# taz.de -- Gewerkschafterin über die AfD: „Einfache Antworten verfangen“ | |
> Annelie Buntenbach ist im DGB-Bundesvorstand. Ein Gespräch über | |
> Antifaschismus beim DGB und das taktische Verhältnis der AfD zu | |
> Sozialpolitik. | |
Bild: Annelie Buntenbach sieht den DGB in einer antifaschistischen Tradition | |
taz am wochenende: Frau Buntenbach, Sie sprechen bei der DGB-Demo am 1. Mai | |
in Chemnitz, um die Ecke veranstaltet die AfD eine Kundgebung. Besorgt Sie | |
das? | |
Annelie Buntenbach: Nein, wir sind definitiv mehr. | |
In Chemnitz dominierten im letzten Sommer die Rechten die Straße. | |
Chemnitz ist zwar nicht Berlin oder eine der großen Industriestädte. Aber | |
ich bin sicher, dass viele Menschen zu unserer Demonstration kommen werden. | |
Einerseits, weil sie für ein soziales Europa, für mehr Solidarität und | |
Gerechtigkeit demonstrieren wollen. Und weil sie ein klares Zeichen gegen | |
rechts setzen wollen. | |
Im Herbst wird in drei ostdeutschen Bundesländern gewählt. Die AfD hofft | |
dort auf neue Spitzenergebnisse und will mit Sozialpolitik Wahlkampf | |
machen. Kapert die AfD ein Gewerkschaftsthema? | |
Die AfD versucht seit Langem, bei den sogenannten kleinen Leuten Fuß zu | |
fassen. Sie stehen als Zielgruppe schon in einem Strategiepapier, das noch | |
vor der Bundestagswahl verfasst wurde. Darin steht aber auch, dass man sich | |
inhaltlich in sozialen Fragen nicht festlegen will. Das könnte ja andere | |
Wählerinnen und Wähler vergrätzen, die eher das Neoliberale an der AfD | |
schätzen. | |
Das Soziale ist also nur Fassade? | |
Ja. Die AfD nutzt soziale Themen rein taktisch, und nicht, um wirklich | |
Verbesserungen durchzusetzen. Bei der Rente zum Beispiel kursieren | |
Konzepte, die sich komplett widersprechen. Als Gewerkschaften werden wir | |
nicht zulassen, dass sich Organisationen wie die AfD über ihre blauen oder | |
braunen Hemden ein soziales Mäntelchen hängen. | |
Und wie? AfD-Propaganda verfängt auch in Gewerkschaftskreisen. | |
Auch in der Arbeitnehmerschaft wird die AfD gewählt, das macht uns große | |
Sorgen. Da müssen wir klar gegenhalten. Es gibt in den Gewerkschaften | |
Werte, über die wir uns alle einig sind: Solidarität, Menschenwürde, | |
soziale Gerechtigkeit, Demokratie. Die stehen denen der AfD diametral | |
entgegen. | |
Aber Gewerkschaftsmitglieder haben bei der Bundestagswahl und bei | |
Landtagswahlen in Bayern und Hessen überproportional oft AfD gewählt. | |
Das stimmt, und ich will das auch nicht darauf schieben, dass es hier eine | |
statistische Überschneidung gibt, die mit der sozialen Zusammensetzung der | |
Gewerkschaftsmitglieder zu tun hat. Bei uns gibt es viele ältere Männer, | |
und das sind ja statistisch auch diejenigen, die überdurchschnittlich | |
häufig AfD wählen. Diese Wahlergebnisse sind eine Aufforderung für uns, | |
stärker in die Auseinandersetzung zu gehen und sie mit langem Atem zu | |
führen. | |
Wie kämpfen Sie? Nennen Sie ein paar Beispiele. | |
Das ist vielfältig. Die Gewerkschaften sind oft die Motoren für | |
gesellschaftliche Bündnisse vor Ort, wir mischen uns ein – auch aus der | |
historischen Perspektive. Den 2. Mai 1933 hat keiner vergessen. | |
Das war, als die Nationalsozialisten die Gewerkschaftshäuser im ganzen | |
„Deutschen Reich“ stürmten und die freie Arbeiterbewegung komplett | |
zerschlugen. | |
Wir brauchen auch die politische Auseinandersetzung in den Betrieben, da | |
sind unsere Gewerkschaften sehr aktiv. Hier gibt es betriebliche | |
Arbeitskreise für Demokratie und Vielfalt. Gerade Jüngere wollen sich das | |
Klima im Betrieb nicht kaputtmachen lassen. Die IG Bauen, Agrar und Umwelt | |
organisiert zum Beispiel für ihre Hauptamtlichen Seminare, um sie in der | |
Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus zu stärken. | |
Gibt es Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland? | |
In Betrieben, in denen seit Langem Menschen mit Migrationshintergrund | |
arbeiten, hat es die AfD schwerer. Konflikte lassen sich schwerer | |
ethnisieren, wenn Menschen merken, dass alle für die gleiche Sache kämpfen | |
– und gleiche Interessen haben. | |
Gibt es für den DGB spezifische Aufgaben im Osten? | |
Gewerkschaften sind – anders als Parteien – noch präsent. Wir müssen | |
ansprechbar und präsent sein, eine Andockstelle für Demokratie. Auch dort, | |
wo sich Menschen von Parteien allein gelassen fühlen. Schwierig wird es, | |
wenn der Organisationsgrad unter Beschäftigten niedrig ist – oder es keine | |
Betriebsräte gibt. Das schafft ein Klima, in dem sich Menschen entwertet | |
fühlen. | |
Sind Abstiegsängste die Ursache für den Aufstieg der Rechten? | |
Wenn Menschen Angst vor Absturz haben, verfangen Spaltungsbewegungen eher. | |
Deshalb muss das soziale Sicherungsversprechen glaubwürdig erneuert werden. | |
Man darf nicht abstürzen, wenn man arbeitslos wird oder in Rente geht. Man | |
muss Pflege bezahlen können, das Krankenhaus darf nicht am Arsch der Welt | |
sein. | |
Geht es nicht eher um einen Kulturkampf? Viele AfD-Wähler sind gut | |
situiert. Die haben nur keine Lust auf zu viele „Fremde“ und den ganzen | |
sogenannten Gender-Quatsch. | |
Natürlich darf man das Problem nicht bei den Armen abladen. Die Annahme, | |
dass nur Ärmere, schlechter Gebildete AfD wählen, ist ein Trugschluss. Aber | |
in einem Klima der Verunsicherung, das ja bis in die Mitte reicht, | |
verfangen einfache Antworten am besten. Studien, etwa die von Hilmer, | |
zeigen, dass es um Kontrollverlust geht. Menschen haben Angst, ihre Zukunft | |
nicht mehr beeinflussen zu können. Mitbestimmung im Betrieb und gute Arbeit | |
sind da eine wirksame Prävention. Aber natürlich müssen wir auch die | |
kulturelle Auseinandersetzung führen. | |
Sigmar Gabriel findet, die SPD habe sich zu viel um Ökofragen und | |
Identitätspolitik gekümmert – und zu wenig um die Interessen der Arbeiter. | |
Hat er recht? | |
Die Interessen der Arbeiter im Blick zu haben ist immer gut – das wäre auch | |
zu Agenda-Zeiten eine gute Orientierung gewesen. Ohne die Agenda wäre die | |
Verunsicherung, über die wir gerade sprachen, auf jeden Fall geringer. | |
Das ist keine Antwort auf die Frage. | |
Ich glaube, beide Stränge gehören zusammen. Wir müssen uns für | |
Gleichstellung starkmachen, aber auch für mehr Gerechtigkeit in der Sozial- | |
und Verteilungspolitik. Gewerkschaften haben eine lange Geschichte mit | |
Vielfalt. Wir haben Betriebsratswahlen mit aktivem und passivem Wahlrecht | |
für alle, egal was für eine Staatsangehörigkeit. Wir haben viele gute, | |
engagierte Betriebsräte und Betriebsratsvorsitzende mit | |
Migrationshintergrund. Viele Betriebsvereinbarungen wenden sich explizit | |
gegen Diskriminierung. | |
Im DGB müsste doch der Gedanke „Jetzt ist mal der alte weiße Mann dran“ | |
populär sein. Sie haben ja viele davon. | |
Wir sind sicher nicht die besseren Menschen. Mehrheitlich erlebe ich die | |
Diskussion in den Gewerkschaften aber eher so: Wir müssen darauf achten, | |
dass wir unseren Mitgliedern – auch denen mit Migrationshintergrund – | |
klarmachen, dass sie nicht nur willkommen sind, sondern gewünschter, | |
selbstverständlicher Teil der Gewerkschaft. Und dass wir uns gemeinsam mit | |
ihnen dafür einsetzen, dass sie das auch in der Gesellschaft sind. | |
Wird die Bündnisbildung eigentlich schwieriger, weil die AfD Druck macht – | |
und gerne mit dem Vorwurf des Linksextremismus kommt? | |
Ja, manchmal werden Bündnisse schwieriger. Ich finde, es gibt keinen Grund, | |
warum die Stiftung Bauhaus Dessau in vorauseilendem Gehorsam die Band Feine | |
Sahne Fischfilet auslädt. Man muss doch klar Position gegen rechts | |
beziehen. Und Vereine wie Miteinander darf man nicht im Regen stehen | |
lassen, die brauchen Solidarität. | |
Wie halten sich die deutschen Konservativen im Kampf gegen rechts? | |
Das ist eine wichtige Frage, aber sie beantwortet sich vor Ort ganz | |
unterschiedlich. Es gibt Konservative, die sich zum Beispiel Nazi-Konzerten | |
ganz klar entgegenstellen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch solche, | |
die sich von populistischen Vorwürfen ins Bockshorn jagen lassen – und | |
Gegendemos absagen, wenn antifaschistische Initiativen dabei sind. Eine | |
solche Abgrenzung nach Organisationen finde ich falsch. Die Probe aufs | |
Exempel werden wir aber nach der Landtagswahl in Sachsen erleben. | |
Teile der dortigen CDU liebäugeln mit einer Koalition mit der AfD. Können | |
Sie sich ein solches Bündnis vorstellen? | |
Ich sehe mit großer Sorge, dass ein Teil der sächsischen CDU-Fraktion | |
denkt, die AfD sei Fleisch von ihrem Fleisch. Ich erwarte, dass die CDU | |
unter ihrer Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer Spur hält. Eine | |
Koalition der CDU mit der AfD in einem Bundesland wäre eine Katastrophe für | |
die Demokratie. Was die AfD ist, ist spätestens seit Chemnitz klar. | |
Führende AfDler probten den offenen Schulterschluss mit Rechtsextremen und | |
gewalttätigen Hooligans. Für alle, die meinen, das sei eine normale Partei, | |
habe ich kein Verständnis. | |
Sie haben in Bielefeld den Verein „Argumente und Kultur gegen rechts“ | |
gegründet. Welche Rolle spielt Antifaschismus in Ihrer Biografie? | |
Das ist ein roter Faden. Und der hat auch mit meiner Familiengeschichte zu | |
tun. Ich komme aus einer Familie, die Teil der Arbeiterbewegung und der | |
demokratischen Linken war. Meine Eltern gingen in eine Grundschule, die nah | |
bei einem Gefängnis lag. Sie bekamen mit, wie die Nazis Väter von | |
Klassenkameraden verhaftet haben. Bei uns zu Haus war das immer Thema, das | |
hat mich geprägt. | |
30 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Ulrich Schulte | |
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