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# taz.de -- Ostrenten und Altersarmut: Trostzahlung für DDR-Rentenunrecht
> Nach der Wende wurden verschiedene soziale Gruppen aus der DDR bei der
> Altersversorgung benachteiligt. Nun soll es eine Einmalzahlung richten.
Bild: Krankenschwesterausbildung 1984 in Karl-Marx-Stadt
Dresden taz | Mehr als drei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit sollen
noch lebende Opfer [1][von Rentenüberleitungsmängeln] symbolisch durch
einen Härtefallfonds entschädigt werden. Das beschloss der
Haushaltsausschuss des Bundestags am vergangenen Freitag.
Dessen SPD-Berichterstatterin Rasha Nasr nannte es ein „längst fälliges
Zeichen der Anerkennung der Lebensleistung“, auch wenn sie sich „eine
andere Lösung gewünscht hätten“. Von den ursprünglich kalkulierten
Milliardenbeträgen blieb nur eine mit 500 Millionen Euro ausgestattete
Stiftung. Sie erlaubt ab dem kommenden Jahr lediglich eine einmalige
„Trostzahlung“ für Antragsberechtigte von 2.500 Euro.
Bei den Beitrittsverhandlungen 1990 vergaß oder ignorierte das
Rentenüberleitungsgesetz viele Berufs- und soziale Gruppen. Für
Krankenschwestern, Bergleute, Land- und Forstwirte, Handwerker,
Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen, der Nationalen Volksarmee,
der Polizei und des Zolls galten in der DDR Sonderversorgungssysteme.
Diese höheren Ansprüche auf Altersversorgung wurden bei der
Wiedervereinigung nicht übernommen. Auch die ab 1991 aus den Staaten der
ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland eingewanderten etwa 200.000
sogenannten Spätaussiedler und [2][jüdischen Kontingentflüchtlinge] konnten
kaum mit Rentenzahlungen aus ihrer früheren Heimat rechnen und blieben
benachteiligt.
## Anfang der 1990er wollte niemand was davon hören
Bei den etwa 300.000 nach [3][DDR-Recht geschiedenen Frauen] befand sich
der Gesetzgeber allerdings in einem Dilemma. Den in der Bundesrepublik
üblichen Versorgungsausgleich durch ihre ehemaligen Männer gab es in der
DDR nicht. Der ungleich höhere Anteil berufstätiger Frauen erwarb eigene
Rentenansprüche. Den Ausgleich rückwirkend einzuführen, untersagte das
angerufene Bundesverfassungsgericht. Für Familienzeiten oder solchen der
Mitarbeit im Familienbetrieb entgehen diesen Frauen Rentenansprüche.
Medien und wenige Ost-Politiker machten bereits zu Beginn der 1990er Jahre
auf das Problem aufmerksam, fanden aber kaum Beachtung. Im
Bundestagswahljahr 2017 entdeckte zumindest die Ost-SPD das Thema wieder.
Insbesondere die bis heute amtierende sächsische Sozialministerin Petra
Köpping reiste viel umher und sprach mit Opfern. Auf dem Dortmunder
Parteitag schaffte es der „Gerechtigkeitsfonds“ dann mit Ach und Krach in
das Bundestagswahlprogramm der SPD. Im [4][Koalitionsvertrag mit der CDU]
2017 blieben davon ganze zwei Sätze für einen „Härtefallfonds“, die als
unerledigte Schuld 2021 in die Ampelkoalition mitgenommen wurden.
Mittlerweile ist die Zahl der Antragsberechtigten durch Tod auf maximal
70.000 geschrumpft. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Regierenden
auf eine biologische Lösung des Problems setzen“, schimpft deshalb die
sächsische Landtagsabgeordnete Susanne Schaper (Linke). Sie nennt die
beabsichtigte Einmalzahlung einen „Witz“.
## Symbolische Trostzahlung dem Bund überlassen
Die langjährige Sprecherin des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen,
Marion Böker, bedankt sich bei Politik und Zivilgesellschaft. „Auch wenn
das nicht den berechtigten höheren Forderungen der Betroffenen entspricht –
es ist der Einstieg“, schrieb sie. Details müssten aber geklärt werden.
SPD-Bundestagsabgeordnete wie Kathrin Michel oder Rasha Nasr schoben den
Schwarzen Peter an die Bundesländer weiter. Sie und der Bund sollten den
Fonds ursprünglich gemeinsam finanzieren. Aber nur Mecklenburg-Vorpommern
war dazu bereit.
In ostdeutschen Ländern waren und sind Stimmen zu vernehmen, die vor den
finanziellen Dimensionen des wiedergutzumachenden Unrechts kapitulieren.
Schätzungen reichten bis an zweistellige Milliardenbeträge heran. Eine
symbolische Trostzahlung nach 32 Jahren wolle man lieber dem Bund
überlassen, heißt es. Dennoch forderte der Thüringer SPD-Rentenexperte
Denny Möller seine rot-rot-grüne Landesregierung auf, diese einmalige
Entschädigung zumindest auf 5.000 Euro zu verdoppeln.
16 Nov 2022
## LINKS
[1] /Haertefallfonds-fuer-Ost-RentnerInnen/!5769452
[2] /Debatte-um-Vaterjuden/!5801855
[3] /Ostrenten-und-Altersarmut/!5593997
[4] /Opfer-der-Wiedervereinigung/!5677451
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
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Rente
Lesestück Recherche und Reportage
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