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# taz.de -- Überlastung bei der Polizei: Verdächtig gute Jobs
> Gewerkschaften beklagen regelmäßig enorme Überstunden bei der Polizei.
> Dabei ist die tatsächliche Mehrarbeit weit weniger dramatisch, als es
> scheint.
Bild: In der Summe klingt die Zahl der Überstunden bei der Polizei imposant �…
Berlin taz | Es geht ein Gespenst um in deutschen Sicherheitsbehörden. Das
Gespenst einer überarbeiteten Polizei, die rund um die Uhr Überstunden
macht und trotzdem mit ihren Aufgaben kaum noch hinterherkommt. Diesen
Eindruck bekommt man, folgt man Schilderungen der Polizeigewerkschaften –
und zahlreichen Presseberichten über dramatisch anmutende
Überstundenzahlen.
„22 Millionen Überstunden bei der Polizei“ schrieb die Neue Osnabrücker
Zeitung (NOZ) im Januar 2019 und berief sich auf Angaben der Gewerkschaft
der Polizei (GdP). Als wesentlichen Grund für die vielen Überstunden nannte
sie permanente Dauereinsätze bei polizeilichen Großlagen. Der Vorsitzende
der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt nutzte die Meldung
über die 22 Millionen Überstunden zugleich, um an die Regierung zu
appellieren, „der Staat wäre gut beraten, kräftig in die Polizei zu
investieren“. Bundesweit griffen Medien die Meldung der NOZ auf.
„Polizisten leisten 22 Millionen Überstunden!“ (Tag24), „Wieder mehr als…
Millionen Überstunden“ (MoPo) oder „Polizisten haben 2018 rund 22 Millionen
Überstunden angesammelt“ (Stern), lauteten die Schlagzeilen.
Doch was bedeutet diese Zahl genau? Entgegen dem Eindruck, den einige
Überschriften suggerieren, geht es nicht nur um Mehrarbeit, die im Jahr
2018 geleistet wurde. Es geht um über Jahre hinweg aufgelaufene
Überstunden, die sich zudem auf rund 260.000 Polizeibeamte verteilen.
Durchschnittlich hat ein Polizist also knapp 85 Überstunden angesammelt.
Die GdP selbst hält eine Pro-Kopf-Berechnung für wenig sinnvoll, weil die
Last unter den Kollegen unterschiedlich verteilt sei. Dessen ungeachtet
zeigt der Vergleich mit den Vorjahren, dass zumindest in der Gesamtsicht
keineswegs unzählige neue Überstunden anfallen. Schon 2018 und 2017 wurde
von der GdP vermeldet, dass Polizisten insgesamt 22 Millionen Stunden auf
dem Überstundenkonto haben. Ein Jahr zuvor lag die Gesamtsumme bei rund 20
Millionen, also durchschnittlich sieben Stunden weniger pro Beamter.
## Viele Überstunden werden ausgeglichen
Zwar muss man im direkten Vergleich der Zahlen eine gewisse Schwankung
aufgrund von Neueinstellungen und Pensionierungen berücksichtigen. Auch
gibt es offenbar tatsächlich ein Problem beim Abbau alter Überstunden.
Insgesamt scheint die Polizei aber nicht permanent neue Überstunden in
besorgniserregender Höhe zu sammeln. Großeinsätze wie Demonstrationen,
Fußballspiele oder der G20-Gipfel in Hamburg führen durchaus zu Mehrarbeit
und sind für die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten ohne Frage
ermüdend, dafür erhalten sie jedoch Freizeitausgleich. Sprich: An anderen
Tagen werden die angefallenen Überstunden abgebummelt.
Noch deutlicher wird die Situation, schaut man sich die Zahlen der
einzelnen Landespolizeien an. In Sachsen fragt der Landtagsabgeordnete
Enrico Stange (Die Linke) monatlich den aktuellen Überstundenstand der
Polizei ab. Vergleicht man die Zahlen für das Jahr 2018, zeigt sich, dass
Leipziger Polizeibeamte, die von der Leipziger Volkszeitung kürzlich als
„Sachsens Überstunden-Könige“ bezeichnet wurden, innerhalb von zwölf
Monaten durchschnittlich lediglich 40 Minuten Mehrarbeit angesammelt haben.
Anfang April wies der MDR erstmals auf diesen Umstand hin. Das Fazit dort:
Verglichen mit dem Durchschnitt der Arbeitnehmer in Deutschland stehen
Polizisten noch gut da. Laut einer Studie der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) leisten Arbeitnehmer in Deutschland
durchschnittlich rund vier Überstunden pro Woche, also mehr als 200
Überstunden pro Jahr. Regelungen in Arbeitsverträgen, nach denen eine
gewisse Anzahl von Überstunden bereits mit dem Gehalt abgegolten ist, sind
mittlerweile in vielen Branchen verbreitet.
Auch in anderen Bundesländern wirkt die Situation bei der Polizei
keineswegs dramatisch. In Thüringen wurden 2017 laut Auskunft des
Innenministeriums insgesamt 36 Überstunden angesammelt, verteilt auf ganze
zwei Beamte. In Sachsen-Anhalt machten Polizeibeamte im selben Jahr zwar
195.322 Überstunden, zugleich gab es aber an anderen Tagen 155.721 Stunden
als Ausgleich frei. Verteilt auf die rund 7.000 Bediensteten ergibt sich
ein Schnitt von weniger als 6 tatsächlichen Überstunden im gesamten Jahr.
Und in Hamburg wurden im letzten Jahr sogar 55.000 Überstunden abgebaut.
„Die Mehrarbeitsstunden halten sich im normalen einsatzbedingten
Schwankungsbereich“, heißt es in einer Antwort auf eine kleine Anfrage.
11 Jun 2019
## AUTOREN
Aiko Kempen
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