# taz.de -- Ostrenten und Altersarmut: Die Pech-gehabt-Frauen | |
> In der DDR geschiedene Frauen leiden unter fehlender Gleichstellung bei | |
> der Rente. Der Bundestag handelt nicht – nun hat die AfD das Thema | |
> entdeckt. | |
Bild: Textiilindustrie in der DDR, 1988: Mitarbeiterin im VEB Lautex Zittau | |
Berlin taz | An diesem Freitag ist es mal wieder so weit. Der Bundestag in | |
Berlin diskutiert vier Anträge der Opposition zum Thema Ostrenten. Es geht | |
darin um Altersarmut, Lebensleistungen, Alterssicherung für bestimmte | |
Berufsgruppen sowie in der DDR geschiedene Frauen. Es geht um gutes Leben | |
im Alter, um das mühsame Ringen um Gerechtigkeit einer mittlerweile | |
hochbetagten Bevölkerungsgruppe aus dem Osten. Reden werden gehalten, warme | |
Worte wie Katzengold verteilt – doch am Ende werden die Abgeordneten der | |
Großen Koalition mehrheitlich dem Vorschlag des Haushaltsausschusses folgen | |
und alle Anträge ablehnen. | |
Keine rentenrechtliche Entlastung des Ostens, keine Gleichstellung der in | |
der DDR geschiedenen Frauen mit ihren männlichen Altersgenossen. Wenn es | |
gut läuft, könnte es demnächst einen Härtefallfonds geben für jene | |
Rentnerinnen, die am Existenzminimum leben, obwohl sie ihr Leben lang | |
gearbeitet haben. So steht es jedenfalls auf Seite 93 im Koalitionsvertrag. | |
Zu Hause in Chemnitz, Gera oder Schwedt können hochbetagte Frauen und | |
Männer im Parlamentsfernsehen dabei zuschauen, wie das gesamtdeutsche | |
Parlament ihnen mal wieder zeigt, wie egal sie ihm sind. Ostthemen sind im | |
politischen Berlin nun mal keine Gewinnerthemen. Doch im | |
Superlandtagswahljahr sind fruchtlose Parlamentsdebatten wie diese ein | |
weiterer Grund für viele ostdeutsche RentnerInnen, sich noch weiter von | |
ihren politischen VertreterInnen abzuwenden. | |
Wenn es eine Partei in der Regierung gibt, die sich zuständig fühlen sollte | |
für die sozialen Belange der ostdeutschen Rentner, dann wäre das die SPD. | |
Von den zurückliegenden 20 Jahren ist sie 15 in Regierungsverantwortung. | |
Doch Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der | |
SozialdemokratInnen, antwortet auf die Frage, ob die noch lebenden etwa | |
250.000 benachteiligten in der DDR geschiedenen Frauen auf Unterstützung | |
durch seine SPD hoffen dürfen: „Ich habe denen nie was vorgemacht. Das | |
Recht, das zu DDR-Zeiten gegolten hat, kann nachträglich nicht durch | |
Gesetzgebung geheilt werden. Deswegen lehnen wir das ab.“ | |
Das Recht, von dem Carsten Schneider spricht, ist kompliziert und sorgt | |
seit einem Vierteljahrhundert für ein nagendes Gefühl der Ungerechtigkeit | |
im Osten. DDR-Frauen, die wegen der Kindererziehung zeitweise weniger | |
arbeiteten, konnten mit einem symbolischen Betrag von monatlich drei Mark | |
ihre spätere volle Rente absichern. Der Betrag war deshalb so niedrig, weil | |
für die Höhe der später auszuzahlenden Rente ohnehin nur die letzten 20 | |
Arbeitsjahre berücksichtigt wurden, in denen die Löhne und Gehälter am | |
höchsten waren. Jüngere Frauen sollten sich also keine Sorgen machen | |
müssen, wie sie Familie, Beruf und Weiterbildung unter einen Hut kriegen – | |
am Geld für die Rente sollte es nicht scheitern. Auch Ausbildungsjahre oder | |
Teilzeitphasen wurden als volle Rentenjahre angerechnet. | |
## Sogar die UNO gab ihnen recht | |
Einen Versorgungsausgleich jedoch, wie ihn das westdeutsche Scheidungsrecht | |
vorsah, kannte die DDR nicht. Man ließ sich scheiden und ging fortan als | |
ökonomisch unabhängige, ihr Einkommen selbst erarbeitende Person durchs | |
Leben. Es herrschte ja Vollbeschäftigung. 1989, im letzten Jahr der DDR, | |
lag die Frauenerwerbsquote bei neunzig Prozent. | |
Mit der Wiedervereinigung änderte sich das. Der eilig von den Regierungen | |
Helmut Kohl und Lothar de Maizière ausgehandelte Einigungsvertrag sah vor, | |
dass für Frauen aus dem Osten das West-Rentenrecht erst ab dem 1. Januar | |
1997 gelten soll. Bis dahin sollte ein Gesetz erarbeitet und beschlossen | |
werden, das die Anwartschaften der in der DDR-geschiedenen Frauen regelt. | |
Ein solches Gesetz fehlt bis heute. | |
Statt dessen wurden auch die frühen Kindererziehungsjahre als Verdienst | |
gewertet – machte also bei drei Mark pro Monat 36 Mark Rentenbeitrag pro | |
Jahr. Seit nunmehr 22 Jahren fehlen diesen Frauen – von einst 300.000 leben | |
noch etwa 100.000 – mehrere hundert Euro. Viele arbeiten bis heute, um ihre | |
Miete zahlen zu können, und wenn sie eine neue Brille oder neue Zähne | |
brauchen, bitten sie ihre Kinder um finanzielle Hilfe. Ostdeutsche Männer – | |
das nur nebenbei – passten exakt ins gesamtdeutsche Recht; ihre Renten | |
genießen bis heute Bestandsschutz. | |
In Magdeburg hebt Gerlinde Scheer den Telefonhörer ab. Die frühere | |
Maschinenbauingenieurin ist heute 76 Jahre alt. Scheer ist | |
Vorstandsmitglied im Verein der in der DDR geschiedenen Frauen. Für acht | |
Euro Jahresbeitrag können dort Frauen Mitglied werden, der Verein kümmert | |
sich dann um ihre Belange. Bis zur UNO haben sie es mit ihrer Klage | |
geschafft, benachteiligt zu werden. Eine Abordnung von ihnen reiste | |
gemeinsam nach New York, um ihr Anliegen zu schildern. 2017 dann hat der | |
UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau die | |
Bundesregierung aufgefordert, bis März 2019 dazu Stellung zu nehmen. Ob es | |
diese Stellungnahme inzwischen gibt und was möglicherweise drin steht – die | |
Vereinsfrauen wissen es nicht. | |
„Zurzeit kriege ich laufend Mitteilungen: Verstorben! Verstorben!“, erzählt | |
Gerlinde Scheer. Sie führt die Mitgliederkartei. Von früher einmal | |
zweieinhalbtausend Frauen leben mittlerweile nur noch etwa tausend. Das, | |
was die Betroffenen seit Jahren fürchten – und manche PolitikerInnen | |
möglicherweise insgeheim erhoffen – nimmt längst seinen Lauf. Die Frauen | |
vom Verein nennen es „die biologische Lösung“. | |
Gerlinde Scheer ist aber noch nicht bereit aufzugeben. Vielleicht, sagt | |
sie, kann sich der Bundestag wenigstens auf einen Härtefallfonds für die | |
ärmsten Rentnerinnen beschließen. „Obwohl das eigentlich auch wieder eine | |
Ungleichbehandlung wäre, Anspruch auf den Ausgleich haben wir schließlich | |
alle. Wir haben unser Leben lang gearbeitet.“ Die meisten der geschiedenen | |
Frauen waren Lehrerinnen, technische Assistentinnen, Ingenieurinnen, sie | |
haben gutes Geld verdient. Dass ihnen das heute nichts nützt, sehen sie | |
jeden Monat auf ihrem Kontoauszug. Es sind Geschichten wie diese, die im | |
Osten von Mund zu Mund gehen; Erzählungen von Zweitklassigkeit und von der | |
Tatenlosigkeit der Politik. | |
## Dann eben die AfD | |
Seit vielen Jahren ist die Linkspartei an dem Thema dran. Für die | |
Kümmererpartei des Ostens sind die Rentnerinnen eine wichtige | |
Wählerinnengruppe. An diesem Freitag greift die Fraktion deshalb auf die | |
Geschäftsordnung des Bundestages zurück, damit ausnahmsweise Bodo Ramelow, | |
Thüringer Ministerpräsident der Linken, zum Thema sprechen darf. Der wird | |
die richtigen Worte finden. Doch für die betroffenen Frauen ändert es | |
nichts, die Opposition auf ihrer Seite zu haben. Sowohl der | |
Haushaltsausschuss als auch der Wirtschaftsausschuss und der | |
Familienausschuss empfehlen die Ablehnung des Linke-Antrags , die Forderung | |
der Vereinten Nationen sofort umzusetzen. | |
In den Ausschussprotokollen ist nachzulesen, welche Fraktion wie | |
argumentiert. Die Union zeigt Verständnis, verweist aber auf die | |
Stichtagsregelung im Einigungsvertrag. Außerdem: Wenn die Frauen Recht | |
bekämen, könnten sich auch andere benachteiligte Gruppen darauf berufen. | |
Die FDP argumentiert, es handele sich um „unvermeidbare Strukturbrüche“, | |
die nun mal entstünden, wenn zwei Sozialsysteme verschmolzen werden. | |
Und die SPD sieht die Ungerechtigkeit, verweist aber auf den | |
Koalitionsvertrag, in den sie den Nothilfefonds hineinverhandelt hat. Eine | |
Nachfrage der taz in der Fraktion ergibt, dass man dort mehr als ein Jahr | |
nach dem Start der Großen Koalition von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe | |
weiß, die sich mit der Frage befasst, wie viele Frauen überhaupt betroffen | |
wären. Ebenfalls unbekannt ist, welches Ministerium federführend ist und | |
welche Kosten auf den deutschen Staat zukämen. So recht scheint bei der SPD | |
niemand daran zu glauben, dass Gerlinde Scheer und ihre Mitstreiterinnen | |
jemals Geld sehen könnten. Wie sagt Carsten Schneider, der Parlamentarische | |
Geschäftsführer mit Thüringer Wahlkreis? „Ich mache den Frauen lieber keine | |
unberechtigten Hoffnungen.“ | |
Mittlerweile hat auch die AfD im Bundestag das Potenzial des Themas für | |
sich entdeckt. Die Rechtspopulisten bringen an diesem Freitag gleich zwei | |
Anträge zum Thema Ostrenten ein, für die geschiedenen Frauen fordern sie | |
den von der SPD in den Koalitionsvertrag geschriebenen Härtefallfonds. Und | |
die Regelung solle nicht nur von Altersarmut betroffenen Frauen zugute | |
kommen, sondern allen Anspruchsberechtigten. | |
Gerlinde Scheel ist jede Unterstützung recht. Sie lobt den Wahlkämpfer | |
Ramelow von der Linken, der „immer für uns eintritt“, und ärgert sich, da… | |
sich „die Politiker aus den alten Bundesländern“ nicht für sie und ihre | |
Mitstreiterinnen interessierten. „Aber wissen Sie“, sagt sie am Telefon, | |
„eigentlich ist es egal, wer für uns moniert. Wenn das die AfD macht – | |
verkehrt kann es nicht sein.“ | |
10 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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