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# taz.de -- DGB-Demo am 1. Mai: Mehr Buden, wenig Volksfest
> Gut 10.000 Menschen feiern mit dem Gewerkschaftsbund den 1. Mai. Ein
> Ehepaar aus Ost-Berlin, das „schon immer“ herkommt, vermisst die alten
> Lieder.
Bild: Zwischen Langos und Linkspartei: das Maifest des DGB am 17. Juni in Berlin
Mitten im wogenden Fahnenmeer am Brandenburger Tor steht Ilse Juhnke wie
ein kleiner Fels in der Brandung, fest bei ihrem Mann Erich untergehakt,
und blickt zufrieden über den Platz des 18. März. Es ist kurz nach 12 Uhr,
die ersten Gruppen der traditionellen Gewerkschaftsdemo – DGB, IG Bau,
Zentralverband Deutscher Schornsteinfeger – sind am Kundgebungsort
angekommen.
„Schon immer“ kämen sie zur 1.-Mai-Kundgebung, erzählt der 82-jährige
pensionierte Lehrer aus Lichtenberg. „Früher im Osten, an der
Karl-Marx-Allee, jetzt hier.“ Auf die Frage, was sich verändert habe in den
letzten Jahren, erklärt er: „Die Friedensfrage wird uns zu wenig
besprochen, das Soziale ist eigentlich gut abgedeckt. Aber man hat ja
Sorge, dass Kriege ausbrechen können.“ Seine Frau ergänzt: „Dafür wird
jetzt endlich über Wohnen und Klima geredet.“
Tatsächlich ist „Europa. Jetzt aber richtig!“ dieses Jahr das Motto der
Gewerkschaftsdemo. Wie immer ging es vom Hackeschen Markt zum Brandenburger
Tor, laut Veranstalter sind 8.000 Menschen mitgelaufen, weitere 5.000
sollen im Laufe des Mittags zur Kundgebung am Brandenburger Tor gestoßen
sein.
„Europa wird entweder sozialer oder scheitern“, ruft Sonja Staack,
stellvertretende Vorsitzende des DGB Bezirk Berlin-Brandenburg, mit Blick
auf die Wahl am 26. Mai. In Deutschland sei der Reichtum heute so ungleich
verteilt wie vor 100 Jahren – das dürfe nicht sein. „Die tatsächlichen
Verteilungskämpfe in diesem Land verlaufen nicht zwischen Menschen
unterschiedlicher Herkunft, sondern zwischen Arm und Reich, zwischen
Kapital und Arbeit“, sagt denn auch der Hauptredner, der stellvertretende
Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke.
## Weniger Arbeiterlieder
Was dem Ehepaar Juhnke nicht so gut gefällt: Früher habe man mehr zusammen
gesungen, alte Arbeiterlieder wie „Dem Morgenrot entgegen“ oder „Kleiner
Trompeter“. „Manches gab's ja auch im Westen, wie ‚Brüder zur Sonne, zur
Freiheit‘“, fällt Ilse ein. „Aber heute kennen die Lieder ja nur noch
wenige.“
Es sei früher auch mehr ein Volksfest gewesen: größer und mit Tanzen, Musik
und Singen, findet ihr Mann. „Dafür gab's weniger zu Essen und zu Trinken“,
sagt er und schaut kurz in Richtung der vielen Buden hinter sich – mit
einem Lächeln, das die leise Kapitalismus-Kritik noch sanfter macht. Umso
heftiger reagiert er auf die Frage, ob die Demo in der DDR nicht auch
größer war, weil viele gezwungen gewesen seien, mitzulaufen. „Das ist
Quatsch, blödes Gerede, niemand musste dahin“, brummt er.
Einen gewissen Volksfestcharakter hat die Veranstaltung aber schon: Es gibt
Bratwurst (für 3,50 Euro) und Bier, Slush Puppies, Crepès, eine Kinderecke
mit Hüpfburgen und Spielmöglichkeiten. So manche Partei und
Einzelgewerkschaft hat ein „Glücksrad“ aufgestellt, um Publikum anzulocken.
Bei der CDU ist am meisten los, vielleicht weil sie ein Paar Politiker zum
Gespräch eingeladen hat, oder aber, weil man hier eine zweitägige Reise
nach Brüssel gewinnen kann.
Beim Berliner Mieterverein will eine Frau „gegen die Deutsche Wohnen“
unterschreiben, aber die Kampagne habe noch keine neuen Listen vorbei
gebracht, bedauert der Mann am Stand. Er verweist auf die Nachbarn vom
Berliner Wassertisch, dort wird ebenfalls für das neue Volksbegehren
gesammelt. Man kennt sich halt, von dieser und anderen Demos. „Alles wie
immer, bis auf den Wind“, sagt der Mieterverein-Mann und hält seine fast
weg flatternden Info-Broschüren fest.
## Provokation der „Fake“-DGBjugend
Kurze Aufregung kommt auf, als sich vorne im abgesperrten Bereich an der
Bühne eine Gruppe mit dem Transparent „Spaltung! Für die Aufkündigung der
Sozialpartnerschaft“ aufstellt. Laut Emblem auf dem Transpi ist es die
DGBjugend. Vergeblich versucht ein Ordner des DGB, die rund 20 jungen Leute
abzudrängen. „Das ist fake, sie sind nicht von uns und haben hier nichts zu
suchen“, sagt er. „Natürlich sind wir DGB-Mitglieder“, erwidert ein jung…
Mann mit schwarzer Schirmmütze. „Wir machen hier ein Angebot für linke
Gewerkschaftler. Wir wollen eine klassenkämpferische Gewerkschaft. Wir
kämpfen für eine andere Welt. Ohne SPD.“
Die Fake-DGBjugend skandiert ein paar Sprechchöre wie
„A-Anti-Antikapialista“. Kurz darauf ist sie in der Menge verschwunden.
1 May 2019
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
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