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# taz.de -- Kinotipps der Woche: Werk, Autor, Sumpf
> Schade eigentlich: Im Filmgeschäft war Dietrich Brüggemann vor seiner
> verunglückten Kampagne doch bereits eine große Nummer.
Bild: Fanatisch auf dem „Kreuzweg“ (2014) von Dietrich Brüggemann: auch et…
Vor kurzem war der in Kreuzberg lebende Dietrich Brüggemann noch der
gefeierte Regisseur des Stuttgart-Tatorts “Das ist unser Haus“. Endlich mal
ein lustiger Tatort, hieß es überall, mehr Satire auf Grün wählende
spießige Häuslebauer und kuschelbedüftige Baugemeinschaften, denn wirklich
ein Krimi.
Die Schauspielerriege in dem Film, der [1][immer noch in der ARD-Mediathek
abrufbar] ist, war auch einmalig. Neben den üblichen ermittelnden
Kommissaren trat Berlins große Sängerin Christiane Rösinger als Mutti der
Baugemeinschaft auf und sogar der abgehalfterte Barde Heinz Rudolf Kunze
machte sich in einer Nebenrolle ziemlich gut.
Jetzt aber ist Brüggemann der zumindest nach einem bestimmten Blickwinkel
vielgescholtene mutmaßliche Drahtzieher hinter der verunglückten
Allesdichtmachen-Kampgagne, bei der sich über 50 Schauspieler mit ihrer
sogenannten Kritik an den Corona-Maßnahmen blamiert haben.
Alles deutet jedenfalls auf [2][Brüggemann als Organisator der
Youtube-Aktion] hin und er selbst bestärkt diesen Eindruck auch in den
diversen Interviews, die er inzwischen gegeben hat. Zumindest bei einem
großen Teil der Clips hat er die Regie geführt. Die [3][Aktion
#allesdichtmachen] ist also gewissermaßen Brüggemanns neuer Film und mit
dem hat er immerhin etwas erreicht, was ihm bestimmt gut gefällt: Er ist
jetzt eine Berühmtheit.
## Fast so bekannt wie Til Schweiger
Auch wenn er in diversen Artikeln über ihn gerne lediglich als
“Tatort-Regisseur“ vorgestellt wird, was nicht unbedingt wie die Adelung
eines großen Filmkünstlers klingt, ist er eigentlich schon länger eine
große Nummer des deutschen Films. Aber fast so bekannt wie Til Schweiger,
das ist er erst jetzt geworden.
Diverse Preise bis hin zum Silbernen Bären für das beste Drehbuch hat er
bereits eingesammelt. Und er hat auch ein paar wirklich gute Filme gemacht.
Seine Werke “Renn, wenn Du kannst“ und der WG-Film “3 Zimmer/Küche/Bad“
gehören zu den gelungeneren Exemplaren der Kategorie “Deutsche Komödie“.
Und mit [4][“Kreuzweg“ (Stream auf Filmfriend)] hat er gezeigt, dass er
auch im ernsten Fach etwas hinkriegt.
Erzählt wird hier die Leidensgeschichte von Maria, die in einer
ultrareligiösen Familie aufwächst und irgendwann damit beginnt,
kompromisslos ihr Leben Gott zu widmen. Erzählt wird der Film als eine
Analogie zur Passion Jesu Christi, was ein wenig arg bedeutungsschwer wirkt
und die Verwandlung Marias in eine Fanatikerin vollzieht sich auch etwas zu
abrupt. Doch Brüggemann zeigt hier, dass er mehr kann, als nur beschwingte
Komödien.
Zu demonstrieren, dass er was auf dem Kasten hat und vor allem eine Menge
zu sagen hat, ist schon weit vor Allesdichtmachen ein großes Anliegen von
ihm. In seinem Blog, der in den letzten Tagen so stark frequentiert worden
sein dürfte, wie nie zuvor, und auch in Interviews hat er sich schön öfters
lautstark geäußert und gerne verbreitet: was andere Filmschaffende so
machen ist meist weit weniger toll als das, was ich so mache. Die
Regisseure der Berliner Schule: langweilig. Die Berlinale: überschätzt. Der
“Tatort“: meist ziemlich öde.
## Narzistische Geisteshaltung
In die Rolle des enfant terrible, die er nun auf großer Bühne mit
Leidenschaft weiter spielt, indem er sich trotzig hinstellt und überall
bekannt gibt, dass er #allesdichtmachen für große Kunst hält und
hundertprozentig hinter der Sache steht, gefällt er sich schon seit einer
ganzen Weile. Die anderen haben keine Ahnung, ich schon. Diese narzistische
Geisteshaltung dringt nicht nur durch seine aktuellen Aussagen, sondern
auch durch jede Zeile in seinem Blog.
Er scheint sich sowieso für jemanden zu halten, der alles kann und weiß. In
einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk, in dem er über seine erste
Inszenierung für das Theater sprach, gab er an, als nächstes würde ihn das
Schreiben einer Oper reizen – der Mann denkt gerne mal richtig groß.
Musik macht er auch noch in gleich mehreren Projekten. Unter anderem in dem
Duo Theodor Shitstorm, dessen Name wie eine selffullfilling prophecy
klingt. Und natürlich als Noisy Nancy. Das Projekt hat er während des
ersten Lockdowns gestartet.
## Abgetaucht in den Sumpf
Auf Soundcloud war von diesem eine vor kurzem wieder von der Seite
genommene Nummer zu hören, in dem so geistreiche Zeilen wie “Steckt euch
eure Abstandsregeln in den Arsch“ zu vernehmen sind. Das Stück ist eine
echte Beleidigung. Weniger textlich, als vielmehr musikalisch. Zu diesem
grotesken, wahrscheinlich in fünf Minuten zusammengeschraubten Billigpop
tanzt man wirklich bei Querdenker-Demos?
Noisy Nancy, das Corona-Geschwurbel von Hobbyvirologe Brüggeman auf seinem
Blog, seine bekannt gewordene Nähe zu den völlig frei drehenden Spinnern
der sogenannten Freien Linken, zeigen, den Regisseur hat es wirklich schwer
erwischt.
Er ist richtig abgetaucht in den Sumpf und wird aus diesem so schnell
wahrscheinlich auch nicht mehr herauskommen. Noisy Nancy haben seine
Sprechpuppen, die Beteiligten an Allesdichtmachen, wahrscheinlich nicht
gekannt, das muss man ihnen zu Gute halten. Sonst hätten sie sich
vielleicht zwei Mal überlegt, bei diesem Unsinn mitzumachen.
1 May 2021
## LINKS
[1] https://www.ardmediathek.de/video/tatort/das-ist-unser-haus/das-erste/Y3JpZ…
[2] /Reaktionen-auf-allesdichtmachen/!5768587
[3] /Aktion-Alles-dicht-machen/!5768434
[4] https://www.filmfriend.de/de/movies/392472e8-25e8-401a-9984-f388f619ffa4
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
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