# taz.de -- Das Gespenst von Berlin: Die flamboyante Hochstaplerin | |
> Vor einem Jahrhundert machte die berüchtigte „Gräfin Colonna“ mit ihrer | |
> Diebesbande Berlins Villenviertel unsicher. | |
Bild: „Gräfinnenjäger“: Albert Dettmann (links im Bild) als Darsteller in… | |
Albert Dettmann ist einer der fähigsten Kriminal-Oberwachtmeister im | |
Berliner Polizeipräsidium. Wenn „das Fahndungs-Ass“ einmal eine Fährte | |
aufgenommen hat, verbeißt es sich wie ein Terrier in den Fall und ignoriert | |
dann beharrlich seine Dienstvorschriften. | |
So eckt der notorische Einzelgänger sehr oft bei seinen Vorgesetzten an und | |
kommt deshalb nie über den Rang eines Oberwachtmeisters hinaus. Die | |
Berliner Verbrecherwelt findet das ungerecht, bei ihr ist der volkstümliche | |
Dettmann äußerst beliebt, aber im Zweifelsfall wegen seines | |
perfektionierten Schusses aus der Manteltasche auch mit Vorsicht zu | |
genießen. | |
Gesellschaftliche Normen wie Recht und Unrecht haben nach dem Ende des 1. | |
Weltkriegs kaum noch Gültigkeit: „Gegen Albert Dettmann kämpft man nicht“, | |
lautet daher die Devise der „Apachen“ (Ganoven) von Berlin, die der | |
Kriminalschriftsteller Leo Heller in seinen Büchern über die Berliner | |
Unterwelt festgehalten hat. Dettmann ist sogar gern gesehener Gast bei | |
„Stiftungsfesten“ gut getarnter Ringvereine, einschlägiger Gesellschaften, | |
in denen die Berliner Kriminellen organisiert sind. Ganz besonders wird der | |
„große, gut aussehende Polizeibeamte“, wie ihn der berühmte | |
Strafverteidiger Erich Frey in seinen Erinnerungen beschrieben hat, von der | |
Damenwelt verehrt. | |
Im Frühjahr 1919 geht ein Aufschrei des Entsetzens durch die Villenviertel | |
des Berliner Westens. Eine dreiste Bande ist aktiv, begeht ständig neue | |
Einbrüche, irgendwie muss sie auch Insiderwissen haben. Das mysteriöse | |
„Gespenst von Berlin“, wie die Presse sie tauft, geht um! | |
## Eine illustre kriminelle Gesellschaft | |
Doch ein Quäntchen Bewunderung schwingt immer mit, wenn von den | |
„außerordentlich verwegenen“ Einbrüchen der Diebesbande um die | |
geheimnisvolle „Gräfin Colonna“ die Rede ist. In Wirklichkeit heißt die | |
jedoch wenig flamboyant Ella Stutz, wurde am 5. März 1894 in Berlin als | |
Tochter eines Maurermeisters geboren und ist ohne Beruf. Daher beschließt | |
Ella irgendwann, einen Adelstitel aus den zarten Spitzenärmelchen ihrer | |
royalen Robe hervorzuzaubern und als „Gräfin Colonna“ eine illustre | |
kriminelle Gesellschaft um sich zu scharen. Aussicht auf Erfolg hat sie, | |
denn Hochstaplerinnen haben in der Weimarer Zeit mit einer grundsätzlich | |
erhöhten Kriminalitätsrate sowieso Hochkonjunktur. | |
Die Bande der „Gräfin Colonna“ begeht Einbrüche in ganz großem Stil, von | |
denen die Tagespresse gerne ausführlich berichtet. Ellas Bruder Erich Stutz | |
ist Mitglied, ebenso die Modistin Emma Gadegast als „Baronin de Belly“, der | |
vorbestrafte Schlosser Willy Dahl und der Landwirt Joachim von Bötticher. | |
Letzterer ist geistig in eher desolater Verfassung und somit für den Job | |
eigentlich ungeeignet: „Er machte ganz den Eindruck, als wäre er während | |
des Kriegs mal mit seiner Maschine aus großer Höhe abgestürzt“, beschrieb | |
ihn Frey wenig schmeichelhaft. | |
Auf die Vorgehensweise der Bande ist Verlass: Stets sucht die schöne | |
„Gräfin“ Kontakt zu wohlhabenden Männern, bezirzt ihre Opfer, um dann der… | |
Wohnungen auszuspähen. Dann gewährt sie den ihren Reizen schnell | |
Erliegenden „Schäferstündchen“ in ihrer eigenen Behausung, während derwe… | |
ihre nicht minder ausgebufften Komplizen beherzt die Zielobjekte | |
großflächig ausrauben. | |
Doch diesmal hat die Bande die Rechnung ohne den Wirt gemacht – und der | |
heißt Dettmann. Der 1878 in Potsdam geborene Sohn eines Gefängnisaufsehers, | |
dem man somit die Wacht über Recht und Ordnung an der Spree schon in die | |
Wiege gelegt hat, schleust sich inkognito in den Diebeskreis ein und | |
gewinnt das Vertrauen und dann die Verliebtheit der diesmal gar nicht so | |
ausgebufften „Gräfin“. | |
## Tumulte, Tränen, Enttarnung – Moabit | |
Und so kommt es, wie es kommen muss: Tumulte, Tränen, Enttarnung, Moabit. | |
Am 10. November 1919 wird die „Gräfin“ zusammen mit ihren Komplizen | |
verhaftet und am 2. Juli 1920 zu vierzehn Monaten Haft verurteilt. Endlich | |
kann die Hautevolee aufatmen, beruhigt des Abends auf ihren samtenen Kissen | |
einschlummern und von sorglosen Champagnerpartys träumen, während unzählige | |
Menschen in den Straßen von Berlin nicht wissen, woher sie ihre nächste | |
warme Mahlzeit bekommen sollen. | |
Doch schon nach neun Monaten gelingt der „Gräfin“ die Flucht. Albert | |
Dettmann wiederum gelingt ein Fahndungserfolg nach dem anderen, zudem hat | |
er einen Cameo-Auftritt als Kriminalkommissar in dem Film „Der Liebe Lust | |
und Leid“ nach seinem eigenen Drehbuch unter der Regie von Kurt Gerron, der | |
1944 in Auschwitz ermordet wird. Aus gesundheitlichen Gründen muss Dettmann | |
jedoch vorzeitig in Rente gehen und stirbt Ende August 1927 mit nicht | |
einmal 50 Jahren an einem Schlaganfall. Zahlreiche Vertreter der Berliner | |
Verbrecherwelt schreiten bei der Beerdigung des wackeren Polizeibeamten | |
hinter dessen Sarg her. Viele sind allerdings verhindert, denn Moabit ist | |
unerbittlich. | |
Für die „Gräfin“ gibt es schon lange kein Zurück mehr in die | |
Bürgerlichkeit. Im Mai 1928 wird sie in Zürich verhaftet, doch bereits im | |
Oktober 1930 residiert sie wieder frei und fürstlich im feudalen Londoner | |
Savoy-Hotel. Am 11. des Monats macht sie sich schließlich auf dem Schiff | |
„Orama“ in Richtung Australien aus dem Staub, natürlich nicht als | |
reumütiger weiblicher Kettensträfling, sondern als russischstämmige | |
sportbegeisterte „Baroness von Elpons“. | |
Den aus verarmtem Adel stammenden Schauspieler Kurt von Elpons hat sie | |
bereits 1922 in Zoppot geheiratet und sich nur ein Jahr später wieder | |
scheiden lassen. Viele Lügen erzählt die pathologische Hochstaplerin der | |
gutgläubigen Lokalpresse in Melbourne und rührt die Leser vor allem mit der | |
Story zu Tränen, dass sie sich im Krieg an der Front aufopferungsvoll als | |
Krankenschwester betätigt habe. In ihrer ausgeprägten Geltungssucht geht | |
sie sogar so weit, sich den Journalisten als gute Bekannte von Adolf Hitler | |
zu präsentieren. | |
## Realität oder Fantasie? | |
Anfang 1931 heiratet sie den ahnungslosen James Stanley McCarthy und zieht | |
mit ihm nach Sydney, wo James die Vertretung der britischen Autofirma | |
„Leyland Motors Ltd.“ übernimmt. Ella sonnt sich zunächst als „Society | |
Lady“ im Glanz der allgemeinen Bewunderung, verlässt 1938 dann aber | |
gelangweilt ihren Mann in Richtung Europa, wo sie am 8. September 1938 in | |
Liverpool ankommt. | |
Das letzte Lebenszeichen der „Gräfin“ datiert vom 2. November 1946, als sie | |
angeblich nur für drei Monate in die USA einreist, wie eine Passagierliste | |
verrät. Dann verliert sich ihre Spur, die laut Erich Frey nach Italien | |
führte, wo Ella Leiterin einer Spionageorganisation gewesen sein soll. | |
Realität oder Fantasie? Es ist das letzte Geheimnis einer Hochstaplerin, | |
wie sie nur die Zeit der Weimarer Republik hervorgebracht haben kann, in | |
der der „schöne Schein“ schnell verblenden konnte. | |
29 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Bettina Müller | |
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