# taz.de -- Kinotipps der Woche: Gestrandete Perlen | |
> Die Reihe „Fast verpasst“ zeigt Filme, die viel zu kurz im Kino liefen | |
> oder es gar nicht erst auf die große Leinwand schafften. | |
Bild: “Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ v… | |
Eins ist klar: Wenn es denn irgendwann wieder damit losgeht, dass Filme | |
auch im Kino gezeigt werden dürfen, wird es ein großes Gedrängel um die | |
Startplätze geben. Zig Filme warten darauf, endlich auf die große Leinwand | |
zu kommen, in über einem Jahr Corona hat sich da so einiges angestaut. | |
Das Problem, dass es viel zu viele durchaus sehenswerte Filme gibt, um alle | |
davon angemessen ins Kino zu bringen, gab es aber auch schon vor Corona. So | |
manche Perle findet abseits von Festivals nie den Weg ins Lichtspielhaus. | |
Oder wird nach zwei Wochen schon wieder aus dem Programm genommen, weil ihr | |
nur begrenztes kommerzielles Potential eingeräumt wird. | |
Das Filmmuseum Potsdam hat nun dankenswerterweise eine Art Rettungsaktion | |
für Filme gestartet, die entweder viel zu kurz im Kino liefen oder es wegen | |
Corona gar nicht auf die große Leinwand schafften. | |
“[1][Fast verpasst“ heißt die kleine Reihe], die “ausgesuchte aktuelle | |
Filme“ verspricht, die über den [2][Streamingkanal des Filmmuseums] zu | |
sehen sind. Und zwar mindestens so lange, bis die Kinosäle wieder geöffnet | |
werden dürfen, lässt das Haus vermelden. | |
## Reenactment historischer Ereignisse | |
Da wäre etwa der brilliante Film “[3][Mir ist es egal, wenn wir als | |
Barbaren in die Geschichte eingehen]“ von Radu Jude aus Rumänien. Der lief | |
nur kurz im Frühsommer des Jahres 2019 in ein paar Berliner Minikinos. | |
Dessen Handlung ist eigentlich so sperrig wie sein Titel. Es geht darum, | |
dass die Regisseurin Mariana Marin auf dem Platz vor dem Militärmuseum in | |
Bukarest ein Reenactment historischer Ereignisse nachspielen will. | |
Und zwar die Eroberung Odessas 1941 durch die Nazis, die damals mit den | |
Rumänen kollaborierten. Nach der Einnahme der Stadt wurden über 20000 Juden | |
zusammengezogen und ermordert. Teilweise wurden sie von den Rumänen in | |
Militärbaracken gesteckt, die dann angezündet wurden. | |
Darum, wie eine wahrheitssuchende Regisseurin Rumäniens Beteiligung am | |
Holocaust darstellen möchte, geht es im Wesentlichen in diesem Film. Wie es | |
Regisseur Radu Jude nun schafft, aus diesem so trockenen wie grausamen | |
Stoff eine Art Komödie zu zimmern, das ist wirklich ganz große Kunst. Es | |
geht hier um die Shoah und Jude arbeitet dennoch mit dem Stilmittel Humor. | |
So etwas kann leicht zu einem filmischen Deaster werden, hier wird es zum | |
Triumph. | |
Man erlebt, wie die unbeirrbare Regisseurin eigentlich nichts weiter als | |
die historischen Fakten in ihrem Reeanactment verarbeiten möchte. Die | |
Rumänen, die unter General Antonescu mit den Nazis verbündet waren, | |
ermordeten als bereitwillige Schergen zusammen mit den Deutschen um die | |
270000 Juden. | |
## Verdrängte Beteiligung am Holocaust | |
Aber davon will Rumänien bis heute nichts wissen, die aktive Beteiligung am | |
Holocaust wird lieber verdrängt. Auch die Regisseurin stößt auf Widerstände | |
aller Art. Ihre Komparsen protestieren, weil ihen die geplante Inszenierung | |
zu unpatriotisch vorkommt. Ein paar von ihnen jammern: Dass sie Juden | |
darstellen sollen, das sei ja schon schlimm genug, müssen sie aber wirklich | |
auch noch zusammen mit Roma auftreten? | |
Andauernd schaut dann auch noch ihr Vorgesetzter vorbei, der | |
Kulturbeauftragte Movila, um sie mal subtil, mal weniger subtil dazu zu | |
bewegen, die Ermordung der Juden bei ihrer Inszenierung doch bitte nicht zu | |
zeigen. Brüllend komische Szenen ergibt das in dieser Satire auf das junge | |
Rumänien. Und Radu Judes lustvoll entlarvender Blick auf seine Landsleute | |
samt deren Antisemitismus und Rassismus ist wirklich bitterböse. | |
Als schlussendlich bei der Aufführung des Reenactements die deutschen | |
Soldaten aufmarschieren, lässt er die Zuschauer jubeln und johlen. Die | |
Nazis sind beim feixenden Publikum fast so beliebt wie die eigenen Soldaten | |
– die damals freilich bereitwillig Juden massakrierten. Die russischen | |
Kämpfer, die einst versuchten, Odessa gegen die Aggressoren zu verteidigen, | |
werden dagegen ausgebuht. | |
Auch so ein Film, der es absolut verdient hat, dass er nochmals gezeigt | |
wird, ist “Birds of Passage“, der im Frühjahr 2019 kurz in den Kinos lief. | |
Er zeigt den Einstieg eines indigen Familienclans in das aufstrebende | |
Drogengeschäft im Kolumbien der sechziger und siebziger Jahre. | |
Der Film von Cristina Gallego und Ciro Guerra entwickelt sich bald zu einem | |
grimmigen Meisterwerk nach Scorsese-Art. Doch anstatt in New York wird der | |
Kampf um Geld und Macht auf dem Gebiet des indigenen Wayuu-Stammes | |
ausgetragen. “Birds of Passage“ kommt erst daher wie ein Folklore-Film, | |
entwickelt sich dann aber zu einem Epos, das den Vergleich mit großen | |
Mafia-Filmen nicht zu scheuen braucht. | |
18 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://filmmuseum-potsdam.cinemalovers.de/en/collections/fast-verpasst | |
[2] https://filmmuseum-potsdam.cinemalovers.de/en/home | |
[3] /Mir-ist-es-egal-wenn-wir-als-Barbaren-in-die-Geschichte-eingehen/!t5598737 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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