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# taz.de -- Erste queere Ehe Japans: Verheiratet bleiben verboten
> Elin Mccready und die Künstlerin Midori sind verheiratet. Seit Elins
> Geschlechtsangleichung gibt es nun ein Problem: In Japan ist ihre Ehe
> illegal.
Bild: „Wir tun niemandem weh“: das Paar Elin McCready und Midori in Japan
Elin Mccreadys 1,90 Meter sind ein Garant für permanente Aufmerksamkeit in
Tokio. Die blonde US-Amerikanerin läuft mit ihrem Sohn durch einen
Make-up-Store. Sie ist in ganz in schwarz gekleidet und spricht mit ihrem
Kind fließend japanisch. Eine Verkäuferin spricht das Paar an, auf das nun
alle Augen gerichtet sind. Lächelnd beugt sie sich zu dem kleinen Jungen
herab und fragt: „Weißt du, dass dein Vater genauso aussieht wie Michael
Jackson?“ Der Junge zieht die Augen zusammen und betrachtet die Frau
streng: „Das ist doch nicht mein Vater. Das ist meine Mutter!“
Elin lacht, als sie das erzählt. Sie sitzt am Esstisch in ihrem Haus in
Tokio, während wir skypen. Ihre Stimme klingt tief und etwas heiser.
1994 zog Elin wegen der bunten Musikszene Tokios als Austauschstudentin
nach Japan. Das Erlernen der Sprache war für die Texanerin keine große
Sache. Die echte Herausforderung in der neuen Heimat war die Künstlerin
Midori. Elin hatte sich in sie verliebt und musste sich ins Zeug legen, bis
sie erhört wurde.
Dann ging alles ziemlich schnell. Elin wollte in die USA zurück, um dort in
Linguistik zu promovieren, Midori wollte mitkommen. „Dafür brauchte sie
jedoch ein Visum. So haben wir 2000 geheiratet“, erzählt sie.
Nach einigen Jahren in den USA entschieden sich die beiden, nach Japan
zurückzukehren. Elin schaffte es, an der Aoyama Gakuin Universität in Tokio
Professorin für Linguistik zu werden. Sie und Midori bekamen drei Kinder,
gingen viel zusammen aus und waren glücklich. Aber immer wenn Elin alleine
war, litt sie, konnte es aber niemandem sagen. Damals war Elin noch nicht
Elin.
Sie hatte einen männlichen Namen und mit ihren markanten Gesichtszügen und
den breiten Schultern eine heteronormativ maskuline Erscheinung. Auf dem
Ausweis war sie ein Mann. Im Inneren war sie es nie gewesen. „Ich ahnte
schon als Kind, dass ich trans* bin. Aber das war in Texas in den 1980er
Jahren. Trans*sein war damals keine Option. Es kam mir gar nicht in den
Sinn, dass ich etwas unternehmen könnte“, erzählt sie. „Ich bin 45 Jahre
alt und habe mir jahrelang eingeredet, dass der ganze Ärger es nicht wert
ist und dass ich meine ‚Würde‘ behalten möchte. Aber vor fünf Jahren wur…
es dann unerträglich. Als ich mich entschied, zum ersten Mal zur
Hormonberatung zu gehen, wusste ich, dass das der einzige Weg sein würde.
Und zwar bis zum Schluss.“
## Zwangssterilisation per Gesetz
Die Transition, also die Phase der körperlichen und sozialen Angleichung an
das Geschlecht von trans*Menschen, ist überall schwierig. Doch in Japan ist
sie an menschenfeindliche Gesetze gebunden. Ein Sprecher von LLAN, einer
japanischen Organisation von Anwält*innen, die sich für die Rechte von
LGBTQI+ Menschen einsetzt, erklärt die juristische Situation: „Wenn man
sein Geschlecht in Japan anpassen will, muss man vier Bedingungen erfüllen.
Man muss sich eine Geschlechtsidentitätsstörung diagnostizieren lassen und
dann in Behandlung gehen. Man darf nicht verheiratet sein oder heiraten und
man darf keine minderjährigen Kinder haben.“ Vom schlimmsten Kriterium
berichtet Elin selbst. „Man muss sich sterilisieren lassen. Wenn also zum
Beispiel ein trans*Mann den Körper einer Frau hat und ihr Geschlecht ändern
will, muss er sich per Gesetz den Uterus entfernen lassen.“
Vor wenigen Monaten gab es in Japan eine Klage gegen die gesetzlich
vorgeschriebene Zwangssterilisation. Sie wurde abgeschmettert. Im Juni
schrieb die World Professional Association for Transgender Health (WPATH)
einen offenen Brief an die japanischen Ministerien für Gesundheit und
Justiz. Sie fordert eine Abschaffung dieser Kriterien. Elin konnte dank
ihrer US-amerikanischen Staatsangehörigkeit einige ihrer Papiere ändern,
ohne sich den grausamen Vorschriften unterwerfen zu müssen.
Sowohl auf ihrem US-Reisepass als auch auf ihrer japanischen residence card
ließ sich das Geschlecht ohne Probleme anpassen. Aufmerksam wurden die
Behörden erst durch Elins Ehe zu Midori, die mit ihrer Partnerin
verheiratet bleiben will. In Japan ist die gleichgeschlechtliche Ehe jedoch
nicht legal.
„Die Beamten fragten: Bist du geschieden? Und ich sagte nein. Dann
schickten sie meinen Fall zur General Affairs Abteilung der Lokalregierung
von Tokio. Die wiederum gaben den Fall an das Justizministerium, wo er seit
6 Monaten liegt.“ Die Akten von Elin sind nun widersprüchlich. Auf manchen
Dokumenten ist sie weiblich, auf anderen männlich.
Der Fall von Elin und Midori ist einzigartig. Im Moment sind sie das erste
queere Ehepaar Japans – und niemand von den Autoritäten weiß, wie mit der
Sache umgegangen werden soll. Als Elin beruflich nach Hongkong fliegen
will, bittet sie die Behörden erneut um eine Entscheidung. Sie erfährt,
dass sie sich dazu entschlossen haben, ihren Namen und ihr Geschlecht
anzupassen, aber: Die Ehe soll annulliert werden.
Seitdem kämpft das Paar um seine Legitimität. Und um Elins
Selbstbestimmung. „Die Regierung sieht in uns ein bürokratisches Problem,
keine Menschen. Dabei wollen wir einfach nur verheiratet bleiben.“ Auch die
Kinder des Paares akzeptieren die Entscheidung ihrer zweiten Mutter. „Wir
tun niemandem weh.“
Die Beamten treten immer wieder mit widersprüchlichen Vorschlägen an die
Familie heran: Mal möchten sie die Ehe aufheben, mal Elins
Geschlechtsanpassung auf den Papieren unmöglich machen: Das wäre für sie
die bequemste Lösung.
## Letzter Ausweg: Klagen und Gegenparties
Elin muss sich keine Sorgen machen, dass ihr japanisches Visum verliert.
Sie hat eine permanente Aufenthaltserlaubnis und auch ihr Arbeitgeber, die
Universität, hat keine Probleme mit ihrer Geschlechtsanpassung. Aber mit
der Annullierung der Ehe würde Elins Familie aus der Krankenversicherung
rausfliegen und Steuervorteile, also auch viel Geld verlieren. Außerdem
könnte sich das Paar nicht mehr einfach so im Krankenhaus besuchen und
viele andere Privilegien verlieren, die an die Ehe geknüpft sind.
Auf die Frage, ob sie unter diesen Umständen jemals daran gedacht hätte,
auf die Anpassung ihrer japanischen Papiere zu verzichten, antwortet Elin
spöttisch, wie immer, wenn sie etwas Persönliches gefragt wird: „Wer, wenn
nicht ich, kann denn für diese Sache kämpfen? Ich kenne andere
trans*Menschen in Tokio, die nicht meine Privilegien haben. Sie haben Angst
vor der Sterilisation oder davor, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlieren.
Sie müssen leise sein. Ich aber nicht.“
Die Professorin mobilisierte über ihren Twitter Account Unterstützer und
die Medien: Buzzfeed Japan kontaktierte die Regierung, worauf das
Justizministerium mitteilte, dass es noch nichts von diesem Verfahren
gehört habe. Auf die Anfrage der taz hat das Justizministerium bis heute
nicht reagiert. Man kann nicht sagen, dass Elin um ihre Zukunft bangt,
dafür ist sie zu gelassen. Aber sie ist genervt. Jede Woche geht sie
persönlich zum Amt, nur um wieder auf später vertröstet zu werden.
Sollte die Ehe der beiden wirklich annulliert werden, oder sollte ihr es
unmöglich gemacht werden, ihr Geschlecht auf allen Dokumenten anzupassen,
möchte sie klagen. Aber sie rechnet sich angesichts des kürzlich
gescheiterten Prozesses am Verfassungsgericht keine hohen Chancen aus. Im
Fall eines langen und verlorenen Gerichtsprozesses denkt sie darüber nach,
Japan zu verlassen. Die Regierung unter Trump nimmt ihr jedoch jede
Motivation, in ihre erste Heimat zurückzukehren.
„Vielleicht gehen wir dann nach Europa. Aber bis dahin gibt es hier noch
viel zu tun.“ Nachdem sie mit Midori und einer Gruppe Freundinnen im Mai
auf eine Lesbenparty in einer Tokioter Bar gehen wollte, wurde Elin von der
trans*phoben Besitzerin persönlich herausgeworfen und beleidigt, da sie
keine „echte Frau“ sei. Zusammen mit ihrer Frau und Freunden organisiert
Elin nun eine Reihe von Gegenveranstaltungen, „Counter-Parties“, die als
Safer Space für Queere dienen sollen.
Elin ist ziemlich aufgeregt, als sie darüber spricht. Sie legt selbst als
DJ auf. „Ich liebe Jungle, Midori ist eine House- und Techno-Liebhaberin,
aber wir feiern auch beide Reggae. Alles was Spaß macht, wird gespielt!“ Um
sich warm zu spielen, legt sie am Vorabend der ersten Party als Gast in der
Radioshow eines Freundes auf. Einer der Songs, verrät sie, wird „Good to
love“ von der britischen Musikerin FKA Twigs sein.
3 Aug 2019
## AUTOREN
Morgane Llanque
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Japan
Schwerpunkt LGBTQIA
Transgender
Schwerpunkt LGBTQIA
Tanz
Ehe
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