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# taz.de -- Neuer Film von Radu Jude: Jubel für die Hakenkreuze
> Radu Judes Film „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte
> eingehen“ inszeniert ein dunkles Kapitel in Rumäniens Historie.
Bild: Ioana Iacobs (rechts) als quirlige Theaterregisseurin in „Mir ist es eg…
Auf dem Monitor des Schneidetischs laufen Bilder des rumänischen Einmarschs
in Odessa während des Zweiten Weltkriegs. Rumänische Soldaten entfernen den
roten Stern von einem Gebäude und hissen die rumänische Flagge. Die nächste
Einstellung etabliert die Prämisse für Radu Judes neusten Film „Mir ist es
egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“: Die Schauspielerin
Ioana Iacob führt vor den Vitrinen des militärhistorischen Museums ihre
Rolle ein. Sie spielt die junge Theaterregisseurin Mariana Marin. Sie
betont, dass sowohl sie als auch die Figur, die sie spielt, rumänischer
Abstammung sind.
Man stutzt kurz über die Ausführlichkeit, in der das geschieht, und lauscht
weiter. Während sie die weiteren Mitwirkenden des Films vorstellt, wird sie
von einer Mitarbeiterin unterbrochen. Die Statisten sind da.
Radu Judes Film zeigt eine inszenierte Inszenierung. Marin plant eine
kritische Reinszenierung des Einmarschs in Odessa. Einer der älteren
Herren, die als Statisten mitwirken sollen, plaudert munter drauflos, er
habe so etwas Ähnliches schon einmal gemacht im Seniorenclub. Viele der
Jüngeren verweisen auf Erfahrungen mit ihren Reinszenierungen von
historischen Schlachten.
Der Unterschied: Marin plant, die Massaker zu zeigen, die rumänische
Truppen bei der Eroberung Odessas begingen. Auch die rumänische Verwicklung
in den industriellen Mord an Jüdinnen und Juden soll in der Inszenierung
aufgegriffen werden. Die junge Regisseurin setzt all dies in endlosen
Debatten gegen ihre Komparsen durch, die all das für „antirumänisch“
halten, gegen ihren Freund, der findet, sie sei jetzt aber etwas „besessen“
von dem Thema, und gegen einen Angestellten der Stadtverwaltung, der ihr
nahelegt, doch lieber was über „roten Terror“ zu machen, das gehe immer.
„Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ spannt
ein Panorama der rumänischen Erinnerungspolitik auf, zeigt den
Revisionismus der frühen 1990er Jahre und die Geschichtsklitterungen, die
für die Menschen längst zu Lebenslügen geworden sind.
## Inbegriff eines antisowjetischen Helden
Das Zitat aus dem Titel stammt von Ion Antonescu, einem General, der ab
1940 mit Unterstützung der faschistischen Eisernen Garde Rumänien als
Diktator regierte. Antonescu ist einer der Hauptverantwortlichen für die
ethnischen Säuberungen und Massaker an Juden und Roma in Rumänien. Zugleich
war Antonescu Gegenstand eines Personenkults, der noch zu sozialistischen
Zeiten Mitte der 1970er Jahre begann, vor allem aber nach dem Sturz
Ceaușescus 1989 um sich griff. Antonescu wurde zum Inbegriff eines
antisowjetischen Helden.
Radu Jude bezieht die verschlungenen Pfade der rumänischen
Geschichtspolitik in den Film ein, indem er eine Vielzahl von Dokumenten
einflicht: Wochenschauaufnahmen der Eroberung Odessas, Fotos der
Gräueltaten, Bücher zur Geschichte Rumäniens im Zweiten Weltkrieg und nicht
zuletzt Sergiu Nicolaescus filmische Hagiografie Antonescus „Oglinda“ (Der
Spiegel) von 1993. Mit „Oglinda“ prägte Nicolaescu auf Jahre hinaus das
populäre Verständnis Antonescus als tragische Bezugsfigur. Das
Antonescu-Bild aus Nocolaescus Film hat den Wandel der offiziellen
Geschichtspolitik in weiten Teilen der Bevölkerung überlebt.
Wie heikel das Themenfeld ist, das Radu Jude in seinem Film aufgreift,
zeigt nicht nur die ausführliche Verortung seiner Protagonistin zu Beginn
des Films, die als präventive Abwehr antisemitischer Topoi zu verstehen
ist, sondern auch, dass er Adrian Cioflâncă als historischen Berater
einbezog. Cioflâncă war Mitglied der internationalen Kommission, die Anfang
der 2000er Jahre die Rolle Rumäniens im Holocaust erforschte, und ist
seitdem Mitglied der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken.
## Rumänische Neue Welle
Seit 2015 setzt sich Radu Jude wie kein zweiter Regisseur der rumänischen
Neuen Welle mit der rumänischen Geschichte auseinander. In seinem epischen
Walachei-Western „Aferim“ zeichnete er die sklavenartigen Lebensbedingungen
der Roma in Rumänien nach. Im Jahr darauf nahm er sich einer
autobiografischen Erzählung des jüdisch-rumänischen Schriftstellers Max
Blecher aus dessen Zeit in einem Sanatorium an. „Scarred Hearts“ erzählt in
teils absurden, teils bedrückenden Bildern aus dem Leben des Protagonisten,
der immer mehr Gewissheit bekommt, das Sanatorium nicht mehr lebend zu
verlassen.
„Scarred Hearts“ ist einer der schönsten, beeindruckendsten und
formvollendetsten Filme, die im europäischen Kino der letzten 20 Jahre
entstanden sind. Bevor er der Geschichte Rumäniens im Zweiten Weltkrieg mit
„Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ einen
Spielfilm widmete, erarbeitete sich Radu Jude die Zusammenhänge in einem
Dokumentarfilm: „Tara Moarta“ („The Dead Nation“) kombiniert
zeitgenössische Fotografien mit Auszügen aus dem Tagebuch des
rumänisch-jüdischen Arztes Emil Dorian zu einer Geschichte des Aufstiegs
des rumänischen Faschismus und Antisemitismus in den 1930er und 1940er
Jahren.
Auf „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“
folgte kurz darauf der Kurzfilm „Die zwei Hinrichtungen des Marschalls“,
der sich mit der Hinrichtung des rumänischen Diktators Ion Antonescu 1946
befasst.
## Umgang mit Geschichte in Rumänien
Wie komplex der öffentliche Umgang mit Geschichte in Rumänien in der Praxis
ist, zeigt sich, als die Reinszenierung in „Mir ist es egal …“ schließli…
stattfindet: die stellvertretende Bürgermeisterin darf als Vertreterin
einer formal geläuterten Geschichtspolitik von einer Ehrung der Toten
schwadronieren. Als jedoch die Darsteller der Wehrmacht mit
Tschingderassabumm unter der Hakenkreuzfahne aufmarschieren, bekommen sie
beinahe genauso viel Applaus wie die rumänische Armee. Ausgebuht werden nur
die Darsteller_innen der sowjetischen Armee.
Auch bei den Massakern zeigt sich eine Macht der Bilder, die kaum
einzufangen ist. Als eine Handvoll Puppen symbolisch an einem Galgen
erhängt wird, auf dem die Aufschrift „Die Herrschaft der Juden und
Ausländer ist vorbei“ steht, jubelt die Menge begeistert, die kritische
Intention der Reinszenierung droht angesichts der Macht des Ressentiments
zu verpuffen. Indem Radu Jude seine Protagonistin beobachtet, wie sie an
einer unverstellten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte festhält,
beharrt er auf der befreienden Wirkung, die es hat, sich den eigenen Mythen
zu stellen.
Ioana Iacobs quirlige Verkörperung der Theaterregisseurin, die sich den
Fallstricken der Reinszenierung aussetzt und es auf wundersame Weise
schafft, die bunt zusammengewürfelte Darstellertruppe bis zum Schluss
beisammenzuhalten, geben dem Film eine beeindruckende Lebendigkeit, ohne
die er zum Essayfilm geraten wäre. So aber belebt das Wechselspiel zwischen
Spielfilm, dokumentarischen Elementen und Collage den Film immer wieder
aufs Neue. „Mir ist es egal …“ ist eine beeindruckend vielschichtige
Momentaufnahme des Umgangs mit Vergangenheit in Rumänien, mit der sich Radu
Jude erneut als ein zentraler Akteur eines smarten politischen Kinos in
Europa zeigt.
30 May 2019
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Spielfilm
Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen
Radu Jude
Rumänien
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Filmrezension
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Rumänien
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