagen. Das macht sich
natürlich auch bei bestehenden Gebäuden bemerkbar, wenn etwas repariert
oder erneuert werden muss.
„Die Branche hat irres Geld verdient in den letzten zehn Jahren“, sagt
Harald Simons vom Forschungsinstitut empirica. Mit dem Mantra, dass der
Markt schon alles regeln wird, könne man die Öffentlichkeit nicht
überzeugen. In Berlin bekommt selbst eine radikale Forderung wie nach der
Enteignung der Deutsche Wohnen große Zustimmung aus der Bevölkerung.
Müssten Sie nicht differenzierter argumentieren, als „Der Markt regelt
alles“ zu sagen?
Man lässt den Markt ja nicht regeln. Wie will man denn feststellen, dass
der Markt versagt, wenn man ihn gar nicht wirken lässt, sondern rigoros
ausbremst und das ohne Validierung der Effekte der bisherigen Regulierung
ständig weiter verschärft? Ihr Zitat wirft außerdem alle in einen Topf,
wenn es von „der Branche“ spricht. Ein Millionär und 9 Obdachlose haben im
Durchschnitt alle 100.000 Euro.
Man muss viel mehr differenzieren, wenn man die Eigentümerseite betrachtet.
Es gibt große Wohnungskonzerne in Berlin, deren Geschäftsmodell die
dauerhafte Vermietung ist. Es gibt Leute, die in den Markt einsteigen und
eine Werterhöhung mitnehmen, indem sie das Haus aufteilen und dann wieder
abverkaufen. Wenn sie währenddessen modernisiert haben, ist die Substanz
hinterher ebenfalls aufgewertet.
Und ein sehr großer Teil des Marktes besteht eben aus privaten
Einzeleigentümern, die etwas für ihre Altersvorsorge tun. Sie versuchen,
eine Wohnung zu finanzieren und dann bestmöglich bis zu ihrem
Ruhestandseintritt zu verwalten. Während man ihnen sagt, dass sie ein
Heidengeld verdient haben, sehen sie selbst eigentlich nur den Kredit und
dass die Miete den nicht deckt. Eine ganze Reihe von Eigentümern zahlen
jeden Monat drauf, selbst wenn in der Wohnung nichts kaputtgeht und der
Mieter keine Mietschulden entstehen lässt.
15 Oct 2019
## LINKS
[1] https://ikb-law.blog/2019/09/28/mietendeckel-ist-ein-kuendigungsgrund/
[2] https://ikb-law.blog/
## AUTOREN
Martin Reeh
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