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# taz.de -- Soziologe über Niedersachsens Demokratie: „Nicht verhandelbare K…
> Eine Studie stellt in Niedersachsen eine hohe Affinität zu
> Verschwörungstheorien fest. Motor für den Rechtsruck sei das Land aber
> nicht.
Bild: Thema nicht erst seit Facebook: englisches Pamphlet gegen eine „Popiste…
taz: Herr Finkbeiner, die Menschen in Niedersachsen sind nicht „Motor“
eines bundesweit zu beobachtenden Rechtsrucks, schreiben Sie im
[1][„Demokratie-Monitor 2019“]. Woran machen Sie das fest?
Florian Finkbeiner: An dieser Stelle beziehen wir uns vor allem auf das
AfD-Wahlergebnis aus unserer Sonntagsumfrage. Die elektoralen Erfolge
dieser Partei sind in den letzten Jahren ja schließlich zu so etwas wie dem
Symbol der gesellschaftlichen Umbrüche und Konflikte geworden. Eine in der
letzten Zeit immer wieder geäußerte Erklärungsfolie für den Erfolg von
Parteien rechts der Mitte besagt, dass es allein die Enttäuschten,
Frustrierten und die sich abgehängt Fühlenden wären, von denen solche
Parteien profitieren würden. Unsere Ergebnisse widersprechen dieser These
zum Teil.
Inwiefern?
Wir haben in unserer Studie zum Beispiel die Menschen offen gefragt, was
sie als die wichtigsten Probleme im Land ansehen, wie viel Vertrauen sie
beispielsweise Parteien und Politikern entgegenbringen. Betrachtet man nun
die Antworten, dann zeigt sich relativ deutlich, wie viel Enttäuschung und
Frustration da offensichtlich mitschwingt, wie viel Misstrauen gegen ganz
unterschiedliche Formen von politischen Phänomenen vorhanden ist. Doch nach
unserer Sonntagsumfrage würde die AfD hiervon kaum profitieren können.
Wären also diese Enttäuschungen allein der „Motor“ für einen Rechtsruck,
dann hätten die Ergebnisse dieser Partei eigentlich höher sein müssen. Aber
das sind sie in Niedersachsen bislang nicht.
Es hat sich gezeigt: Fast ein Viertel der Befragten glaubt, dass staatliche
Behörden alle Bürger genau überwachten; nahezu ein Drittel stimmt der These
zu, dass hinter vermeintlich unzusammenhängenden Ereignissen geheime
Aktivitäten stünden; und sogar mehr als 43 Prozent gehen davon aus, dass
geheime Organisationen großen Einfluss auf politische Entscheidungen
hätten.
Diese relativ hohen Werte mögen im ersten Moment vielleicht überraschen.
Aber betrachtet man die Ergebnisse anderer Untersuchungen wie
beispielsweise die [2][„Mitte-Studien“ von Andreas Zick], dann zeigt sich,
dass auch diese Werte in eine ähnliche Richtung gehen. Aber: Ganz genau im
Detail vergleichen kann man solche Erhebungen mit unserer Studie oftmals
nicht.
Ist Verschwörungsglaube immer politisch rechts – oder ist das
komplizierter?
Natürlich ist es etwas komplizierter. Es scheint zwar durchaus einen
gewissen Zusammenhang zu geben, aber dies bedeutet keineswegs automatisch,
dass Verschwörungstheorien immer politisch rechts wären. Vielmehr findet
sich eine gewisse Affinität zu verschwörungstheoretischen Versatzstücken
auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft sowie im politisch linken
Spektrum. Allerdings gibt es hierbei teilweise deutliche Unterschiede, je
nachdem, welche Indikatoren für diese Affinität betrachtet werden. Wir
haben uns dabei besonders auf drei Fragenkomplexe bezogen …
… also: staatliche Überwachung, geheime Zusammenhänge und einflussreiche
Organisationen.
Bei manchen dieser Fragen ist es keineswegs so, dass die AfD-Wähler diesen
Aussagen unbedingt mehr zustimmen würden als beispielsweise Linken-Wähler.
Bei einzelnen Fragen gibt es kaum wesentliche Unterschiede, bei anderen
wiederum deutliche Differenzen. Betrachtet man allerdings das
Antwortverhalten zu allen genannten Fragen, würde ich vorsichtig
formulieren, dass es zumindest einen Zusammenhang gibt zwischen der
Affinität zu verschwörungstheoretischen Erklärungs- und
Rationalisierungsversuchen und der Neigung zur Wahl von Parteien rechts der
Mitte.
Wenn die Menschen etwa an die Existenz geheimer einflussreicher
Organisationen glauben: Wen genau vermuten sie da am Werk?
Wenn es beispielsweise um die vermeintliche Existenz solcher geheimen
einflussreichen Organisationen geht, dann liegt die Vermutung zumindest
nahe, dass es sich dabei um Assoziationsformen von geheimen Machenschaften
handeln kann. Dies wiederum wäre ein prototypisches Anzeichen von
Antisemitismus, weil der antisemitische Wahn ja genau darin eine seiner
Grundlagen findet, dass es „der Jude“ sei, der hinter diesen geheimen
Machenschaften stehen würde.
Aber?
Ob den Befragten eine solche Assoziation überhaupt bewusst ist oder ob
diese damit nicht doch etwas ganz anderes meinen, all dies können wir nur
auf Basis der bisherigen quantitativen Erhebungen nicht sagen. Diese
inneren Zusammenhänge müssen noch tiefer gehender untersucht werden.
Was Sie ja auch tun.
Genau solchen Fragen und vermeintlichen Widersprüchen, wie übrigens auch
bezüglich der unterschiedlichen Demokratievorstellungen, gehen wir derzeit
in unserem ersten Anschlussprojekt nach, indem wir diese qualitativ
vertiefend untersuchen. Die ersten Ergebnisse hierzu sollen bis Ende des
Jahres vorliegen.
Wo Sie gerade den Aspekt der „Demokratie-Vorstellungen“ erwähnten: Was
haben Sie da bisher erfahren?
Wir haben die Menschen ganz offen danach gefragt, was „Demokratie“ für sie
bedeutet, welche Prinzipien und Leitvorstellungen sie damit verbinden.
Dabei hat es uns gewissermaßen überrascht, dass es für unsere Befragten
keineswegs „die eine“ Demokratievorstellung gibt, sondern dass es
offensichtlich ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, was die
Menschen mit „der“ Demokratie verbinden. Aber es gibt gewisse Kernpunkte,
die die meisten Befragten teilen, die dann auch nicht verhandelbar sind.
„Meinungsfreiheit, Respekt vor Andersdenkenden, Chancengleichheit und
Machtwechsel“, schreiben Sie, gehörten „für drei Viertel der Niedersachsen
unbedingt zur Demokratie dazu“.
Es zeigen sich zum Teil aber auch deutliche Unterschiede, was die
Demokratie neben diesen zentralen Leitvorstellungen noch weiter ausmacht.
Zum Beispiel sind die Aspekte, ob Experten über grundlegende Probleme der
Gesellschaft entscheiden sollten oder ob eine „nationale Leitkultur“ zu
einer Demokratie gehöre, weithin umstritten.
Was mich vielleicht am meisten überrascht hat: die ausgeprägte Skepsis
gegenüber den sozialen Medien. Die Wahrnehmung ist doch: Wer bestimmten
Weltbildern zuneigt, wird sich eher via Facebook oder Twitter Bestätigung
durch Gleichgesinnte suchen, als sich herausfordern zu lassen durch
angebliche „Systemmedien“.
Natürlich entsteht oftmals der Eindruck einer politischen Verwahrlosung,
wenn man sich teilweise Online-Kommentarspalten ansieht. Aber dieser
Ausschnitt spiegelt offensichtlich nicht die Realität. Denn nach unserer
Untersuchung misstrauen die meisten Befragten den sozialen Medien.
Rund drei Viertel, lese ich.
Und nur ein Viertel gibt an, ihre politischen Informationen über die
sozialen Medien zu beziehen. Es scheint auch kein Zufall zu sein, dass
genauso wenige angeben, soziale Medien als politische Ausdrucksformen zu
nutzen oder dort regelmäßig aktiv zu sein. Diese und weitere Faktoren –
auch aus anderen Untersuchungen – lassen vermuten, dass die Bedeutung der
sozialen Medien nur für einen relativ kleinen Ausschnitt aus der
Bevölkerung zutrifft, aber gerade dieser Teil scheint besonders aktiv zu
sein.
Zur besseren Einordnung ihrer Erkenntnisse aus Niedersachsen könnte
beitragen, wenn es bundesweite Zahlen gäbe.
Es gibt bundesweite Befragungen und Untersuchungen, die auch diese Themen
bearbeiten. Natürlich orientieren wir uns auch an diesen Zahlen. Aber diese
Studien arbeiten teilweise mit anderen Fragen, sodass wir diese Ergebnisse
auch nicht immer miteinbeziehen können. Wir haben unsere Untersuchung ja
mit Steffen Kühnel gemacht …
… Inhaber des Lehrstuhls für [3][Quantitative Methoden der
Sozialwissenschaften] an der Universität Göttingen …
… der früher auch mit Wilhelm Heitmeyer an den [4][„Deutschen Zuständen�…
gearbeitet hat …
… einer ein Jahrzehnt lang regelmäßig durchgeführten Erhebung über den
Zusammenhang zwischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen und der
Entwicklung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten.
Kühnel hat immer wieder auf die Schwierigkeit einer solchen
Vergleichbarkeit hingewiesen. Wenn Fragen anders gestellt sind, gibt es
einen ganz anderen Spielraum zur Interpretation der Antworten. Deshalb
können bundesweite Zahlen beispielsweise zu Verschwörungstheorien nur sehr
eingeschränkt mit unseren Zahlen verglichen werden. Zumindest aber sehen
wir grobe Ähnlichkeiten.
11 Jun 2019
## LINKS
[1] https://www.fodex-online.de/publikationen/niedersaechsischer-demokratie-mon…
[2] https://www.fes.de/forum-berlin/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie
[3] https://www.uni-goettingen.de/de/27012.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Zust%C3%A4nde
## AUTOREN
Alexander Diehl
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