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# taz.de -- Performer über japanischen Tanz: „Androgynität war populäres M…
> Für Queere und Transgender dient ein japanischer Tanz als
> Projektionsfläche – der Performer Takao Kawaguchi über Legenden rund um
> Butoh.
Bild: Takao Kawaguchi performt beim Festival „Tanz im August“ in Berlin
taz: Herr Kawaguchi, was kommt zuerst, die Henne oder das Ei? Das ist im
japanischen Butoh eine Frage mit eindeutiger Antwort: das Huhn.
Takao Kawaguchi: Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht.
Ich spreche davon, dass 1959, in „Kinjiki“, der Gründungsperformance des
Butoh, des Tanzes der Dunkelheit, ein Huhn gestorben ist. Oder auch nicht.
Darüber konnte ich nie etwas Eindeutiges finden.
Ah! Ich glaube, es ist nur ohnmächtig geworden zwischen den Beinen von
Yoshito Ohno, dem Sohn von Butoh-Mitbegründer Kazuo Ohno. So habe ich es
gehört. Aber es gibt kein Video von dieser Performance.
Ein sehr typisches Merkmal sind außerdem die weiß angemalten Körper. Es
heißt, diese Ästhetik beziehe sich auf das menschliche Skelett und stehe
damit symbolisch auch für die Kommunikation mit den Toten?
Mein Dramaturg hat mir erzählt, dass er von drei Begründungen für die weiße
Farbe weiß. Er bezieht sich auf das, was er von Yoshito Ohno gehört hat.
Dessen Vater, Kazuo, habe sich als Katholik mit dem Weiß auf Reinheit
bezogen, während der andere Über- und Gründungsvater Tatsumi Hijikata sich
tatsächlich auf die Farbe des menschlichen Skeletts bezogen habe, was viele
Tänzer bis hin in ihre Körperlichkeit kopieren. Yoshito selbst dagegen
benutze das Weiß als eine Art Neutralisierung, Anonymisierung.
War Kazuo Ohno denn Katholik?
Ja, es heißt, er habe Weihnachtsmann für Kinder eines christlichen
Kindergartens gespielt. Er nahm ein Nikolauskostüm, einen Kassettenrekorder
mit Weihnachtsliedern und tanzte, wahrscheinlich Butoh!
Das überrascht. Neben dem deutschem Ausdruckstanz, Dada und Protestposen
aus der Kultur der Homosexualität gelten auch Schintoismus sowie dem
Buddhismus entlehnte Konzepte, wie der starke Bezug zu einer Praxis der
inneren Leere, als Einflüsse des Butoh.
Es gibt natürlich viele verschiedene Stile im Butoh, und ich bin alles
andere als ein ausgewiesener Experte. Aber beide Gründungsväter waren Erbe
des europäischen Tanzes, vor allem des Ausdruckstanzes. Auf die japanische
Gesellschaft bezogen, gab es eine Art Sinn der Antithese. Stil und Werte
des Bestehenden wurden abgelehnt. Japan war nach dem Krieg allein damit
beschäftigt, die zweite Weltwirtschaftsmacht zu werden. Es war die Zeit der
Olympischen Spiele in Tokio von 1964, der Weltausstellung in Osaka von 1970
etc. Alles, was alt und traditionell war, wurde weggeschmissen. Und
Hijikata brachte die alte Frau aus der Provinz auf die Bühne: gebeugt,
gezeichnet, krank, mit dünnen Beinen. Außerdem Kostüme, die er, als
Städter, mit dem Land in Verbindung brachte. Dieser Geist der Rebellion ist
für mich interessant. Dem Buddhismus oder Schintoismus entlehnte Praktiken
gab es, soweit ich weiß, anfangs nicht. Hijikata hat Religion abgelehnt,
Ohno war, wie gesagt, Katholik.
Ihr Stück „Über Kazuo Ohno“ führte in Japan zu einer Kontroverse.
Ohno wird als großer Meister angesehen, eine Legende, es gibt sogar Leute,
die ihn anbeten. Allgemein gilt: Man lernt von ihm, man kopiert ihn nicht.
Man würde auch nicht einfach Pina Bausch kopieren, oder? Genau das aber
habe ich gemacht. Dabei sind nicht Form und Technik im Butoh wichtig,
sondern die Seele. Ich aber kopierte die Form. Dafür wurde ich kritisiert.
Auf der anderen Seite bekam ich auch Anerkennung dafür, dass ich das Eis
gebrochen hatte.
Wenn Form und Technik unwichtig sind, es also vor allem um Improvisation
geht, was für einen Sinn hat es dann, wenn Sie Videoauszüge von
Aufführungen kopieren? Damit löschen Sie den Moment der Freiheit und der
Entscheidung aus. Zerstören Sie ein Bild dadurch, dass Sie es in einen
Rahmen setzen?
Zerstörung würde ich es nicht nennen. Ich habe es berührt. Niemand hat es
vor mir berührt. Und dieses Berühren ist, denke ich, bereits eine kritische
Geste. So viele Leute bewundern Ohno, ohne genau zu wissen, wie sein Tanz
eigentlich aussah. Viele Leute erinnern ihn aus den späten 90n und frühen
00er Jahren, als er auf die 100 zuging, sich sein körperlicher Zustand
schon verschlechtert hatte und er auf den Rollstuhl angewiesen war,
vielleicht auch bereits ein bisschen senil war. Aber kaum jemand erinnert
sich richtig daran, wie er in den früheren Jahren seiner Karriere getanzt
hat.
Sie repräsentieren die expressionistische Ästhetik auf der Bühne und nicht
die Revolte.
Das mache ich, weil Kazuo Ohnos bekannteste Werke eben so sind und das
Kopieren dieses Stils meine rebellische Geste ist.
Sie kommen nun mit Ihrem Stück vom Wiener ImPulsTanz-Festival, das eine
starke Verbindung zum Butoh pflegt, zum Berliner Tanz im August, wo in
diesem Jahr mehrere Vorstellungen programmiert sind, die ebenfalls einen
Bezug zum Butoh aufweisen. Tonangebende Tänzer wie Boris Charmatz, Xavier
Le Roy und Trajal Harrell haben Aspekte davon in ihrer Arbeit thematisiert.
Dabei war dieser Tanz nach einer großen Ausbreitung im Europa der 80er
danach fast nur noch auf Off-off-Bühnen präsent. Erleben wir derzeit ein
Revival? Ist es der Aspekt einer queeren Ästhetik, der dahinter stehen
könnte?
Ich würde nicht sagen, dass wir in Japan bereit für ein Revival sind. Und:
Hat dieser Tanz mit einem queeren Körper zu tun? Das würde ich bezweifeln.
Butoh als queeres Paradies – das ist ein europäischer Mythos! Genderpolitik
hat keine Rolle gespielt. Natürlich zelebriert der Butoh den männlichen
nackten Körper, aber ich habe nie jemanden gesehen, der sich für
Körperpolitiken eingesetzt hat. Darum habe ich mich früher nie dafür
interessiert. Als ich in den 1980ern nach Tokio kam, mein Coming-out hatte
und mich in der schwulen Szene auszukennen begann, war so gut wie niemand
mit Butoh beschäftigt, obwohl Hijikata sogar ein Theater benutzt hatte, das
in einem schwulen Bezirk lag.
Und der Transgender-Körper? Immerhin changiert Kazuo Ohnos Körper zwischen
männlicher und weiblicher Ausstrahlung.
Transgender oder Transvestit?
Ja, das ist die Frage.
Ich denke, Androgynität war durchaus ein populäres Motiv, aber sexuelle
Transition wurde meines Erachtens nicht angestrebt. Die Szene war sehr
chauvinistisch, eine Macho-Kultur. Hijikata und Ohno waren verheiratet,
hatten Kinder. Auch ist ziemlich bekannt, dass die Frauen innerhalb
konservativer Kulturen typische Rollen zugewiesen bekamen: putzen und
kochen. Das war in jedem Sektor der japanischen Gesellschaft der 1960er,
70er, 80er Jahre der Fall. Butoh benutzte zwar eine homoerotische Ästhetik,
seine Akteure fügten sich aber in den Mainstream. Trotzdem würde ich
spekulieren, dass Kazuo Ohno, der 1906, in einer absolut heroischen,
männlichen Zeit geboren wurde, unter dem Patriarchismus, der ihm anerzogen
wurde, unter dem Militarismus der Gesellschaft, gelitten hat und seine
Travestie sicher auch eine Möglichkeit war, sich daraus zu befreien. Nur
eben nicht real, sondern auf der Bühne.
„About Kazuo Ohno. Reliving the Butoh Diva’s Masterpiece“, 16./17./18. und
19.8.2017 beim Festival [1][Tanz im August] in Berlin
16 Aug 2017
## LINKS
[1] http://www.tanzimaugust.de/
## AUTOREN
Astrid Kaminski
## TAGS
Tanz
Japan
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schwerpunkt LGBTQIA
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