| # taz.de -- Platzeck über die Wiedervereinigung: „Wir wollen mehr Begegnung�… | |
| > Wie soll man etwas feiern, das viele Deutsche nicht für feierwürdig | |
| > halten? Der frühere SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck über das Jubiläum | |
| > der Wiedervereinigung. | |
| Bild: Ein Jubiläum zum Feiern, aber auch zum Nachdenken: Mauerfall in Berlin i… | |
| taz: Herr Platzeck, Sie sind Vorsitzender des Gremiums, das im Auftrag der | |
| Bundesregierung die Feierlichkeiten zu 30 Jahren Mauerfall und | |
| Wiedervereinigung plant. Erst im August legen Sie die konkreten Pläne vor. | |
| Auf den letzten Drücker, oder? | |
| Matthias Platzeck: Sinnvoll wäre es zweifelsohne gewesen, wenn die | |
| Bundesregierung die Kommission schon vor einem Jahr eingesetzt hätte. Aber | |
| nun ist es, wie es ist. Außerdem organisieren wir ja nicht nur die | |
| Feierlichkeiten. Wir sollen und wollen vor allem alles, was in diesem Jahr | |
| an Erkenntnissen gewonnen wird, auswerten, verdichten und der | |
| Bundesregierung zur Verfügung stellen, um daraus Regierungshandeln | |
| abzuleiten. | |
| Ist es das, was die Leute wollen: schöne Reden und ganz viel Lob? | |
| Nein. Ein roter Teppich, zwei Buchsbäumchen, dazwischen ein Rednerpult und | |
| ein Helmut-Kohl-Bild – darauf warten die Leute sicher nicht. Wir wollen | |
| deutlich mehr Begegnung, Debatte und Gespräch. Denn im dreißigsten Jahr | |
| nach der Wende müssen wir im Westen Deutschlands eine zunehmende | |
| Genervtheit gegenüber dem Osten konstatieren, gepaart mit Desinteresse. Die | |
| Rede ist: Wir haben so viel gezahlt, und die reagieren immer noch so | |
| komisch. | |
| Und im Osten? | |
| In Ostdeutschland spüren wir auch wieder eine zunehmende Distanz zu den | |
| Westdeutschen. Das hat auch Ursachen, über die wir noch reden sollten. Aber | |
| wenn so ein Jubiläum etwas leisten kann, dann vielleicht, dass wir | |
| anfangen, unsere eigenen Vorurteile etwas in Zweifel zu ziehen, uns wieder | |
| mehr füreinander zu interessieren. Und eines noch, ich sage das | |
| ausdrücklich im Konjunktiv: Vielleicht kriegen wir etwas hin, was der | |
| Bundespräsident vor einiger Zeit gesagt hat. Wir haben im Osten | |
| Deutschlands einen Umbruch erlebt, den in seiner Schärfe und Tiefe keine | |
| Generation im Westen seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Und die | |
| Geschichte dieses Umbruchs ist überhaupt noch nicht in die deutsche | |
| Geschichtsschreibung eingeflossen. Es weiß kaum jemand davon, was nach 1989 | |
| im Osten passiert ist. | |
| Die Ostdeutschen wissen durchaus davon. | |
| Er hat da über die Westdeutschen gesprochen. Diese Geschichte muss also | |
| noch erzählt werden. Wenn man davon mehr weiß, fragt man sich vielleicht | |
| nicht ständig, wieso die Reaktionsmuster im Osten so sind, wie sie sind. | |
| Was meinen Sie konkret? | |
| Zum Beispiel, dass es im Osten in den 1990ern eine komplette | |
| Deindustrialisierung gegeben hat. Und dass es da nicht um zehntausend | |
| Arbeitsplätze ging, sondern um hunderttausende in kurzer Zeit. Dass es | |
| damals nicht um zunehmende, sondern um explodierende Arbeitslosigkeit auf | |
| 30, 40 Prozent ging. | |
| In einem Zeit-Interview haben Sie gesagt: „1989/90 war kein Umbruch, das | |
| war ein Zusammenbruch.“ | |
| Das bezog sich auf die Jahre 1991 bis 94. | |
| Also, wenn selbst Sie die Ereignisse so betrachten: Warum sollte man die | |
| feiern? | |
| Wir sollten durch die geschilderten Entwicklungen nach 1990 mit all ihren | |
| Betriebsstilllegungen, Entlassungen, einschneidenden Veränderungen des | |
| gesamten sozialen Lebens nie vergessen, es hat 1989/90 eine friedliche | |
| Revolution in der DDR gegeben und die hatte gravierende Ursachen. Eine | |
| Diktatur wurde gewaltfrei beendet durch mutige Bürger. Die Menschen wollten | |
| Selbstbestimmung und Freiheit, und vor allem sahen sie für sich und ihre | |
| Kinder mehrheitlich in ihrem Land DDR keine Zukunft und Perspektive mehr. | |
| Dass viele Betriebe marode und viele Städte am Zerfallen waren, sollten wir | |
| uns heute nicht schönreden. | |
| Die Gräben zwischen Ost und West sind aber so tief wie lange nicht. | |
| Ja. Ich kenne ja diese Sprüche, man sollte die Sachsen nach Polen abgeben | |
| oder die Mauer wieder aufbauen. Aber gerade deshalb wollen wir den Versuch | |
| machen, dass man bei allem nicht vergisst, dass das, was nach dem | |
| Zusammenbruch geleistet wurde, auch eigentlich etwas Phänomenales, etwas | |
| Großes ist. Das wollen wir erzählen, ohne etwas zu beschönigen oder | |
| kleinzureden. Leben ist immer konkret. Und wer damals arbeitslos wurde und | |
| bis heute gerade mal Mindestlohn kriegt, dem kannst du nicht erzählen, dass | |
| die deutsche Einheit eine Erfolgsgeschichte ist. | |
| Stattdessen greifen viele Ostalgiker zurück auf ihre Erfahrung in einer | |
| kommoden Diktatur … | |
| … das ist doch eine normale Reaktion. | |
| Finden Sie das normal? | |
| Wir sollten versuchen, nüchtern bei der Betrachtung gesellschaftlicher | |
| Vorgänge zu bleiben. Wir haben im Osten erst diesen industriellen | |
| Zusammenbruch gehabt, die völlige Umstellung unseres gesamten Lebens – bis | |
| auf die vier Jahreszeiten hat sich alles geändert, wie es immer so schön | |
| heißt. Dann hatten wir nach der Jahrtausendwende eine ganz leichte | |
| Erholungsphase, und als die Stimmung sich gerade aufhellte, kam die Finanz- | |
| und Wirtschaftskrise. Als die in ihren Folgen wenigstens abgeschwächt wurde | |
| und die Leute dachten, sie hätten wieder ein bisschen Boden unter den | |
| Füßen, kam die Flüchtlingswelle. Die Leute hatten das Gefühl, der Staat hat | |
| da was nicht im Griff. Wenn Sie drei solche Entwicklungsetappen in einer | |
| Generation durchleben, dann darf man sich nicht wundern, wenn ein paar | |
| Zweifel – sage ich mal vorsichtig – am vorherrschenden Organisationssystem | |
| aufkommen. | |
| Also alles halb so wild? | |
| Nein. Aber wissen Sie, ich lege durchaus auch Wert auf die Feststellung, | |
| dass im Osten eben nicht alle rechts außen sind oder so wählen, wie das | |
| manche Wahlgrafiken nahelegen. Sondern dass auch hier oft 70, 80 und mehr | |
| Prozent der Leute sich auch bei Wahlen zu einer offenen, toleranten und | |
| demokratischen Gesellschaft bekennen. | |
| Dieses Argument wird seit Jahren bemüht. | |
| Es bleibt aber wahr … | |
| … während der Zuspruch für die rechten Parteien im Osten immer weiter | |
| zunimmt. | |
| Ich bin der Letzte, der da was schönreden will. Mir macht dabei noch ein | |
| weiterer Punkt große Sorgen: Wir hatten in diesem Land schon immer eine | |
| heftige politische Debatte. Aber bei aller damit zusammenhängenden | |
| Polarisierung gab es immer eine gemeinsame Grundlage. Im Ernstfall konnte | |
| man auf dieser Grundlage miteinander reden, Koalitionen bilden und | |
| zeitweise gemeinsam handeln. Diesen für jede demokratische Gesellschaft | |
| überlebenswichtigen Grundkonsens sehe ich bei den neuen Polarisierungen in | |
| unserer Gesellschaft schwinden. | |
| Wo war denn die Politik, etwa in Vorpommern, wo heute die Rechten ganze | |
| Regionen dominieren und ihre eigenen wirtschaftlichen und kulturellen Räume | |
| schaffen konnten? Zu Wahlkampfzeiten rückte da die SPD-Führung an – und | |
| ward hernach nicht mehr gesehen. | |
| Regen, Hagel oder Schnee, Schuld ist immer die SPD – wenn ich hier mal | |
| meine Partei verteidigen darf: Wenn im öffentlichen Diskurs über Jahrzehnte | |
| Parteien, vorsichtig gesagt, nicht gerade als Höhepunkt demokratischer | |
| Meinungsbildung beschrieben werden, wenn auch oft Häme ausgeschüttet wird, | |
| bleibt es nicht aus, dass immer weniger Leute in die Parteien gehen. Das | |
| erhöht die Handlungsfähigkeit von Parteien nicht und macht auch die | |
| Bestenauslese nicht einfacher. | |
| Ach so, die Medien sind schuld. | |
| Nein. So einfach mache ich es mir nicht. Aber die Darstellung von Partei- | |
| und Parteiarbeit gehört halt dazu. Wo erfahre ich denn bei allen | |
| berechtigten Würdigungen des Ehrenamtes in unserer Gesellschaft, dass auch | |
| über 90 Prozent der Parteimitglieder ehrenamtlich tätig sind. Dass sie sich | |
| in Gremien und Ausschüssen nächtelang den Hintern breit sitzen, um zum | |
| Beispiel gute Lösungen für die Menschen in ihrer Gemeinde zu finden. Die | |
| herkömmlichen Volksparteien haben immer versucht, auf schwierige, komplexe | |
| Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung adäquate Antworten zu finden. Das | |
| ist mühsam und oft wenig erotisch, außer für jene, die den Kompromiss | |
| lieben. Diese Antworten sind mal besser, mal schlechter. Aber allemal | |
| zielführender, als wenn ich mich dieser Mühe gar nicht unterziehe und | |
| vorgaukle, ich könne alle Fragen des Lebens mit einigen Parolen lösen. | |
| Hoffentlich verlernen wir nicht, dass immer der Kompromiss die Seele | |
| friedlichen und erfolgreichen Zusammenlebens ist. | |
| In Ihrem ehemaligen Wahlkreis in der Uckermark erhielt die AfD bei der | |
| Kreistagswahl Ende Mai 12 Prozent, Ihre SPD, die seit 1990 Brandenburg | |
| regiert, 14 Prozent. Spüren Sie nicht manchmal etwas wie Vergeblichkeit? | |
| Nee. Ein Vergeblichkeitsgefühl könnte nur aufkommen, wenn man denkt, | |
| Demokratie sei ein Zustand. Das ist Demokratie aber nicht. Die ist ein ganz | |
| fragiles Gebilde und damit eine tägliche Aufgabe. Der Unterschied zwischen | |
| Diktatur und Demokratie ist doch: Diktatur ist heilfroh, wenn keiner | |
| mitmacht. Ruhe im Kasten, Chef kann in Ruhe regieren. Aber die Demokratie, | |
| die geht kaputt, wenn keiner mehr mitmacht. Und gerade sind wir in einer | |
| Phase, wo zu wenige aktiv mitmachen. | |
| Sie sind ein tapferer Sozialdemokrat. | |
| Nö, ich bin meistens ein fröhlicher Mensch. Das müssen Sie aber als | |
| Sozialdemokrat auch sein, gerade im Moment … | |
| Wie erklären Sie sich, dass gerade in der ehemaligen DDR, einem Land, das | |
| sich als antifaschistisch verstand, so viele Menschen rechts bis | |
| rechtsextrem wählen? | |
| Wir werden nie den einen Punkt finden, an dem man ansetzen kann, und wenn | |
| wir nur den fleißig bearbeiten, hilft das. Ich will auch nichts | |
| entschuldigen. Als evangelischer Christ bin ich außerdem der Meinung, dass | |
| jeder Mensch die Pflicht hat, sich am Riemen zu reißen und ein paar | |
| Grundbedingungen des menschlichen Miteinanders zu erfüllen. Aber natürlich | |
| hat Wahlverhalten Ursachen. Die oben geschilderten Entwicklungen haben bei | |
| Menschen im Osten Spuren hinterlassen. | |
| Finden Sie wirklich, dass die Ostdeutschen alle traumatisiert sind? | |
| Natürlich nicht, aber auch nicht wenige. Schauen Sie, wenn ich im Osten mit | |
| den Leuten rede, kommt zum Beispiel immer wieder das Thema Einsamkeit zur | |
| Sprache. In der Lausitz oder Vorpommern oder der Altmark höre ich diese | |
| Geschichte: Durch meine unterbrochene Arbeitsbiografie kriege ich ’ne | |
| kleine Rente, meine zwei Kinder sind auf Arbeitssuche weit weg in den | |
| Westen gegangen und kommen nur noch Ostern und Weihnachten. Diese Leute | |
| sind mit wenig Geld einsam, alleine. Solche Geschichten gibt es natürlich | |
| auch im Westen – aber im Osten ungleich mehr. Und wer ist denn damals | |
| gegangen? Die, die es sich zugetraut haben. Gut ausgebildet, fit … | |
| … gern die Frauen. | |
| Stimmt auch, leider – deshalb sitzen heute noch etliche Männer allein unter | |
| der Dorflinde … Aber im Ernst, wenn eine Gesellschaft solch einen Aderlass | |
| hinter sich hat, wirkt sich das aus. Das sind Erfahrungen, die machen | |
| ängstlicher und unsicherer. | |
| Vor dem Hintergrund dieser Probleme stellt sich die Frage, wie Sie | |
| vermeiden wollen, dass im Rahmen des Festjahres zur deutschen | |
| Wiedervereinigung überwiegend rumgeopfert wird. | |
| Zum Beispiel damit, dass wir unsere Wortwahl überprüfen. Menschen haben ein | |
| Recht darauf, dass bestimmte Sachverhalte klar und deutlich angesprochen | |
| werden. Allerdings sollte man dabei den Pfad der Wahrheit nicht verlassen. | |
| Es macht keinen Sinn, sich Dinge zurechtzureden. Zweiter Punkt: Wenn man | |
| sich mal vergegenwärtigt, was – durchaus mit Entbehrungen – am Ende | |
| entstanden ist, was für ein Gemeinwesen, dann ist das sicher nicht ideal. | |
| Aber das Leben spielt sich in Relationen ab, und um unser Gemeinwesen | |
| beneidet uns mehr als die halbe Welt. Daraus sollten wir Mut und Kraft | |
| saugen, wenn wir die nächsten 20 Jahre überstehen wollen. Die werden | |
| nämlich schwierig. Aber das wird sicher nicht gelingen, wenn wir unter den | |
| Teppich kehren, was Leute fühlen, was sie erlebt haben. | |
| Sie selbst haben bekanntlich als Volkskammerabgeordneter von Bündnis 90 | |
| gegen die Wiedervereinigung gestimmt. Auch deshalb wird jetzt Ihre Berufung | |
| zum Kommissionsvorsitzenden kritisiert. | |
| Wissen Sie, wir sind im März 1990 mit der Wahlaussage „Kein Anschluss unter | |
| dieser Nummer“ angetreten. Damit war der Artikel 23 gemeint: kein Beitritt | |
| der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Wir wollten Artikel 146: | |
| Wiedervereinigung erst nach Inkrafttreten einer gesamtdeutschen Verfassung | |
| durch Volksbefragung. Ich war also mit meiner Nichtzustimmung zum | |
| Einigungsvertrag nicht die Ausnahme in meiner Fraktion, eher die Regel. | |
| Deshalb wundere ich mich über manche Reaktion heute, 30 Jahre später. | |
| Nun organisieren Sie das Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung, der Sie | |
| vor 30 Jahren nicht zugestimmt haben. Passt das für Sie zusammen? | |
| Es ging nicht um die Wiedervereinigung, sondern um den Weg dorthin. | |
| Ansonsten habe ich mich ja in den zurückliegenden 30 Jahren an der | |
| Gestaltung von Politik im Osten intensiv beteiligt. Ich durfte unter | |
| anderem Bürgermeister meiner Heimatstadt Potsdam sein und Ministerpräsident | |
| meines Heimatlandes Brandenburg. Das ist schon viel für ein kleines Leben. | |
| Als Kommissionsvorsitzender sind Sie jetzt eine Art hauptamtlicher | |
| Ossi-Erklärer. Sie gelten auch als Russland-Versteher, weil Sie das | |
| Deutsch-Russische Forum leiten. Beides nicht vergnügungsteuerpflichtig, | |
| oder? | |
| Nö. Aber ich mache beides trotzdem sehr gerne. Als ich nach meinem | |
| Ausscheiden aus der Politik gefragt wurde, ob ich für den Vorstand des | |
| Deutsch-Russischen Forums kandidiere, habe ich gern Ja gesagt. Denn es gilt | |
| der alte Satz von Egon Bahr: Ohne Russland wird es keinen Frieden geben | |
| auf diesem Kontinent. | |
| Das klingt nach einer Mission. | |
| Das klingt vielleicht pathetisch, aber ich empfinde es als großes Glück, | |
| dass ich meine ganzen 65 Jahre im Frieden leben konnte, und ich möchte, | |
| dass unsere Kinder und Enkel das auch können. Im Moment kümmern sich | |
| bekanntlich nicht sehr viele Menschen um das Verhältnis zu Russland. Die | |
| paar, die das tun, kenne ich fast alle persönlich. Ich finde aber, wir | |
| müssen uns darum kümmern. Es muss uns auch nicht gefallen, was in Russland | |
| politisch passiert, wir müssen das nicht gut finden. Aber es ist das größte | |
| Land der Erde, die zweitgrößte Atommacht, und der Bahr-Satz hat Bestand. | |
| Genau genommen hat der Verein derzeit etwas mehr als 400 Mitglieder, er | |
| gilt aber als Platzecks Projekt und wird auch deshalb oft von Unionsseite | |
| kritisiert. Warum machen Sie trotzdem weiter? | |
| Wenn uns gar keiner kritisieren würde, würden wir was falsch machen. Wir | |
| bemühen uns vor allem um zivilgesellschaftlichen Austausch. Wir | |
| organisieren den größten Sprachwettbewerb an Schulen, machen Konferenzen, | |
| Journalistenaustausche, Young-Leader-Seminare, Städtepartnerschaften. Wir | |
| bauen Brücken zwischen unseren Ländern und bemühen uns, dass andere nicht | |
| abgebrochen werden. Im Grunde ist das alles politisch gar nicht so | |
| spektakulär, wie es von einigen wahrgenommen wird. | |
| Zu DDR-Zeiten waren die Russen nicht eben beliebt. Die deutsch-sowjetische | |
| Freundschaft war eine Pflichtveranstaltung. Wie erklären Sie sich die | |
| zunehmende Sympathie der Ostdeutschen für Putins Russland: Ist das ein | |
| antiwestlicher Impuls? | |
| Dass es in Ost und West eine unterschiedliche Russland-Rezeption gibt, hat | |
| historische Gründe. Wovor habe ich Angst? Vor dem, was ich nicht kenne. | |
| Viele ältere Ostdeutsche kennen aber Russland auf irgendeine Weise, sie | |
| waren dort, haben die Sprache gelernt, hatten Kollegen. Und wo mehr Wissen | |
| ist, ist meist weniger Angst. Deshalb ist das hier anders. Auch wenn über | |
| die Russen geschimpft wurde, vielen haben deren Soldaten am Ende doch eher | |
| leidgetan, die hier unter schlechten Bedingungen stationiert waren. | |
| Also kein antiwestlicher Impuls? | |
| Nicht so schnell. Wenn nach Umfragen 50 Prozent der Ostdeutschen das Gefühl | |
| von Zweitklassigkeit haben, entsteht dadurch möglicherweise so was wie eine | |
| östliche Solidarität, ein Stück Nähe. Nach dem Motto: Mit denen wird auch | |
| nicht richtig umgegangen. | |
| Wenn die große Einheitsparty 2020 zu Ende geht, was sollte Ihre Kommission | |
| dann bestenfalls erreicht haben? | |
| Erstens: dass wir mehr voneinander wissen – in Ost und West. Zweitens: dass | |
| wir ein Stück frohgemuter in die nächsten Jahre gehen, weil wir uns | |
| vergewissert haben, dass Unwahrscheinliches geleistet wurde. Und zwar | |
| friedlich. Und drittens wünsche ich mir, dass wir uns als Land wieder mehr | |
| in den Kontext zu unseren Nachbarn setzen. Ohne die anderen geht es | |
| bekanntlich nicht. Ohne die Nachbarn oder gegen sie wird es für uns kein | |
| schönes Leben geben. Oder es führt gar zum Krieg. Dessen sollten wir uns | |
| bewusst sein. | |
| 18 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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