| # taz.de -- Transgender-Performance: Jenseits von Prinz und Prinzessin | |
| > Beim Hamburger Transparence Theatre stehen ausschließlich Transgender auf | |
| > der Bühne. In Lüneburg feierte nun das erste Stück der Compagnie | |
| > Premiere. | |
| Bild: Sprengen den Rahmen: die Performer*innen des Transparence Theatre | |
| Lüneburg taz | Für räkeliges Selbstinszenieren, dahingefläztes | |
| Selbstreflektieren und Tête-à-Têtes steht eine Chaiselongue in der | |
| Bühnenmitte, dahinter das klassisch gläserne Requisit zur | |
| Selbstbespiegelung. Spartanisch ist die Ausstattung, bonbonbunt das Licht. | |
| Aus lautstark eingespielter Minimal-Music erheben sich Fragen wie: Wer bin | |
| ich? Schaffe ich das? Bist du schwul, oder was? | |
| So startet auf der Studiobühne im Keller des Theaters Lüneburg die | |
| Uraufführung von „Transparência“, eine einstündige „Trans*-Tanz-Perfor… | |
| mit Live-Gesang“. Verantwortlich ist die nach eigenen Angaben einzige | |
| Compagnie weltweit, die auf der Bühne ausschließlich Trans-Darsteller*innen | |
| eine Plattform für ihr Können bietet. Über, vor und hinter der Bühne des in | |
| Hamburg beheimateten Transparence Theatre dürfen auch Cisgender arbeiten, | |
| etwa das Leitungsduo Kolja Schallenberg (Regie) und Wallace Jones | |
| (Choreografie, Ausstattung). | |
| Was sie von all den Arbeitslosen-, Rentner-, Behinderten-, | |
| Flüchtlingsensembles unterscheidet, die auch mit Bühnenkunst | |
| gesellschaftliche Aufmerksamkeit generieren wollen? „Wir sind kein | |
| Amateurtheater, ich arbeite nur mit Profis“, so Schallenberg. „Transgender | |
| ist auch nicht unser künstlerisches Konzept, das sind nur die Darsteller.“ | |
| Seine Überzeugung ist es, dass biologisches und sozial konstruiertes | |
| Geschlecht ebenso egal sind fürs Theatermachen wie die Tatsache, ob und wie | |
| häufig diese schon gewechselt wurden. Die Transparence-Verwandlungskünstler | |
| hätten also ein Kleist-Drama oder ein Ballett gegen rechts geben können, | |
| fokussieren in ihrer ersten Produktion aber eben doch ihre | |
| Trans*-Erfahrungen und setzten Trans*-Identitäten sehr physisch ins Bild – | |
| mit den Körpern als Schauplatz und Schutzhülle des inneren Dramas. | |
| Was kein Alleinstellungsmerkmal ist. Im deutschen Stadttheatersystem ist | |
| das Thema dank Stückentwicklungen, Romandramatisierungen, | |
| Dokutheaterformaten und Tanzperformances bereits präsent. Geoutete | |
| Trans*-Menschen in Ensembles? Da ist allerdings nur eine bekannt: Nora | |
| Monsecour am Staatstheater Mainz. Ihre Geschichte erzählt übrigens Lucas | |
| Dhonts Film „Girl“, womit Transgender auch im Mainstream-Rührkino | |
| angekommen ist. | |
| Schallenberg erzählt hingegen die abgründigere Geschichte seiner | |
| Hauptdarstellerin Aline de Oliveira: In Brasilien in einem Männerkörper | |
| geboren, katholisch erzogen, klassisches Ballett studiert und von den | |
| großen Häuser in Europa engagiert. Als schwuler Mann lebte sie mit ihrem | |
| Freund und verleugnete jahrelang, dass etwas anders ist an ihr. Mit ihrer | |
| Geschlechterangleichung verlor sie schließlich Partner und Jobs. | |
| Denn in der Tutu-Kunst wird binär gedacht, es gibt die zart-federleichten | |
| Prinzessinnenkörper und die sie hebenden und durch die Luft wirbelnden, | |
| also kraftprotzenden Prinzenkörper. Nichts dazwischen. Das gelte auch in | |
| anderen Bereichen der Bühnenkunst, so Schallenberg: „Transmenschen wird | |
| meist nicht die Wandelbarkeit, das Schlüpfen in verschiedene Rollen | |
| zugetraut, deswegen haben sie Angst vorm Outing.“ Aline de Oliveira musste | |
| sich jahrelang als Prostituierte durchschlagen und steht nun erstmals als | |
| Frau auf der Bühne. | |
| Drei der vier Tänzer*innen halten sich schamvoll den Mund zu und versuchen | |
| Verkrampfungen aus ihren Körpern zu lösen, zappelige Exaltation zu | |
| beruhigen, schlackernde Arme in selbstbewusste Gestik zu überführen. | |
| Harmonieren also nicht mit dem, was sie sind, und suchen angestrengt ihre | |
| eigene Bewegungssprache. Halten sich auch mal Bilderrahmen vors Gesicht und | |
| bedrängen die Protagonistin mit fratzenhafter Gruselkabinettmimik. | |
| Rückblende. Ein Junge im Matrosenanzug und als Gegenbild ein | |
| Ballerinamädchen mit Puppe umspielen die Chaiselongue. Der Vater haut dem | |
| Sohn auf die Finger, als dieser mit der Puppe spielen will, die Mutter | |
| schubst ihn zum Vater, der ihm per Boxkampf Männlichkeit einprügeln soll. | |
| Schließlich bekommt er ein Holzauto geschenkt, will aber lieber Mamas | |
| Pumps anziehen. Derweil sich das Mädchen suizidal den Strick um den Hals | |
| legt. | |
| Nächste Szene: Sexualität. Mit der Bravo in der Hand werden die Fakten | |
| hinter dem Mythos Orgasmus erklärt. Botschaft: Wer viel Sex hat, geht | |
| entspannt durchs Leben. Nur mit wem? Mann und Frau tanzen um das Sitzmöbel, | |
| treffen sich dort zum Blowjob, dann hat der Mann mit einem anderen Sex und | |
| die Frau will ihn zurückhaben. Die Männer aber feiern sich per Pas de deux. | |
| Als einer mit Perücke darauf hinweist, Frau sein zu wollen, hagelt es | |
| Schläge. In Hochwürden-Uniform irrlichtert jemand empört vorüber. Eine | |
| Kakophonie gesellschaftlicher Vorurteile prasselt aus den Lautsprechern. | |
| Aline de Oliveira spreizt die Beine, ein Freier wirft ihr achtlos Geld zu. | |
| Sie wandelt sich zur Domina für SM-Fans und zeigt stolz, eine Frau mit | |
| Brüsten zu sein. „Ich bin glücklich, ich weiß, wer ich bin“, ist zu hör… | |
| Dramaturgisch eine eher schlicht entwickelte Szenenfolge: Die Bilder sind | |
| vor allem plakativ, die eingeblendeten Musiken meist pathetisch. Die | |
| Choreografie kommt eher ungelenk daher, wie eine Addition von | |
| Bewegungsskizzen. Berückend untersungen werden die dargebotenen Lieder – | |
| wie auf der ersten Stellprobe. | |
| In seinem Aufklärungsduktus nimmt der Abend für sich ein, in dem Wissen um | |
| die dahinterstehenden Lebensgeschichten mag er berühren, aber als | |
| Inszenierung überzeugt er leider nicht. Der Regisseur sagt selbst: „Wir | |
| haben unsere künstlerische Identität noch nicht gefunden.“ Was vielleicht | |
| an der nur vierwöchigen Probenzeit liegt. Schallenberg ist mit seinem | |
| Privatvermögen einziger Produzent des Projekts und erklärt, einfach kein | |
| Geld gehabt zu haben, um das Ensemble über einen längeren Zeitraum zu | |
| bezahlen. | |
| Schallenberg selbst hat als Autor und Regisseur seine Stadttheaterlehrjahre | |
| absolviert, auch Kulturmanagement studiert. Seit 2009 arbeitet er frei und | |
| verdiente zuletzt Geld als Regisseur des bundesweit tourenden | |
| Bee-Gees-Musicals „Massachusetts“ und für Unterhaltungsshows auf | |
| Kreuzfahrtschiffen. | |
| Seit 2016 baut er für Transparence ein Netzwerk in der queeren Szene auf, | |
| schreibt bisher erfolglos Förderanträge und bat 45 Theater, dort | |
| „Transparência“ spielen zu dürfen. Lediglich vier hätten geantwortet, sa… | |
| er. Nur Lüneburg schob sechs Vorstellungen in den Spielplan, überlässt ihm | |
| auch den überwiegenden Teil der Einnahmen. Hilfreich bei dem Deal war, dass | |
| Choreograf Wallace in Lüneburg als Tänzer engagiert ist. | |
| Inzwischen übernahm Hamburgs Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank | |
| die Schirmherrschaft für das Transgender-Theater. Auch Politiker aus | |
| anderen Bundesländern hätten bereits Interesse bekundet, aus der | |
| Kulturszene aber niemand, so Schallenberg erstaunt. Aber er plant weiter. | |
| Etwa eine Trans*-Version der „Vagina-Monologe“ von Eve Enslers. Zur | |
| Hamburger Pride Week ist ein kultureller Beitrag im Werden, fürs | |
| Schmidts-Theater ein Musicalabend zugunsten des | |
| Transgender-Kinder-Netzwerks Trakine. | |
| 25 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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