# taz.de -- Canan Bayram über Drohungen: „Rechter Terror ist Realität“ | |
> Die grüne Bundestagsabgeordnete sieht sich rechter Hetze und einer | |
> permanenten Bedrohung ausgesetzt. Polizeischutz will sie allerdings | |
> nicht. | |
Bild: Die Berliner Grüne Canan Bayram | |
taz: Was dachten Sie, als Sie von der [1][Ermordung Walter Lübckes] gehört | |
haben? | |
Canan Bayram: Mich hat das erschaudern lassen. Mein erster Gedanke war, | |
dass es einen rechten Tathintergrund gibt. Das Bedrohungspotential ist noch | |
mal gestiegen. | |
Wie konnten Sie sich gleich so sicher sein? | |
Ich sitze in all diesen Sitzungen. Im Verteidigungsausschuss zu Uniter, im | |
Innenausschuss zu diversen rechtsextremen Strukturen. Ich kenne das | |
NSU-Netzwerk. Das war nicht so klein, wie es gemacht wurde, und ist nach | |
dem Tod der beiden Uwes und Beate Zschäpes Inhaftierung nicht verschwunden. | |
Ebenso wenig wie Combat 18 oder Blood & Honour. Rechter Terror ist | |
Realität. | |
Haben Sie Erklärungen dafür, dass die Tat jetzt geschehen ist? | |
Manche glauben wohl langsam nicht mehr an die Machtübernahme: Einzelne, | |
denen es nicht schnell genug mit der rechten Dominanz geht, werden | |
ungeduldig und beginnen durchzudrehen. | |
Frau Bayram, welche Erfahrungen haben Sie mit Bedrohungen von rechts? | |
Dieses Thema begleitet mich seitdem ich in der Politik bin. Als Frau, | |
Migrantin und politische Linke biete ich für Rechte viele Angriffsflächen. | |
Die letzte Welle von Hasskommentaren hatte ich nach der Blockade eines | |
AfD-Frauenmarsches am Checkpoint Charly im Februar 2018 und im folgenden | |
Oktober während der Debatte über den Entzug meiner Immunität. Aber auch | |
nach Reden im Bundestag, etwa wenn ich zu AfD-Anträgen spreche, kommen | |
Mails, Facebook-Kommentare, Briefe. | |
Wie groß wird so eine Welle? | |
Internetkommentare und Mails zusammen gerechnet gehen in die tausende. In | |
den letzten zwölf Jahren war mein E-Mail-Postfach in mehreren Fällen für | |
mehrere Tage lahmgelegt. Zwei, drei Mitarbeiter sind nur noch damit | |
beschäftigt, das zu sichten. | |
Sind die Angriffe zuletzt massiver geworden? | |
Ja, in den letzten drei, vier Jahren merkt man, dass die Rechten Aufwind | |
haben. Sie sind besser organisiert, haben Listen ihrer Gegner, die nötige | |
Technik. Durch das Erstarken der AfD wurde der Übergang zwischen | |
Rechtsextremen und besorgten Bürgern aufgeweicht. Auch ganz normale Leute, | |
die mit Klarnamen in Erscheinung treten und noch nie polizeilich | |
aufgefallen sind, beteiligen sich an dieser Hetze und haben diesen | |
Nazisprech. | |
Wie gehen sie damit um? | |
Ich zeige alles an, was ich für strafrechtlich relevant halte. Allerdings | |
ist noch nie jemand verurteilt worden, der mir gedroht oder gegen mich | |
gehetzt hat. Die Staatsanwaltschaft stellt alles ein. Meistens kann die | |
Täterschaft nicht beweisen werden. Die Leute behaupten, sie hätten die | |
Kommentare nicht selbst verfasst. Um ihnen ihre Urheberschaft nachzuweisen | |
bräuchte es Durchsuchungsbeschlüsse samt Beschlagnahmung ihrer Computer und | |
Mobiltelefone. Das passiert nicht. | |
Der Staat ist keine Hilfe? | |
Ich bin darüber geschockt, wie gleichgültig die Staatsanwaltschaft damit | |
umgeht, dass die sich anscheinend keine Gedanken darüber macht, was diese | |
permanente Bedrohung bedeutet, nicht nur für die Betroffenen selbst, | |
sondern auch für deren Familien. Dabei müsste eine schärfere Verfolgung | |
doch im öffentlichen Interesse sein. | |
Werden Sie von der Polizei geschützt? | |
Nein, weil ich das nicht will. Zu meiner Zeit als Berliner Abgeordnete | |
hatte mir das LKA Schutz angeboten. Aber da fühle ich mich eher bedroht. | |
Wenn man das Uniter-Netzwerk sieht, diese ganzen Spezialeinheiten, in denen | |
teilweise gedacht wird, man müsse das deutsche Volk vor den Politikern | |
schützen, dann ist mehr Polizeischutz nicht die Antwort. Ich weiß, dass es | |
vereinzelt Polizisten gibt, die mich hassen. „Wenn die Bayram mal auf | |
unseren Schutz angewiesen ist, dann überlegen wir uns das“, heißt es dort. | |
Das hat auch mit meinem Engagement für den Erhalt von Freiräumen zu tun. | |
Wie schützen Sie sich selbst? | |
Ich habe mich schon nach einem Waffenschein erkundigt, aber habe mich noch | |
nicht entschieden, ob ich selbst aufrüsten will. Der Gedanke kam auf, als | |
ich gelesen hatte, dass hessische Polizisten der Anwältin Seda Başay-Yıldız | |
genau dazu geraten haben. Sie hatte zuvor Drohbriefe von einem „NSU 2.0“ | |
erhalten. Andererseits gibt es viel wildere Bedrohungsgeschichten, auch | |
gegen Wissenschaftler, Lehrer, Kirchenvertreter. Ich weiß, wie ich mich | |
verhalten muss. Es ist kein Zufall, dass ich Freiräume in meiner | |
Nachbarschaft unterstütze. Genau dort werden die vielfältigen Gegenmodelle | |
zu autoritären Strukturen organisiert. | |
20 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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