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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Ausgesuchtes für die Couch
> Das Kino Wolf streamt besondere Filme, die auch Ausblick darauf sein
> sollen, was hoffentlich bald wieder auf der großen Leinwand zu erwarten
> ist.
Bild: Betont sachlich: „Die Einzelteile der Liebe“ (2019)
Zwei verlieben sich ineinander, ziehen zusammen, kümmern sich um das
gemeinsame Kind, das große Glück scheint gefunden worden zu sein. Doch
dann, ganz langsam, löst sich dieses wieder auf. Man lebt sich auseinander,
hat eine Affäre mit dem Arbeitskollegen, während mit dem eigentlichen
Partner im Bett kaum noch etwas los ist.
Es folgen Entfremdung und Schuldzuweisungen, dann Hass und Verachtung. Man
startet Versuche, es doch noch einmal gemeinsam zu probieren, bis
irgendwann gar nichts mehr geht. Miriam Blieses Spielfilm “Die Einzelteile
der Liebe“ erzählt von all dieses Aggregatszuständen einer Beziehung, die
zu Ende geht und damit eine ziemlich aus dem Leben gegriffene Geschichte.
Jedem und jeder kommen sicherlich Teile daraus nur all zu bekannt vor.
Der Film macht von Anfang an kein Geheimnis daraus, dass er von einem
Scheitern handelt. Er beginnt zu einem Zeitpunkt, in dem die titelgebenden
Einzelteile der Liebe bereits in alle Windrichtungen verteilt wurden. Und
untersucht dann in Rückblicken, wie es zum Zerfall gekommen ist. Erstes
Kennenlernen, die Süße des frisch Verliebtseins, all das bekommt man
vorgesetzt und weiß doch, dass es dabei nicht bleiben wird.
Es ist so, wie im Song der Lassie Singers mit dem Titel “Mein zukünftiger
Exfreund“. Ganz nüchtern und sachlich wird die Anatomie einer Familie
vorgenommen. Und doch mit genügend Humor und komischen Szenen gearbeitet,
um als Zuschauer nicht selbst depressiv werden zu müssen bei dieser
Betrachtung eines kontinuierlichen Niedergangs.
Der Film spielt in Berlin, hat aber so gar nichts von den üblichen
Berlin-Schilderungen, in denen mindestens einmal die Oberbaumbrücke, der
Alex oder das bunte Ambiente von Kreuzberg untergebracht werden müssen. Er
konzentriert sich als Szenerie auf ein Wohnhaus im Hansaviertel, wo Berlin
überhaupt nicht aussieht wie Berlin mit seiner
Fünfziger-Jahre-Bauhaus-Architektur und seinen großzügigen Gartenanlagen.
Das schafft eine nüchterne Rahmung, nichts soll ablenken von den
zwischenmenschlichen Dramen. Keine unnötigen Schnörkel, das war das Credo
der Bauhaus-Architektur und so hält es auch Miriam Bliese in ihrem Film.
Aber eine strenge Puristin ist sie auch nicht. Ständig werden deutsche
Schlager in die Handlung verwoben, die den übrigen Minimalismus ihres Werks
eher konterkarieren. Und mit dafür sorgen, dass man keinen Moment lang
denkt, einen vielleicht etwas steril wirkenden Film zu sehen.
“Die Einzelteile der Liebe“ gehört mit zum [1][Programm des Neuköllner
Indiekinos Wolf], das dieses gerade über die Streaming-Plattform
Cinmalovers anbietet. “Wolf in Space“ nennt sich dieses und gezeigt werden
ausgesuchte Arthouse-Filme, die man bei den herkömmlichen
Streaming-Diensten eher mit der Lupe suchen muss.
Die Idee ist, so die Macher des Wolf, in der Pandemiezeit, in der das Kino
geschlossen haben muss, dem geneigten Publikum auch daheim auf der Couch
zeigen zu können, für was man steht. Und welche Art von Film zu erwarten
ist, wenn es denn endlich und hoffentlich ganz bald auch wieder mit den
Bildern auf der großen Leinwand im Kinosaal weitergehen wird.
Und schaut man sich die Filme an, die “Wolf in Space“ gerade anzubieten
hat, lässt sich durchaus konstatieren: Wolf will die besonderen Filme
zeigen. Da wäre einmal auch noch “Rey“ von Niles Attalah aus dem Jahr 2017.
[2][Der Film ist ein als Historiendrama getarnter Bilderrausch].
Die Figuren tragen meist Masken aus Pappmaché. Viele verwendeten Aufnahmen
auf Zelluloid wurden vom Regisseur im Garten vergraben, was ihnen eine
eigentümliche Patina verleiht. “Rey“ ist ein experimenteller Kunstfilm, der
bei Netflix kaum mehr als vielleicht drei begeisterte Zuschauer einbringen
würde, zu “Wolf in space“ passt er perfekt.
Und das trifft auch auf “Sarah Plays a Werewolf“ von Katharina Wyss zu,
einem ziemlich außergewöhnlichen [3][Coming-of-age-Film aus der
französischen Schweiz]. Sarahs Todessehnsucht, das wird schnell klar, ist
mehr als die Schwärmerei eines Teenagers für das Morbide. Sie spielt nicht
nur ihre Rolle in “Romeo und Julia“ in der Theatergruppe, sondern überträ…
die Idee des Suizids als Erlösung in ihr wirkliches Leben.
In ihrer gutbürgerlichen, aber dysfunktionalen Familie findet sie keinen
Halt, ihr geliebter Bruder ist zum Studium verzogen, ihre Eltern kommen ihr
wie Fremde vor. Langsam verwandelt sich Sarah in eine junge Frau, die
niemanden mehr versteht und auch von niemandem verstanden wird. Und die in
dem Dolch aus ihrem Theaterstück bald mehr sieht als bloß eine Requisite.
15 May 2021
## LINKS
[1] https://wolfberlin.cinemalovers.de/de/home
[2] https://wolfberlin.cinemalovers.de/de/movies/13648e37-1ab4-4432-ab38-a0ca4e…
[3] https://wolfberlin.cinemalovers.de/de/movies/251626a2-d00b-4d36-8edc-a8e95f…
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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